Namibia: Ein Kopfstand fürs Leben
Unendliche Weiten, körnige Dünengebirge und trickreiche Tiere: Namibia ist ein wundersames Land.
Wer hier überleben will, muss Künstler sein. Zum Beispiel Akrobat. Das klobige, sechsbeinige Geschöpf vor unseren Füßen sieht allerdings so gar nicht danach aus. Eher wie ein mitteleuropäischer Mistkäfer, der sich dummerweise in die afrikanische Wüste verlaufen hat. „Tok-Tok“, sagt der Guide, und das ist keine Stammessprache, das ist der Name des Tiers. Wissenschaftlich: Onymacris unguicularis. Der kundige Naturführer bückt sich, nimmt Tok-Tok auf die Hand. Genau einen Tropfen Wasser benötige dieser Käfer täglich, um in der Namibwüste zu bestehen. „Wie macht er das wohl?“ Allgemeines Schulterzucken.
Tok-Toks Geheimnis: Er stemmt sich jeden Morgen in den Kopfstand. Und wartet ab, bis der wenige Nebel in dieser unwirtlichen Gegend an seinem Leib zu einem Tropfen kondensiert. Dieser kullert dann am Körper abwärts direkt ins offene Käfermaul. Kann man sich gar nicht ausdenken so was. Namibia ist ein wunderliches Land. Das trockenste südlich der Sahara. Mit der ältesten Wüste der Welt. Mit Straßen, deren Namen an sozialistische Diktatoren erinnern. Und Farmen, die „Schlesien“ oder „Königsberg“ heißen. Sofern man überhaupt an einer menschlichen Siedlung vorbeikommt.
Namibia hat nur 2,3 Millionen Einwohner, auf einer Fläche zweieinhalb mal so groß wie Deutschland. Touristen müssen lange über Rumpelpisten fahren bis zur nächsten Attraktion. Unterwegs stehen zwar viele Termitenhügel am Wegesrand, aber leider nur wenige öffentliche Toiletten.
So ein wunderliches Land. Könnte auch ein riesiges Fernsehstudio sein, mit wechselnden bildschönen Kulissen. Kitschig-blauer Himmel, über den zahnpastaweiße Wolken wandern. Zerklüftete Felsformationen, rote Dünen, gelbe Dünen, ganz helle Dünen. Namibia ist voller Landschaften, wie man sie in Arztpraxen auf großformatigen Kalendern sieht und bei denen man sich fragt, von welchem abgefahrenen Planeten die jetzt wohl stammen. Na, aus Namibia stammen die.
Barfuß auf die Düne 45
Ebenso wunderlich: die Feenkreise. Überall im Land tauchen sie auf. Perfekt gerundete, kahle Sandflächen mit einem Radius von etwa drei Metern, auf denen kein einziger Grashalm wächst. Alienspuren? Wessen Werk es tatsächlich ist, können die Wissenschaftler bis heute nicht sagen. Möglicherweise ein Pilzgeflecht oder Termiten oder beides.
Wer aus dem Sich-Wundern gar nicht mehr rauskommen möchte, fährt ins Sossusvlei, ein unwirkliches Dünenareal im Namib-Naukluft-Nationalpark. Durch ein breites, ausgetrocknetes Flussbett geht es immer tiefer in die Ödnis hinein. Hier und da steht ein knochiger Kameldornbaum. Ansonsten lagern nur die eisenoxidgefärbten Sandriesen zu beiden Seiten. Alle Besucher, die es hierher verschlägt, halten an Düne 45. Klingt wie Area 51, das militärische Sperrgebiet im südlichen Nevada, heißt aber nur, dass sich die Düne – eine besonders große und malerisch geschwungene – 45 Kilometer vom Parkeingang entfernt befindet.
Mancher denkt, er könne sie besteigen, weil das so im Reiseführer steht. Am besten barfuß, der Sand drückt sich dann zwischen die Zehen. Kleine Wellnessbehandlung. Wir wagen erste Schritte und sind nach wenigen Metern außer Atem, weil die Steigung extremer ist als vermutet. Das muss doch zu schaffen sein! Doch je mehr wir schnaufen und schwitzen, desto stärker dämmert die Überzeugung, dass der Panoramablick von der bereits erreichten Höhe aus schon sensationell genug ist. Warum sich also weiter quälen?
Kuriose Grenzziehung
Die Besteigung der Düne 45 endet in der Regel mit bedingungsloser Kapitulation. Glücklich macht der Versuch dennoch. Wer abends im Hotelzimmer noch mal im Reiseführer nachschlägt, stellt fest, dass die Düne in der Höhe 170 Meter misst. Das ist, als würde man die Berliner Philharmonie nehmen und auf deren Dach den Funkturm draufsetzen. Bester Zeitpunkt für einen erfolglosen Kletterversuch ist übrigens der frühe Abend, weil dann erstens die Temperatur gemäßigter wird und zweitens die tief stehende Sonne bizarre Schattenspiele mit den Dünen veranstaltet.
