Kopenhagen: Die Stadt der guten Laune
Das größte Aquariumbecken der Welt, Bio-Gourmettempel und E-Bikes zum Ausleihen: Kopenhagen setzt immer neue Trends.
Hering ist Hering und Dorsch bleibt Dorsch. Den Fisch erfindet niemand neu – sein menschengeschaffenes Zuhause aber, die Aquarien, präsentieren sich immer aufregender, immer spektakulärer. Seit März vergangenen Jahres erhebt sich am Öresund „Der Blaue Planet“, sozusagen ein Tempel für alles, was von der Natur mit Flossen, Schuppen und kleinen, spitzen Zähnen ausgestattet wurde. Nicht die einzige aufregende Attraktion, die Kopenhagen zu bieten hat.
Wie ein riesiger Propeller mit schimmernder Silberhaut liegt der „Planer“ unmittelbar am Wasser, direkt gegenüber des schwedischen Malmö. Im angeblich größten Aquariumbecken der Welt ziehen Hammerhaie, Tarpune und Zackenbarsche ihre Bahn, Stachelrochen gleiten auf fächelnden Schwingen durch die vier Millionen Liter Meerwasser, die von einer 45 Zentimeter dicken Panoramascheibe zurückgehalten werden. Das Szenario ist in fünf „Welten“ aufgeteilt.
Über dem Vogelfelsen der „Färöer“ beispielsweise schreien die Möwen, in den „Großen Seen Afrikas“ wimmelt der komplette Farbkasten tropischer Natur, und am „Amazonas“ verharren goldglitzernde Piranhas bewegungslos im Wasser, als hätte jemand jeden einzelnen an Fäden hineingehängt, wie eine kostbare Schaufensterdekoration.
Und dann sind da natürlich die Zahlen: 450 Arten. 20 000 Tiere. Ein 16 Meter langes Korallenriff. Schon im ersten Jahr kamen 1,3 Millionen Besucher – das doch recht kleine Kopenhagen hat es manchmal gern ein bisschen größer.
Mit dem richtigen Riecher, kann man es weit bringen in Kopenhagen
Die dänische Hauptstadt ist wie eine Wundertüte, aus der immer wieder mal neue Überraschungen purzeln. Der Besucher kann jedoch darauf vertrauen: Alles Alte ist an seinem Platz. Der Tivoli. Das interessante Arbeitermuseum. Die königlichen Pferde morgens vor Schloss Christiansborg. Aber mit Sicherheit ist einiges Neue dazugekommen: eine Muschelzucht mitten im Stadthafen. Der „Streetfoodmarkt“ in einer Industriehalle. Neue Geschäfte für Superheldenmasken oder feinste Papierwaren aus San Francisco.
„Ich bin Lasse“, sagt grinsend der pausbäckige junge Mann mit der Tolle. „Ich bin 24 Jahre alt. Und Haferbrei ist mein Leben.“ Lasse Andersen hat gut lachen: In seinem „Groed“, einem winzigen, ehemaligen Fahrradkeller in der angesagten Jaegerborggaede, sitzen junge Männer mit Basecap, Vollbärten und klug ausschauenden Freundinnen, löffeln dabei begeistert Vierkornmüsli, italienisches Risotto oder Apfelgrütze. Vor drei Jahren hat Lasse den Imbiss eröffnet, in dem Brei in vielerlei Form serviert wird – inzwischen ist es so erfolgreich, dass er in der neuen, hochfeinen Markthalle Torvehallerne einen Ableger einrichten konnte.
Röde Gröde med flöde, Dänemarks zungenbrechender Klassiker Rote Grütze mit Sahne in der Bio-Variante als Modesnack – sieh an! Wer den richtigen Riecher hat, kann es also weit bringen in Kopenhagen, insbesondere auf kulinarischem Terrain. Jüngst wurde das „Noma“ zum dritten Mal zum besten Restaurant der Welt gewählt. Die neue skaninavische Küche startete in diesem Edellokal von René Redzepi vor zehn Jahren seinen Siegeszug um die Welt.
Soeben wurde eine neue Generation Stadträder eingeführt
Aber auch wer nicht monatelang auf eine Reservierung im Allerheiligsten warten will, findet jede Menge vielversprechender Ausweichmöglichkeiten. Das sternengekrönte „Geranium“ etwa serviert hochverfeinerte vegetarische Küche. Im „Manfreds & Vin“ geht es hingegen kulinarisch etwas bodenständiger zu. Das Keller-Ambiente ist ausgesprochen gemütlich, zum Essen werden Bio-Weine serviert. Gegründet wurde es von Christian Puglisi, einem „Noma“-Schüler.
