Erlebnisreisen nach Island: Ein Vulkan hat viele Farben
Rau ist die Natur auf Island. Manche mögen das. Und buchen gern extra strapaziöse Touren.
Da ist ein Zögern, ein Zaudern. Die Wanderung hatte sich durch Regen und Hagel hingezogen, hinein ins Reykjadalur, einem Tal oberhalb von Hveragerði. Nun steht die Gruppe an einem dampfenden Bach. Einer taucht die Hand hinein, uiih, das Wasser fühlt sich fast heiß an. Ist es wirklich eine gute Idee, sich im eisigen Wind bis auf die Badebekleidung auszuziehen, um in den Bach zu steigen? Schließlich liegen doch alle ganz gemütlich im klaren Wasser, dem die Gegend ihren Namen verdankt: rauchendes Tal.
Wanderführer Astvaldur Helgi Gylfason kuschelt sich im Wasser an die grasgrüne Böschung. „Der Wind ist gemein“, tönt es aus dem von einem rotblonden Vollbart umgebenen Mund des 29-Jährigen. Was ein bisschen seltsam wirkt. Trägt Astvaldur doch auf seinen Schulterblättern ein Tattoo mit den Umrissen Islands, und ein großes Wikingerschiff pflügt unter vollen Segeln über seine Haut. Nun kauert sich dieser Wikingernachfahre in den Windschatten!
Wir haben bereits kurz nach der Ankunft auf Island gebadet. Da jedoch reichten uns Isländerinnen im Bikini einen Cocktail mit Blue Curaçao. Das Getränk hatte die gleiche Farbe wie das Wasser, in dem wir sacht trieben. In der „Blauen Lagune“, einem Thermalfreibad unweit des Flughafens von Keflavik, vergnügen sich jährlich etwa 200 000 Menschen. Im Reykjadalurbach liegen wir alleine. Nur Schafe sehen uns, die rundum grasen und blöken.
Wer nun angenehm im Bach liegt, hat den fiesesten Moment noch vor sich. Aus dem warmen Wasser raus und im Regen die klammen Klamotten wieder anziehen. Brrr! Zügig wandern wir zurück, eine Parade leuchtender Rucksackhüllen – orange, rot, gelb – zieht über schwarze Lava, grünes Gras und durch beißenden Wind. „Frühling“, sagt Gylfason, als ein Vogel aus einem Busch auffliegt. Wenn der Zugvogel Lóa auf Island zu sehen ist, dann ist Frühling. Am Wetter lässt sich das nicht immer erkennen.
Die kleine Gruppe steigt in den Minibus am Parkplatz, Gylfason fragt: „Wer hat Reiten gebucht?“ Zwei junge Männer aus London und eine Dänin melden sich. Auf zum nahen Reiterhof. Im strömenden Regen hasten die drei zu den Ställen. Um gleich anschließend drei Stunden in ein weiteres Tal zu reiten. „Das ist ja das Tolle an Island“, sagt Torfi G Yngvason. Hier könnten Besucher Touren mit unterschiedlichem Charakter an nur einem Tag machen. Alles liege so nah beieinander. Das entspreche dem Trend, möglichst viel in einen Urlaub reinzupacken. Noch vor einigen Jahren buchten Islandreisende zweiwöchige Trekkingtouren, heute gelte das als „Expedition“. Yngvason ist einer der Eigentümer von Arctic Adventure, einem Anbieter von Erlebnistouren.
Vor gut 30 Jahren gingen zwei Isländer auf Weltreise. In Nepal waren sie raften. Davon begeistert gründeten sie ein Raftingunternehmen, aus dem 2005 Arctic Adventure entstand. Heute werden rund 140 Aktivitäten angeboten und 40 Mitarbeiter beschäftigt. In der Hauptreisezeit kommen 60 Saisonkräfte dazu: Raftingguides, Tauchlehrer, Wanderführer, Kajaklehrer. Etwa 700 Arbeitsplätze bieten die isländischen Outdoor-Unternehmen insgesamt, fast alle sind in Reykjavik ansässig. Rafting mache bis heute das Hauptgeschäft an Abenteuertouren aus.