Um jedoch zu dieser Uhrzeit noch durch den Namib-Naukluft-Nationalpark reisen zu dürfen, bedarf es eines Betts in einer der staatlichen Lodges – alle anderen Unterkünfte befinden sich jenseits der Parktore, und die schließen am späten Nachmittag.
Solardächer und Gemüse vom Hof
Tourismus gilt mittlerweile, nach dem Bergbau, als die wichtigste Einnahmequelle Namibias. Und die meisten Besucher aus Europa sind Deutsche, 80 000 kommen jedes Jahr. Das liegt nicht zuletzt an der Kolonialgeschichte. Im späten 19. Jahrhundert wurde unter Wilhelm II. die Region als "deutsches Schutzgebiet" in Besitz genommen. Dieses „Deutsch-Südwestafrika“ endete mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg.
Spuren der Zeit finden sich allerdings noch heute zuhauf. Allein die kuriose Grenzziehung: Im Nordosten verfügt das Land über eine schmale, jedoch 500 Kilometer lange Ausbuchtung, den „Caprivi-Zipfel“. Den erstritt sich einst der preußische Reichskanzler Leo von Caprivi am Verhandlungstisch mit den Briten, er träumte von einer Verbindung zur anderen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“. Übrigens: Caprivi ist von neueren Landkarten getilgt, der Zipfel wird heute „Sambesi-Region“ genannt.
Die Verbrechen der Kolonialherren sind von Historikern gut dokumentiert, vor allem der Völkermord an bis zu 90 000 Menschen aus den Stämmen der Herero und Nama. Reparationszahlungen gab es jedoch keine, von den geschätzt 3000 Herero-Schädeln, damals zu wissenschaftlichen Zwecken nach Deutschland gebracht, hat die Bundesrepublik erst 50 zurückgegeben. Auch unter den 25 000 deutschstämmigen Bürgern Namibias ist anscheinend der Wunsch verbreitet, die Vergangenheit zu vergessen.
Wer sich eine Ausgabe der deutschsprachigen Tageszeitung „AZ“ kauft und zu den Leserbriefen blättert, kann unappetitliche Dinge lesen wie etwa die Formulierung vom „angeblichen Völkermord“ oder der Ansicht, die Hereros seien damals selbst höchst brutal vorgegangen.
Es gibt aber auch Deutschstämmige, die dem Land eindeutig guttun. Manfred Goldbeck, genannt „Manni“, ist so einer. Seine Urgroßeltern kamen einst aus Mecklenburg. Mit dem „Gondwana-Projekt“ hat er in den vergangenen 20 Jahren ein Dutzend Lodges aufgebaut, die sich um nachhaltigen Tourismus bemühen. Auf den Dächern seiner „Namib Desert Lodge“ wurden 17 000 Platten mit Solarzellen montiert. Ein Teil des Stroms wird ins offene Netz eingespeist.
Eigene Kläranlagen gibt es auch. Alles Gemüse, das Touristen abends serviert bekommen, wird in den örtlichen Gewächshäusern angebaut. Aus der Milch des hofeigenen Viehs machen sie Gouda. Aktuell experimentierten sie mit weiteren Käsesorten, heißt es. Wobei man sagen muss, dass sich der Gouda geschmackstechnisch ebenfalls noch in der Experimentierphase befindet.
Touristen müssen Geduld mitbringen
Vor allem aber hat „Manni“ Goldbeck die umliegenden Farmer überredet, ihre Zäune abzubauen, damit Wildtiere ungehindert durchs Land ziehen können. Denn von denen gibt es, wo immer Wasser nah ist, reichlich: Zebras, Gnus, Springböcke, Schakale, Warzenschweine, Giraffen. „Wobei sich Letztere sowieso nicht von Zäunen aufhalten lassen“, sagt Goldbeck. Die steigen einfach drüber. Eine Gruppe Naturschützer versucht, die bedrohten Leoparden und Geparden vor dem Aussterben zu bewahren. Was sich bisher als schwierig erweist, weil Leoparden gern Geparden töten.
Touristen müssen Geduld mitbringen, um Tiere beobachten zu können. Am größten sind die Chancen in einem der Nationalparks, aber auch hier muss man in Kauf nehmen, die meisten Arten erstmal nur von hinten zu sehen. Weil die sofort abdrehen und den Sicherheitsabstand vergrößern, sobald sich ein Jeep nähert. Es lohnt sich dennoch. Der kleinwüchsige Springbock etwa sieht poseitig aus wie ein niedliches Gespenst.
