Ägypten Urlaub: Die Stille in den Hotels
Am Roten Meer sonnen sich wenige Urlauber. Coole Surfer und unerschrockene Briten machen in Ägypten Urlaub. Ein Besuch in Hurghada.
Das Ehepaar in Reihe 12 der Boeing 737 nach Frankfurt am Main wäre ein vorzeigbarer Werbeträger für das Reiseland Ägypten. „Wir haben 14 perfekte Urlaubstage erlebt“, sagt er, Typ braun gebrannter Werkzeugmachermeister. Seine Frau nickt eifrig und zählt die Annehmlichkeiten der vergangenen beiden Wochen von ihrem Ägypten Urlaub in Hurghada am Roten Meer so gestikulierend auf, dass es an ihr nur so klimpert. „Nichts als Ruhe. Sonne. Wärme. Jederzeit unbelästigt. Breiter, sauberer Strand. Pools mit allem Pipapo. Sehr freundliche Leute im Hotel. All inclusive. 565 Euro alles in allem pro Nase.“ Der Preis sei ausschlaggebend gewesen, das Preis-Leistungs-Argument habe ihre anfänglichen Sorgen um die Sicherheitslage in Ägypten verdrängt. „Die Sorge war sowieso unberechtigt. Urlauber sind in und um Hurghada so sicher wie in Mallorca oder an der Ostsee“, ist er überzeugt.
Ohne Bedenken in den Ägypten Urlaub?
So friedlich und entspannt sind nicht alle Ägyptenurlauber. Ein Schmerbauch mit Stein im Ohrläppchen verflucht die „deutsche Scheißpresse“, die nichts als Erlogenes und Aufgebauschtes über die Urlaubsgebiete am Roten Meer verbreite. Dabei sei Hurghada weit weg von den unruhigen und unsicheren Zentren Ägyptens, er müsse es wissen. Sieben Monate im Jahr zieht sich der Pensionär mit seiner Gattin ins warme Ägypten zurück. Das Frühjahr und den Sommer verbringen sie zu Hause in Deutschland, heute sind sie wegen einer Familienfeier unterwegs.
Die Nachrichtenlage ist nämlich so: Mindestens noch bis Mitte November herrscht in Ägypten der Ausnahmezustand. Militär und Polizei können Zivilisten ziemlich willkürlich inhaftieren; in 14 Provinzen des Landes gibt es ein nächtliches Ausgangsverbot, wovon allerdings die Urlaubsgebiete auf der Festlandseite Ägyptens am Roten Meer (unter anderem Hurghada, Marsa Alam) ausgenommen sind.
Dergleichen setzt Kettenreaktionen und Automatismen in Gang. Offizielle Reaktion des bundesdeutschen Auswärtigen Amtes: „Aufgrund der aktuellen Lage und der Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen wird von Reisen nach Ägypten derzeit abgeraten.“ Das wiederum ließ die großen deutschen Fluglinien und Reiseveranstalter reagieren: Absagen und Stornierungen zum Teil bis Ende Oktober dieses Jahres, auch nach Hurghada (wohin normalerweise neun von zehn deutschen Ägyptenurlaubern fliegen).
Nur einige kleinere Fluglinien fliegen aktuell wieder Hurghada an, darunter die deutsch-türkische Airline SunExpress. Auch der Reiseveranstalter Dertour hat wieder Ägypten ins Programm genommen – und sich damit den Zorn der Branche und des Auswärtigen Amtes zugezogen. Aber nach wie vor kann eine Flugreise ans Rote Meer für deutsche Urlauber ganz schön aufwendig sein, weil es nur wenige Angebote gibt.
Manchmal sind elf und mehr Stunden notwendig, um dort anzukommen, wo bislang nur vier oder fünf Stunden von Haus zu Hotel gebraucht wurden. Nonstop-Flüge von und nach Berlin wurden eingestellt, wer über Frankfurt nach Hurghada gelangen will, muss am Main teuer übernachten. Umso größer ist in den Hotels vor Ort der Respekt vor den Deutschen, die dennoch kommen. Man dankt es ihnen mit überwältigender Freundlichkeit.
Ähnlich wie das offizielle Deutschland haben auch andere europäische Länder und Kundenmärkte reagiert; österreichische, Schweizer, niederländische, skandinavische Urlauber bleiben aus. Auch russische Urlauber, seit 10, 15 Jahren eine sichere Bank am Roten Meer, kommen nicht, weil der Kreml eine Reisewarnung ausgesprochen hat. Die russischen Gäste – sie führen in normalen Zeiten die Rangreihe der Besucherströme an – werden auch deshalb vermisst, weil sie es in den Souvenirshops und Geschenkeboutiquen gerne krachen lassen.