Adrenalin wärmt auch
Auch wir stehen schließlich am Hvítá-Fluss. Hergebracht hat uns ein in Rastafarben bemalter ehemaliger US-Schulbus, Rock röhrte aus kühlschrankgroßen Boxen, die Fenster waren offen. Es hätte eine Szene auf Jamaica sein können. Wenn es nicht gehagelt hätte. Wir tragen Neoprenanzüge, Spritzjacken, Schwimmwesten. Wir hüpfen am Flussufer umher, um uns zu wärmen, mühen uns in das Gummiboot und paddeln los, gleich durch erste Stromschnellen. So lange wir paddeln, ist alles gut.
Wir haben zwar nicht wirklich das Gefühl, das Paddeln ändere etwas an der Geschwindigkeit des Rafts, doch der Aktionismus wärmt wenigstens. Denn immer wieder spritzt zwölf Grad kaltes Flusswasser auf Hände, in die Gesichter. Manche zittern so sehr, dass sie Mühe haben, das Paddel zu halten. Schließlich stoppen wir an einer flachen Stelle. Schwarze Basaltfelsen ragen neben uns auf. „Der Ort für den Klippensprung“, scherzt unser Raftguide. Jedenfalls denken wir: Er scherzt. Schließlich klettern wir tatsächlich die Felsen hinauf, und weil eine beherzt gleich springt, hüpfen wir anderen auch hinunter. Es mögen so sechs, sieben Meter sein. Und, ja: Es macht Spaß. Adrenalin wärmt auch.
Der Rastabus bringt uns zurück ins Raftingcamp, zu Sauna und heißen Duschen. Danach sitzen wir bei Suppe in einem Raum mit Kiefernholztischen und -bänken und einem langen Bartresen. Alles sieht aus, wie in all diesen Abenteuercamps rund um den Globus, könnte ein Klettercamp in der Türkei sein, ein Bungeecamp in Neuseeland, eine Kajakcamp sonstwo im Norden.
Weiter im Inland, am Thingvellir, versammelten sich die alten Isländer zum Thing, zum Parlament. Hier soll Island entstanden sein, wo die eurasische und die amerikanische Platte auseinanderdrifteten, Magma austrat, und die Insel im Nordatlantik formte. Auf dem Weg dorthin fahren wir durch Lavafelder, mit hellgrün leuchtendem Moos bedeckt. Die Straßen fräsen sich wie schwarze Wunden hindurch. Längs der tektonischen Schlucht von Thingvellir verlaufen Gräben, einer davon, der Silfra-Graben, ist mit Wasser gefüllt und unser nächstes Ziel.
Das Wasser habe nie mehr als zwei, drei Grad, wurde uns gesagt. Uns graust es. Denn wir sollen schnorcheln und sind noch nicht einmal wieder warm geworden nach der Bootstour. Glücklicherweise gibt es diesmal Trockentauchanzüge für uns. Die sind zwar würgend eng am Hals, doch das Wasser bleibt draußen und der Körper, sagen wir: verhältnismäßig warm. Es scheint uns ein reichlich albernes Unterfangen. Zwischen Haut und Anzug passt viel Luft, und so patschen wir mit Flossen und Masken eine Leiter hinunter in den schmalen See.
Der Auftrieb lässt uns oben bleiben, und aufgrund der dunklen Anzüge wirken wir wie eine Schar träger Robben. Wir dümpeln sacht dahin, das Gesicht im eisigen Wasser. Doch: Es ist ein Ausflug von zarter Schönheit. Die Farbe des Wassers hat das Blau der Tiefsee, es ist kristallin klar, man sieht bis auf den Grund. Dort liegen übereinander und durcheinander Säulen aus Basalt, wie Reste einer versunkenen Stadt. Uns wurde eingeschärft, an den Felswänden unter Wasser nichts anzufassen, an flachen Stellen auf keinen Fall den Boden zu berühren. Um keine Schwebeteilchen aufzuwirbeln, die die Sicht trüben würden. Wir verstehen das und versuchen, uns daran zu halten. Was aber nicht immer gelingt, ab und zu stoßen wir tumben Robben irgendwo an.