Zu jeder Tierart Namibias gibt es eine eigene Geschichte, wie sie die lebensfeindlichen Bedingungen meistert. Die Oryx-Antilope verfügt über einen einzigartigen vegetativen Kühlkreislauf, der vom Kleinhirn gesteuert wird. Das Nama-Flughuhn nimmt an Tümpeln Wasser mit seinen Brustfedern auf und fliegt es zu seinen Jungen.
Eine Pferdeherde in der Wüste
Der Kopfstand-Trick des Tok-Tok-Käfers hat Unternehmer in Chile übrigens dazu inspiriert, in der dortigen Atacama-Wüste mit Nylonnetzen Nebel abzufangen und so Wasser zu gewinnen. Nur der Strauß, der hat gar keine Taktik und schafft es trotzdem irgendwie. Einheimische behaupten, der Vogel sei einfach zu dumm, um auszusterben.
Es gibt sogar eine Pferdeherde in der Namibwüste. Die Tiere sind Nachkommen von 50 Kavalleriepferden in Diensten Südafrikas, die im Ersten Weltkrieg von einer deutschen Fliegerbombe verschreckt wurden und flohen. Zehn Jahre später wurden sie wiederentdeckt. Inzwischen sind Wasserstellen für sie eingerichtet.
Zu den unangenehmen Erscheinungen der Tierfülle zählt, dass sich auch sogenannte Trophäensammler angezogen fühlen – also Jäger, die exotische Tiere abschießen und deren Kopf mit nach Hause nehmen wollen. Weil sie im Durchschnitt fünf Mal so viel Geld wie ein nichtschießender Tourist im Land lassen, sind sie durchaus beliebt. Offiziell gibt es strenge Richtlinien, nach denen gejagt werden darf, doch wer sich vor Ort umhört, bekommt Geschichten erzählt, dass mancher aus Europa angereiste Jäger derart nervös und zittrig ist, dass sein Jagdführer lieber heimlich selbst mitschießt, um dem Tier Leid zu ersparen. Dass anschließend zwei Kugeln im Leib stecken, falle nicht weiter auf.
Keine Schönheit ist Windhuk, die Hauptstadt. Da reicht es, anzukommen und abzufliegen. Vielleicht noch im Durchfahren den Gebäudeklotz in der Mitte eines Kreisverkehrs anzuschauen, der als Unabhängigkeitsmuseum dient. Einwohner nennen ihn „Kaffeemaschine“.
Früher stand hier ein deutsches Reiterdenkmal, das haben die neuen Machthaber allerdings nach 1990 an einen weniger prominenten Ort umgesetzt und später auch von dort entfernt. Jetzt sind die Deutschstämmigen sauer, weil sie das nicht unter innernamibischer Aussöhnung verstehen.
Melancholischer Moment des Abschiednehmens: Am Flughafen zum letzten Mal den mitgeschleppten Sand aus den Schuhen kippen. Wer das in seinem Urlaub nicht regelmäßig zwischendurch gemacht hat, kann jetzt locker ein halbes Marmeladenglas füllen.
Infos für Reisewillige
ANREISE
Mit Condor: ab Berlin über Frankfurt am Main in 13 Stunden nach Windhuk. Preis: ab 853 Euro (Reisezeit Anfang Juni).
KLIMA
Als beste Reisezeit gilt Juni bis September, weil dann die Temperaturen durchgehend unter 30 Grad sind und kaum Regen fällt.
PAUSCHALEN
Rundreisen bieten viele Veranstalter an. Bei Thomas Cook etwa kostet die 13-tägige Tour 1530 Euro, neun Tage gibt es für 1050 Euro ab Windhuk. Auskunft in Reisebüros.
UNTERKÜNFTE
Die auf Nachhaltigkeit bedachte Lodge-Kette Gondwana betreibt 14 Anlagen im ganzen Land, Infos im Internet unter gondwana-collection.com
FAUNA
Außer den Wildtieren in der Wüste finden Besucher im Etoscha-Nationalpark auch Löwen, Elefanten, Nashörner, Giraffen, Gnus und Zebras, um nur die größten zu nennen. Beste Chance, sie zu sehen: in der Trockenzeit, weil dann die Tiere die verschiedenen Wasserlöcher aufsuchen.
SELBST FAHREN
Mietautos gibt es von verschiedenen Anbietern, aber bitte bedenken: Es herrscht Linksverkehr.
AUSKUNFT
Namibia Tourismus, Telefon: 069 / 133 73 60, Internet: namibia-tourism.com
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