„Hier ist alles anders“
Hinter vorgehaltener Hand haben ägyptische Tourismusmanager eine hämische Hitliste der internationalen Hasenfüßigkeit aufgestellt: Die Ängstlichsten seien die Skandinavier, heißt es. Im Mittelfeld bewegten sich die Deutschen und Russen. Nur die tapferen Briten würden sich nicht abschrecken lassen. Sie holen sich ihre Sonnenbrände zwischen überkrassen Tattoos an den Pools rund um Hurghada, und Dialoge sind im wildesten Cockney über ManU oder Arsenal zu hören.
Schon giftet es Verschwörungstheorien hin und zurück: Wir Deutschen hätten uns auf die Seite der Muslimbrüder geschlagen, und zwar auf Geheiß der USA und Israels, raunt es geschichtsklitternd am Nil. Am Roten Meer, so die deutsche Retourkutsche, könne man als Tourist nicht sicher sein. Überall lauerten Muslimbrüder, Salafisten und Dschihadisten.
Vielleicht ist es an dieser Stelle angebracht, an den Zusammenhang zwischen tatsächlicher und gefühlter Sicherheit zu erinnern. Beiderlei ist berechtigt. Nehmen wir zum Beispiel Ludmilla und Pjotr aus dem russischen St. Petersburg, gute Bekannte des Reporters. Zum ersten Mal in ihrem entbehrungsreichen und rubelarmen Leben wollten sie einen Urlaub in weiter Ferne verbringen und hatten sich zunächst für die warmen Sonnenstrände von Hurghada entschieden, inklusive Ausflüge zu den Tempeln am Nil. Dann die Absetzung des Muslimbruders Mursi als Präsident. Bilder von tausenden Toten in Kairo, blutige Unruhen in Alexandria und Luxor. Militär. Rauchfahnen. Überall Waffen. Angriffe auf koptische – das heißt orthodoxe – Kirchen. Wer sollte Urlaubern wie Ludmilla und Pjotr verdenken, dass sie sich anders entschieden haben?
Andererseits die erlebte Wirklichkeit: „Es ist extrem friedlich. Wir leben hier sicherer als irgendwo sonst in Ägypten“, sagt Peter-Jürgen Ely, der als Honorarvizekonsul die deutschen Interessen und die der deutschen Urlauber und Bewohner in Hurghada und Umgebung vertritt. Ely, der eine Karriere als Medizinphysiker hinter sich hat, die an der FU Berlin begann, lebt seit über 30 Jahren in Ägypten und muss seine Worte abwägen.
Einerseits ist er als ehrenamtlicher Diplomat in die Hierarchie des Auswärtigen Amtes eingebunden und insofern auch den Warnhinweisen des Amtes verpflichtet. Andererseits vertritt er nicht zuletzt Deutsche in der Region, die von der Tourismuswirtschaft abhängig sind und um Kundschaft mit angewandter Geografie werben: „Kairo ist 600 Kilometer entfernt. Hier ist alles anders.“
"Hipper Lifestyle" mitten in Ägypten
Draußen am Strand von Sal Hasheesh lässt sich gut studieren, wie anders das Leben am Roten Meer ist als in den unruhigen Metropolen Kairo oder Alexandria. Sal Hasheesh ist eine Ansammlung von Hotelanlagen nebst kleiner Urbanisation etwa 20 Kilometer südlich von Hurghada. Die meist großflächigen Hotelanlagen sind in die Wüste gebaut, liegen zwischen der Zufahrtstraße nach Hurghada und einer rötlich gepflasterten Strandpromenade, die ins Zentrum der Siedlung von Sal Hasheesh führt.
Es ist kaum was los, der Zubringerbetrieb ist so überschaubar wie das Leben am Strand und auf der Promenade, wo bisweilen gut gelaunte Passagiere in einer Art Golfwagen hin- und herschnurren. Manchmal müssen sie einen kleinen Bogen um Posten machen, die dort Wache schieben, wo die Hotelanlagen aneinandergrenzen. Ob sie bewaffnet sind, lässt sich nicht ausmachen, aber im Kartenspielen sollten sie’s unterdessen zu einiger Übung gebracht haben.
Vom Ortszentrum Sal Hasheesh wummert heftiger Sound herüber; so gut es eben geht, soll auch eine Art hipper Lifestyle zelebriert werden, für den eigentlich die Jungen und Junggebliebenen zuständig sind, die sich von hier aus zu Tauchfahrten ins Rote Meer aufmachen, um Korallenriffe und Schiffswracks zu inspizieren. Die Tauchreviere vor dem benachbarten Hurghada würden wie eh und je besucht, wird in Internetforen und via Facebook versichert. Aber vor den Hotelanlagen in Sal Hasheesh sind die Taucherbuden verwaist, viele Anbieter solcher Ausflüge haben ihren Service mangels Kundschaft eingestellt.
Und so kommt es, dass eine überschaubare Zahl von Neugierigen einer noch überschaubareren Clique von Kitesurfern zuschaut, wie sie sich vom warmen Wind ziehen lassen, angefeuert von hämmernden Beats und vor der ausladenden Reklame einer österreichischen Aufputschbrause.