120 Meter tiefer sitzen wir im Licht von Scheinwerfern
Wie wird das sein, wenn mehr Menschen diese Schnorcheltour buchen? Torfi G Yngvason sagt, seine Agentur habe diesen Ausflug erfunden, zum Tauchen sei es anspruchsvoll, aber schnorchelnd „kann wirklich jeder dieses fantastische Blau erleben“. Es stimme schon, jeder Besuch wirke sich irgendwie aus, „aber wenn wir die Zahl zurückfahren“, würde das nichts bringen. „Es gibt noch drei weitere Anbieter, wir müssen im Wettbewerb bleiben.“ Und überhaupt seien die Auswirkungen solcher Touren gering – im Vergleich zu den Aluminiumfabriken. Diese sind in Umweltdiskussionen auf Island das Killerargument. Denn so schlimm wie die energieintensiven Schmelzen kann nichts sonst sein. Island rühme sich seiner „grünen Energie“, sagt Yngvarson, es gebe ja keine Kohlekraftwerke, doch würden mit Wasserkraftwerken ganze Täler geflutet. „Und 90 Prozent der Energie brauchen wir nicht, das ist für die Aluminiumfabriken.“
Wir haben auf der Reise noch eine weitere Tour gebucht, etwas wahrhaft Einmaliges: den Abstieg in einen Vulkan. Von einem Parkplatz wandern wir eine knappe Stunde über ein Lavafeld zu einem Bergkegel, dem Thrihnukagigur, nur 15 Kilometer südlich der Hauptstadt Reykjavik. Der Berg hat ein Loch, das sei immer bekannt gewesen, erfahren wir von Solveig Arnarsdottir, während sie Klettergurte verteilt. Es habe nur keiner die Idee gehabt, hineinzuklettern. Warum auch? 1974 ließ sich mal ein Isländer an einem langen Seil hinab, dann hatte der Vulkanschlot wieder Ruhe.
Seit 2012 nun kann die Magmakammer besichtigt werden. Zwei Container stehen auf dem Lavafeld, dort werden die Besucher mit den Sicherheitsregeln vertraut gemacht. Solveig gibt Gurte und Helme aus. Ein kleiner Spaziergang noch den Berg hinauf, ein paar Schritte auf einem Steg, dann geht es abwärts in den Schacht. Der Lift erinnert an den Arbeitsplatz von Glasfassaden-Fensterputzern. Die Reise Richtung Mittelpunkt der Erde führte vorbei an Wassertropfen, die im Scheinwerferlicht als silberner Vorhang wehen, an schwefelgelben Felsen, an einem rötlichen Verputz, einer Schicht erkalteter Lava, in kleinen Tropfsteinen festgepappt.
120 Meter tiefer sitzen wir im Licht von Scheinwerfern und unserer Stirnlampen. Eine fleischrote Wunde zieht sich an einer Wand hinauf, umrahmt einen schwarzen Schlund. Auch hier verläuft die Faltlinie, an der die Erdplatten auseinanderdriften. Wir hoffen, dass alles, was an den Höhlenwänden klebt und hängt, nicht herunterfallen möge. Und dass es dem Thrihnukagigur nicht etwa einfalle, auszubrechen. Solveig Arnarsdottir nimmt uns später die Klettergurte wieder ab. Sie spricht Deutsch, hat in Berlin an der Schauspielschule Ernst Busch studiert, hat Fernsehrollen übernommen, in Kreuzberg gewohnt, in Moabit in einer Kneipe gejobbt.
1993 war sie nach Berlin gegangen, zehn Jahre später trieb sie das Heimweh zurück nach Island. „Nur etwa 1000 Menschen haben das hier je gesehen“, sagt sie dramatisch. Doch so exklusiv soll es nicht bleiben. Es gibt Pläne, einen 600 Meter langen Tunnel zu graben. Darin soll ein erdgeschichtliches Museum Island erklären. Am Ende werden Besucher auf einem Glasbalkon stehen und ins Innere des Vulkans blicken. So attraktiv wie die Blaue Lagune solle es werden.
Torfi G Yngvason bezeichnet das als „eine fantastische Idee“. Island sei bekannt für Vulkane. Warum sollte man es nicht allen Besuchern ermöglichen, in ein solches Naturwunder blicken zu können? „Auch Gehbehinderten und Familien mit Kinderwagen.“ Aber aus dem Projekt werde wohl nichts, da unter dem Lavafeld die Trinkwasser-Reserve für Reykjavik liegt. Beim Aufstellen der Generatoren, die den Strom für den Fensterputzerlift liefern, gab es bereits einen Unfall. Der Helikopter hatte einen Dieseltank verloren. 600 Liter Öl seien ausgelaufen, glücklicherweise nur am geteerten Parkplatz.
Auf die Frage, was für ihn Natur sei, sagt Torfi G Yngvason: „Ein großer Spielplatz.“ Vielleicht sollte jemand darauf achten, wer auf diesem Spielplatz mit Baggern und Schaufeln hantiert.
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