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© Okapia

Reise: Ein Boskop in der Kaffeetasse

Im Ökodorf Brodowin kann man das Landleben genießen – und den Kühlschrank für zu Hause füllen

Wohin damit? Rot-gelbe Äpfel und Pflaumen im Überfluss machen Gartenbesitzern derzeit wieder zu schaffen. Und die Beerenernte war in diesem Jahr so ergiebig, dass in vielen Familien der Marmeladenvorrat für die kommenden drei Jahre entstanden ist. Doch wer in der Innenstadt wohnt und keinen eigenen Garten hat, kann von so viel üppiger Ausbeute der Natur nur träumen. Es sei denn, man macht einen Ausflug aufs Land. Statt im Supermarkt bekommt man die Pflaumen hier am Straßenrand „für’n Appel und ’n Ei”, wie der Berliner sagt.

Also hinein in die brandenburgische Obstkammer: Mit der Bahn fahren wir ab Gesundbrunnen in 35 Minuten bis Chorin. Von dort geht es mit dem Fahrrad durch den Wald, über Felder und Wiesen. Kurz vor Brodowin stehen wilde Pflaumen- und Apfelbäume am Wegesrand. Anhalten und kosten. Die kleinen Äpfel schmecken sauer, dafür sind die Pflaumen süß und saftig. Wir packen zwei, drei Pfund in unsere Packtaschen für den Pflaumenkuchen zu Hause.

In Brodowin, dem Ökodorf im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, gibt es nicht nur Lebensmittel direkt vom Bauern, sondern zudem fast ausschließlich ökologisch angebautes Obst und Gemüse. Der größte Demeter-Betrieb der Republik ist hier ansässig und versorgt vor allem die Berliner mit Milch und Quark, aber auch mit Äpfeln, Möhren, Kartoffeln und Lauch. Dass Brodowin als Ökodorf bekannt geworden ist, hat vor allem mit dem Großbetrieb zu tun, der 1993 auf dem Gelände einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) entstanden ist. Nach und nach haben sich immer mehr Dorfbewohner für den ökologischen Landbau entschieden, und heute ist Brodowin ein Mekka für Freunde nachhaltig erzeugter Lebensmittel. Streuobstwiesen, Kleefelder und üppig bewachsene Äcker breiten sich über die hügelige Landschaft rings um das 400-Einwohner-Dorf aus – eine heile Welt mit Vollbeschäftigung und steigenden Grundstückspreisen.

Bevor wir den Hofladen inspizieren, spazieren wir auf den Rummelsberg, jenen eiszeitlich geformten Hügel mit seltenen Gräsern, von dem man einen herrlichen Ausblick auf die Seen ringsum hat. Goldgelb breiten sich die abgeernteten Felder aus, tiefblau blinkt unten der Parsteiner See. Dort auf einer Insel sollte ab Mitte des 13. Jahrhunderts ursprünglich das Kloster Chorin entstehen. Doch weil der Ort den Zisterziensermönchen zu abgelegen erschien, suchten sie sich nach 15 Jahren Bauzeit dann doch einen anderen Ort, Chorin. Heute sind vom ursprünglichen Klosterbau auf Pehlitzwerder nur noch ein paar Steinreste übrig.

„Am Samstag schlachten wir ein Kalb, Bestellungen erwünscht“, heißt es auf einem Schild am Straßenrand. Der Demeter-Bauernhof Schwalbennest im Brodowiner Ortsteil Pehlitz hat aber auch frisches Schweine- und Lammfleisch im Angebot. Zu dumm, dass wir keine Kühltasche mitgenommen haben. „Wenn Sie wiederkommen, lieber vorher anrufen“, rät Bäuerin Martina Bressel. Welches Fleisch gerade im Angebot ist, hänge von der Saison ab.

Ob die Schäflein auf der Weide als Nächste dran sind? Wir fragen lieber nicht und machen uns auf den Weg zu Siegis Landhauspension. Dort soll es das beste Brot weit und breit geben. Gerade als wir um die Ecke biegen, holt Gastwirt Werner Stockmann ein Dutzend Brotlaibe aus dem Holzofen. Wir kaufen gleich zwei – und rasten im Garten der Pension. Hier muss man aufpassen, dass die Äpfel nicht auf einen herniederprasseln. Dicht an dicht hängen sie an den Bäumen, deren Äste sich über den Gartentischen biegen. Nachdem fast ein Boskop in der Kaffeetasse gelandet ist, ziehen wir lieber um an einen Tisch unter freiem Himmel und lassen uns frischen Pflaumenkuchen mit Bioschlagsahne schmecken.

Danach geht es noch in Stocki’s Hofladen, einen kleinen Bioverkauf gleich am Eingang zur Pension. Hier können sich Gäste und Ausflügler zum Beispiel mit Produkten der nahe gelegenen Biobauernhöfe eindecken.

Wir kaufen Zucchini und Tomaten aus Stockmanns Garten und radeln weiter zur Ziegenfarm der Familie Pörschke. Hinter dem Haus kann man die Ziegen blöken hören. Wir entscheiden uns für Ziegenfeta in Salzlake und Frischkäse mit unterschiedlichen Würzmischungen.

Ob man die Kirche besichtigen kann? „Einfach beim Pfarrhaus klingeln“, lautet der Rat. Eine hagere Frau öffnet und reicht uns den riesigen Schlüssel fürs Gotteshaus. Die hübsche Kirche aus dem 19. Jahrhundert beeindruckt durch ihre Schlichtheit. Ein Schild im Eingangsbereich berichtet vom Dorfbrand im Jahre 1848, und dass sich König Friedrich Wilhelm IV. persönlich dafür einsetzte, eine neue Kirche bauen zu lassen. So entstand ein Kirchenbau im neugotischen Stil unter Aufsicht des bekannten Baumeisters Friedrich August Stüler. Glücklich sind die Bewohner mit der Kirche nicht so ganz, denn zu DDR-Zeiten wurde eine falsche Farbe benutzt, die an allen Ecken und Enden abblättert. Nachdem die EU bereits Gelder für die Sanierung des Dachstuhls gewährt hat, hofft die Gemeinde nun auf weitere Euros aus Brüssel für die Renovierung.

Am späten Nachmittag statten wir dann noch dem Hofladen der Brodowin GmbH einen Besuch ab. Hier zeigt sich in voller Pracht, was der Biolandbau zu bieten hat. Goldgelbe Kartoffeln, fast armdicke Lauchstangen und jede Menge Milchprodukte von den 250 Kühen des Demeterbetriebes. Ein randvoller Becher köstlicher Buttermilch kostet 50 Cent.

Äpfel, so haben wir uns vorgenommen, kaufen wir am Straßenrand auf dem Weg zum Bahnhof in Chorin. Da gibt es die leckeren Sorten aus den Gärten das Kilo schon für einen Euro.

Christine Berger

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