Deutsche Gäste gibt’s zur Zeit nicht
In den Hoteleingängen müssen alle durch Durchleuchtungsportale. Nebenan tragen sich, unter aufmerksamen Blicken von Sicherheitsleuten, Gäste in ein An- und Abwesenheitsbuch ein. Auf dem Weg nach Hurghada zieht sich eine zwei, drei Kilometer lange Privatstraße durch die Resorts, bis sie vor einer Wachstation endet, die meist geöffnet ist, aber wie eine Straßensperre geschlossen werden kann. Sicherheit hat Vorrang, auch auf die Gefahr hin, dass sich der eine oder andere Gast wie in einer Gated Community vorkommen mag, in einem kalifornischen Rentnerdorf.
Auf der öffentlichen Straße herrscht in diesen Tagen verhaltener Verkehr, der manchmal kurz ins Stocken gerät, weil Autos kontrolliert und durchsucht werden. Militär und Polizei fallen im Straßenbild kaum auf, wie überall in Ägypten werden aber koptische Kirchen etwas waffenstarrender bewacht als andere öffentliche Einrichtungen, etwa die Moscheen. Die St.-Schinuda-Vater-der-Eremiten-Kirche in Hurghada ist, wie viele koptische Kirchen, ausgestattet mit hinreißendem Sakralkitsch – Kirchengeschichte als Poesiealbum.
Leben Christen in Hurghada unsicher? „Nein“, sagt George Kaiser, der Empfangschef im Hotel Tropitel. Nicht nur sein ungewöhnlicher Name weist auf koptische Wurzeln hin, auch das Kreuz, das er an einem Halsband trägt. Er arbeite im Hotel kollegial und freundschaftlich mit muslimischen Kollegen zusammen.
Präsident erwägte komplettes Alkoholverbot über Ägypten
Gemeinsam seien sie Ende Juni gegen die herrschende Mursi-Regierung auf die Straße gegangen. In jenen Tagen demonstrierten Mitarbeiter und sogar Gäste auf der zentralen Sheraton-Straße gegen Präsident Mursi und seine Muslimbrüder, weil ihre Tourismuspolitik die europäischen Gäste irritiere und sie selbst um Lohn und Brot für ihre Familien bringe. Der abgesetzte Präsident hatte unter anderem erwogen, ein komplettes Alkoholverbot über Ägypten zu verhängen. Ihm schwebte zudem eine Art muslimischer Religionstourismus vor, vor allem mit frommen Reisenden aus dem Iran. Verrückte Idee, sagen viele. Aber in dieser Hinsicht, sagen Politiker und Wirtschaftsleute, die Mursi begegneten, sei er wie vernagelt gewesen. Beratungsresistent.
Vor dem sittenstrengen Mursi waren im Hotelbetrieb 2000 ägyptische Pfund und mehr in der Woche zu verdienen, umgerechnet zwischen 300 und 400 Euro. Jetzt, wo Trinkgelder und Ausschüttungen aus einem sogenannten Zwölf-Prozent-Topf ausbleiben, müssen die Hotelangestellten mit 500 Pfund zurechtkommen, umgerechnet 70 Euro. Viele sind sogar in einen unbezahlten Zwangsurlaub geschickt worden, weil ihr Arbeitgeber das Hotel so lange geschlossen hat, bis die europäischen Flug- und Reiseveranstalter wiederkommen.
Es gibt Hotels, die nur zu einem Zehntel ausgelastet sind, andere – etwa das Tropitel – freuen sich über einheimische Familien, die hier sehr günstig acht oder zehn Tage einen All-inclusive-Urlaub verbringen. Auslastungsgrad des 566-Betten-Resorts: Immerhin 50 Prozent. Umsatzrückgang: bis zu 90 Prozent. Deutsche Gäste, die hier sonst mindestens jedes zehnte Bett belegen, gibt’s zur Zeit nicht.
In Hotels wie dem Tropitel, die in der Krise durchhalten, geht’s dennoch über die Maßen antizyklisch zu. Im Service werden Extraschippen an Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Aufmerksamkeit aufgelegt. Irgendeine Tristesse lässt sich niemand anmerken.
„Die Reisewarnungen der europäischen Länder werden bald aufgehoben“, glaubt Hossam Gouda El Shaer, Eigentümer der Sunrise-Hotelkette am Roten Meer und Sprecher der ägyptischen Tourismuswirtschaft. Dann werde es noch für eine oder zwei Saisons billige Lockangebote geben, bis sich der Markt preislich wieder in die gewohnten Luxus- und Mittelklassesegmente sortiere.
Im Ferienort Sal Hasheesh, wo schätzungsweise jedes dritte Hotel vorläufig dichtgemacht hat, ist bis dahin eine traurige Kulisse zu besichtigen: Gelangweilte Sicherheitsmenschen bewachen vor leeren Hotels vereinzelte Arbeiter, die die Grünanlagen bewässern. Nebenan kullert eine Plastikpulle vor einer Bauruine, die mal eine einladende Hotellandschaft werden sollte, bevor die Tourismuswirtschaft ins Stocken geriet.
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