Jugendherbergen: Einmal in der Woche ist Veggie-Day
Jugendherbergen werden immer schicker. Manche konkurrieren schon mit Wellnesshotels und bieten Arrangements. Ein Besuch in Neuharlingersiel.
Um die wichtigsten Fragen gleich zu beantworten: Nein, die Betten waren nicht selbst zu beziehen. Nein, Tischdienst gab es nicht. Ja, doch, es ist eine Jugendherberge. Man braucht auch einen Jugendherbergsausweis, aber den gibt’s auch an Ort und Stelle. Das Essen? Lecker. Und die Zimmer? Könnten in einem Mittelkasse-Hotel kaum besser sein. Auf Wunsch gibt es sogar Etagenbetten, aber nur in einigen wenigen Familienzimmern.
Im Frühjahr 2013 hat das Deutsche Jugendherbergswerk das DJH Resort Neuharlingersiel in einer ehemaligen Reha-Klinik eröffnet. Die „erste Club-Jugendherberge der Welt“ besteht aus einem guten Dutzend Bauten und liegt inmitten sattgrüner Wiesen, rund einen Kilometer hinter dem Nordseedeich. Zum Hafen und zum Strand von Neuharlingersiel sind es zu Fuß etwa 20 Minuten.
Morgens, Punkt 10 Uhr, begrüßt Hausleiter Stefan Hilgers die Neuankömmlinge im „Teehuus Kluntje“, einem Glaspavillon. Hilgers stellt einige der 47 Mitarbeiter vor und präsentiert Fakten: 32 000 Quadratmeter Fläche hat die Anlage, insgesamt 398 Betten verteilen sich auf 78 Apartments, sechs Bungalows und das „Friesenhaus“, ein Hotel im Hotel mit 14 Doppelzimmern.
Wir haben an einem Wochenende außerhalb der Hauptsaison gebucht. Es geht ruhig zu, nur knapp jedes vierte Bett ist belegt. Schüler und Tagungsgäste sind nicht da, aber sonst sind alle anvisierten Zielgruppen vertreten, vor allem Familien und Sportler. Mit 70 Gästen ist der Düsseldorfer Hockey Club angereist. Die Rheinländer sind eher zufällig auf die Jugendherberge gestoßen, haben angesichts des Preises erst „geschluckt“, sich dann aber doch für Neuharlingersiel entschieden. Eine Mutter sorgt sich, dass ihre Kinder, wenn es demnächst mit der Schulklasse in eine andere Jugendherberge geht, zu hohe Erwartungen haben könnten.
Auch Gerd und Brigitte Mohr, beide Mitte 70, sind angenehm überrascht. Seit rund 35 Jahren besitzt das Ehepaar aus Lüneburg den Jugendherbergsausweis. Meist buchen sie ein Vier-Bett-Zimmer gegen Aufschlag, hier haben sie ein Doppelzimmer mit eigenem Bad und Balkon. Morgens drehen sie ihre Runde auf dem schmalen Pfad über die Wiesen, „nur zum Wasser ist es ein bisschen weit“, sagt Gerd Mohr. Ansonsten nutzt das Paar die Gymnastikangebote und genießt das gute Essen. Die beiden planen bereits den nächsten Aufenthalt – mit dem Enkel.
Das altersdifferenzierte Programm gehört zu den Punkten, die die Gäste bei Befragungen lobend hervorheben, sagt Nicole Kubisz, die für das Markting zuständig ist. Angebote wie das Bemalen von T-Shirts, eine Familien-Rallye oder Stranderkundung mögen vielleicht nicht weiter ungewöhnlich sein für eine Jugendherberge. Aber ein eigenes Kinderhaus mit lässigem sogenannten Snoozle-Raum und bunter Kreativ-Ecke? Oder ein „Wattlabor“, in dem Kinder ihre Strandfunde unter die Lupe nehmen können, betreut von einer Fachkraft?
„Rücken und Nacken“ sind besonders gefragt
Die Annehmlichkeiten eines Clubs koppeln mit dem pädagogischen Gedanken der Jugendherbergen – das ist der Leitgedanke. Dabei sollen die Kinder am besten gar nicht merken, dass sie lernen. Die „School of Rock“ ist dafür ein gutes Beispiel. Hier hockt René – auch er trägt das Wort „Crew“ auf dem Rücken seiner blau-gelben DJH-Kluft – auf einer Kistentrommel und demonstriert ein paar Grundschläge. Danach wird gemeinsam geübt. Am Ende dürfen die Kinder mit Schlagzeug, E-Gitarre und Bass mal so richtig Krach machen.
Über kurz oder lang begegnet einem auch Marion Ammermann. Sie kommt wie die meisten Mitarbeiter aus der Region, ist also bestens qualifiziert für die Vermittlung von Elementarwissen in Sachen Teetrinken. Gäbe es nicht die Teezeremonie, man könnte glatt vergessen, dass man mitten in Ostfriesland ist. Ammermann ist zugleich Sporttrainerin, und es hat einen ganz besonderen Reiz, wenn sie die Figuren bei einem neuseeländischen Kriegstanz namens Aroha in lupenreinem Plattdeutsch erklärt. „Ein wunderbares Herz-Kreislauf-Training“, schwärmt Ammermann, „da kommt man so richtig in Wallung.“
Mit seinem Muskelkater begibt man sich am besten geradewegs zu Ines Schönbohm. Die Massagen der Heilpraktikerin gehören zu den wenigen kostenpflichtigen Angeboten. „Rücken und Nacken“ sind besonders gefragt. Gnadenlos diagnostiziert Schönbohm dabei die Auswirkungen jahrelanger sitzender Tätigkeit: „Voll verspannt.“ Nur die Klangschalen aus Messing, ein Direktimport aus Nepal, kamen bislang selten zum Einsatz. Einmal angeschlagen, soll er die Menschen bei Meditationsübungen unterstützen.
Die Tagesplanung in dieser Jugendherberge erfordert Organisationsgeschick. Unterbrochen wird das Programm eigentlich nur von den Mahlzeiten. Verantwortlich dafür ist Heino K. Meyer. Meyer hat schon auf der „Arkona“ und einem der Aida-Schiffe gekocht. Der Mann ist Koch mit Leib und Seele. Er muss nicht nur kochen, sondern auch rechnen können. „Der Preisrahmen lässt keine Dorade zu“, sagt der 56-Jährige, aber Dorschfilet in Currysahne oder Lachsfilet mit Pistazienkruste – was will man mehr. Pommes und Nuggets gibt es zudem – am Kinderbüfett. Das muss sein, sagt Meyer, „sonst tappert das Kind von links nach rechts und sagt: Ich finde hier nichts“. Vegetarier werden ebenfalls bedacht, zudem ist einmal in der Woche „Veggie-Day“, Gemüsetag.
22 Uhr. Die Kinder liegen im Bett, erschöpft von Lagerfeuer, Stockbrotbacken und Fackelwanderung. Und die Eltern sitzen im „Seecafé“. Ist auch fast alles „inklusive“, hier kostet es etxra. Bis 23 Uhr kann man unter der stuckverzierten Decke oder draußen auf der Holzterrasse am Rotwein oder Riesling nippen, dann ist Zapfenstreich, es sei denn, es sind größere Gruppen da. Und wenn zu später Stunde mal wieder jemand zur Gitarre greift, wird man noch einmal kurz daran erinnert, dass man sich eigentlich in einer Jugendherberge befindet.
Wolfgang Stelljes
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität