Belfast: Die Stadt ist Leinwand
Lange war Belfast der Schauplatz von blutigen Konflikten. Nun ist Frieden eingekehrt. Und alles Graue wird bunt.
Das Gerichtsgebäude des viktorianischen Stararchitekten Sir Charles Lanyon steht verwaist hinter einem Bauzaun. Demnächst wird das Crumlin Road Courthouse zum Luxushotel umgebaut. Gut zehn Jahre nach dem nordirischen Karfreitagsabkommen richtet sich Irlands Norden auf steigende Besucherzahlen ein. Mit der Überwindung des konfessionellen Konflikts wird auch am symbolischen Ort die Klientel wechseln: Wo einst gewalttätige Loyalisten und Republikaner abgeurteilt wurden, werden zukünftig fünf Sterne gehobenen Komforts funkeln. „Falls es dann dort ein gutes Drei-Gänge-Menü gibt, werde ich vielleicht noch mal hingehen", sagt David, der als politischer Häftling bis 1980 im gegenüberliegenden Gefängnis einsaß.
Wenn nicht David, dann werden andere kommen. Mag Irland auch mit Europa hadern, als Urlaubsziel ist die Insel gefragt. Und sie wächst dabei immer mehr zusammen. Noch werden die Entfernungen im Norden in Kilometern gemessen, aber die Grenze zwischen der Republik und Nordirland ist verschwunden.
Knapp drei Stunden dauert die Autofahrt von Dublin nach Belfast. Sonnabend Nachmittag, Wochenende für Béal Feirste, „die sandige Furt an der Flussmündung“. Auf dem Saint George's Market werden die letzten Einkäufe erledigt. Zwischen den Verkaufsständen hört man den Blues – ein Folk-Trio spielt auf. „Hanns Wurst“ bietet polnische Spezialitäten an. Auch Europas Osten ist mit Kultur und Arbeitern bis in seinen Westzipfel vorgestoßen.
Draußen, vor den historischen Hallen, hat sich die City längst von den Narben der Vergangenheit befreit. Absperrungen und Sicherheitskontrollen gibt es nicht mehr. Inzwischen füllt Belfast einstiges touristisches Niemandsland mit historischem Erbe und moderner Architektur. An den Ufern des Lagan River wird es urban, die gläserne Waterfront Hall setzt Zeichen für kulturellen Aufbruch. Dublins Amüsierviertel Temple Bar hat Konkurrenz bekommen. Zwischen Rathaus und Universität hat Belfasts „Golden Mile“ die Ruhe genutzt, um aufzublühen.
„Die juristische Fakultät der Universität hat damals entscheidend am Friedensabkommen mitformuliert“, sagt Anna, die als Deutsche seit Jahren in Belfast lebt. „Inzwischen sind von der ehemals 10000 Mann starken britischen Peace Keeping Force nur noch 3000 im Land, die kaum auffallen.“ Zu sehen ist dafür anderes: Die Spuren der „Troubles“, jenes Jahrzehnte währenden Konflikts, erhalten als politische Kunst immer mehr Aufmerksamkeit. Auf die Hauswände der Stadt gemalt, erzählen diese „murals“ irische Geschichte, erinnern an Märtyrer und markieren dabei noch immer konfessionelles Terrain.
Die Falls Road führt nach West-Belfast hinein, einst ein explosiver Stadtteil, der in der Mehrzahl von Katholiken bewohnt wird. Von den fünf Divis-Towers am Anfang der Straße steht noch einer, frisch renoviert. Auf diesen Hochhäusern landeten in Hochzeiten der Unruhen die britischen Truppen per Hubschrauber.
Zwar hat sich der Stadtteil inzwischen beruhigt, doch am Eingang klagen die Botschaften der „International Wall“ an. Ein bebildertes Stenogramm globaler Konfliktherde: Befreit Palästina, keine Sklaverei, kein Krieg mehr im Irak, ja überhaupt kein Krieg mehr. Für Mark Ervine, einer der Künstler, der auf dieser Wand eine Interpretation von Picassos Guernica-Gemälde mitgestaltete, steht fest: „Was einst ein komplexes und verstörendes Porträt des Krieges war, wurde zum Symbol des Friedens, etwas, mit dem wir uns in Nordirland sehr identifizieren können.“
Einige Meter weiter parkt vor dem Shinn-Féin-Büro, der Adresse der nationalistisch-katholischen Partei, ein schwarzes Taxi. Das lokale Transportunternehmen, das einst auch politischen Ex-Häftlingen Jobs als Fahrer anbot, lässt inzwischen Betroffene als Tourguides aus erster Hand erzählen. Doch am Wochenende hat die Politik die Rollläden heruntergelassen, die Parteizentrale ist geschlossen.
Zu bewundern ist die Giebelseite des Hauses: In leuchtenden Farben wird dort an Bobby Sands erinnert, der als irischer Widerstandskämpfer und Abgeordneter des britischen Unterhauses während eines Hungerstreiks 1981 verstarb. Sands wollte seine Anerkennung als politischer Gefangener erreichen.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren nur Protestanten auf die Idee gekommen, Hauswände als Malgrund zu verwenden. Das erste Bild zeigte König William auf seinem Schimmel, nachdem er die katholischen Truppen in der Boyne-Schlacht von 1690 besiegt hatte. Doch seit dem Hungerstreik der IRA-Häftlinge nutzte auch die katholische Seite diese „murals“ als Propagandamedium.
Wer die Politkunst West-Belfasts studiert, wird rasch feststellen: Katholische Motive betonen mit Darstellungen aus keltischen Mythen immer wieder auch die eigene, die irische Kultur. Protestanten bevorzugten die paramilitärische Symbolik und widmeten riesenhaften Kämpfern mit Tarnmützen und Kampfanzügen gleich ganze Hausseiten.
Doch auch die britische Regierung weiß: Wer dauerhaften Frieden schaffen will, muss vor allem die Symbole des Krieges beseitigen. Deshalb rüstet Belfast heute auch an seinen Wänden mit Pinsel und Farbe ab. „Re-Imaging Communities“ heißt die Parole aus London. Allzu martialische Wandbilder in loyalistischen Wohngebieten sollen übermalt werden, positive Bilder sind gewünscht. Knapp fünf Millionen Euro sind im Topf, damit Gewehre, Granaten und Parolen verschwinden. „Die Verhandlungen laufen noch“, sagt Anna. „
Von der Falls Road zweigen einige Querstraßen nach Norden ab, hin zur protestantischen Shankill Road. Noch steht zwischen beiden Straßen die „peaceline“, die gemauerte Trennwand der Konfessionen. Aber die Tore stehen offen. „Das ehemalige Niemandsland direkt entlang der Mauer ist wieder bewohnt“, freut sich Anna und zeigt auf neue, bunte Wohnblocks. Selbst in Zeiten großer Spannungen habe es hier immer wieder die politische Diskussion gegeben, betont sie. Das West Belfast Community Festival, das in diesem August im 20. Jahr veranstaltet wird, sei dafür das beste Beispiel.
Wir gehen zum Hafen. „Zukünftig möchte Belfast sein Erbe der ,Titanic‘ mehr in den Mittelpunkt stellen“, sagt Anna. Bis zum 100. Jubiläum des Untergangs sind es noch vier Jahre. Mit Dieselduft und Erklärungen im nordirischen Dialekt tuckert die Titanic Boat Tour hinaus ins Hafenbecken. An Bord werden Schwarz-Weiß-Fotografien herumgereicht: Die „Titanic“, gezeichnet, gebaut und vom Stapel gelassen. In natura scheint sich am Thompson Trockendock, wo der Ozeanriese mit üppigem Luxus ausgestattet wurde, seit einem Jahrhundert nicht viel verändert zu haben. Wo das Schiff stand, sprießt das Unkraut. Bis zum Jubiläum wird sich das ändern. In einem Seitenarm des Hafens liegt die „Nomadic“ und wartet auf frische Farbe. Das Zubringerschiff zur „Titanic“ brachte damals John Jacob Astor und Benjamin Guggenheim, die reichsten Männer der Welt, an Bord. Noch werden Sponsoren für die weitere Überholung des Schiffes gesucht.
Queen's Quay, Hanover Quay und Donegall Quay, mit den Kaianlagen rund um das Lagan-Wehr verbindet sich viel Stadtgeschichte. Wie andere viktorianische Städte, etwa Glasgow oder Leeds, wuchs Belfast durch den Industrieboom schnell. Leinen, Schiffbau, Baumwolle, Tabak und Buchdruck hießen jene Waren, die die Entwicklung der Hafenmetropole Ende des 19. Jahrhunderts zügig vorantrieben.
Die ersten Wandgemälde Belfasts tauchten 1906 nahe der Werft auf. Man vermutet, dass sie von einem Hafenarbeiter gefertigt wurden. Die Industriefarbe dafür hatte er vermutlich geklaut.
Dirk Wegner
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