Auch Matthew Orlando hat seinen letzten kulinarischen Schliff im „Noma“, dieser Keimzelle kulinarischer Talente, erhalten. Im vergangenen Herbst eröffnete er auf der Hafeninsel Rafshaleöen – wo gestern das Finale des European Song Contest stattfand – sein Restaurant „Amass“. In der offenen Küche entstehen Köstlichkeiten wie Tintenfisch mit Mandelemulsion, Dry-aged-Rinderfilet mit Buttermilchsoße und Giersch oder Hühnerhaut mit Salzpflaumen und Rettich – kein kulinarischer Schickschnack, sondern vielmehr köstliche Geistesblitze aus überwiegend skandinavischen Zutaten.
Kopenhagen gelingt es immer wieder, Trends zu setzen. Soeben wurde eine neue Generation Stadträder eingeführt. Jedermann kann die 250 schweren, weißen „Bycyklen“ an verschiedenen öffentlichen Stellen unkompliziert ausleihen. Sie sind mit Elektromotor ausgestattet und haben ein fest eingebautes Tablet, auf dem der Fahrer in Dänisch oder Englisch per GPS navigieren, Informationen zu Sehenswürdigkeiten abfragen oder sich Hilfe bei technischen Problemen holen kann. Aufgeladen werden die Minicomputer an den Leihstellen, bezahlt wird per Kreditkarte, umgerechnet drei Euro pro Stunde.
„Mitzwa“ bedeutet „gute Tat“
Auch architektonisch macht die Stadt gern von sich reden. Vor zehn Jahren entstand der „Schwarze Diamant“, der Neubau der Königlichen Bibliothek, mit der großartigen Deckenmalerei des Dänen Per Kirkeby. Ganz selbstverständlich haben die Kopenhagener das Gebäude inzwischen in Besitz genommen. Die Liegestühle davor, mit Blick übers Wasser, sind bei entsprechendem Wetter fast immer besetzt.
In den Altbau dahinter hat Daniel Libeskind das Jüdische Museum eingepasst. Auf engem Raum erzählt es die Geschichte der Juden seit dem 17. Jahrhundert in Dänemark und zeigt sie mit Tagebüchern, Thorarollen, Schneiderscheren und Porträts. Die verwinkelten Gänge sind den Buchstaben des Wortes „Mitzwa“ nachgebildet – „gute Tat“ bedeutet es, oder auch „die Pflicht, das Richtige zu tun“. Die schrägen Wände aus hellem Holz, über die gezackte Lichtbalken laufen, und die schiefen Ebenen des Fußbodens erzeugen ein Gefühl der Verunsicherung, jahrhundertelanger Begleiter des jüdischen Volkes. Und nicht zuletzt erfährt der Besucher, dass die Dänen während der Nazizeit 7200 Juden ins neutrale Schweden schleusten und die Nachbarn sie ganz selbstverständlich aufnahmen.
Nur bis Ende des Jahres wird der „Dome of Visions“ an seinem Platz ein paar Meter weiter stehen bleiben. Die transparente Halbkugel aus recycelbarem Plastik über einer filigranen Holzkonstruktion, die in zwei Wochen auf- oder abzubauen ist, soll ein Beispiel sein für leichte Architektur der Zukunft. Sie dient als „flexibles Kulturzentrum“ und wird vor allem die Diskussion befeuern: Wie geht nachhaltiges Bauen heute? Wie sind Alltagsleben und ehrgeizige Klimaziele wortwörtlich unter ein Dach zu bekommen – nicht zuletzt in einer Stadt, die um 10 000 Einwohner pro Jahr wächst?
Man sollte das Wichtigste nicht aus den Augen verlieren
Eine Antwort darauf soll auch der neue Stadtteil geben, der im Nordhafen entsteht. Das Kreuzfahrtterminal, einer Welle nachempfunden, wurde eben erst eröffnet. Das weiße UN-Gebäude, das an einen Stern erinnert, geht seiner Vollendung entgegen.
Kopenhagen überhäuft seine Besucher mit Angeboten zum Sehen, Schmecken und Erleben. Dennoch sollte hier niemand das Wichtigste aus den Augen verlieren: sich Zeit nehmen! Es gibt kaum Schöneres, als in der Fußgängerzone Ströget zu sitzen, in einen senf-remoulade-ketchup-triefenden Hotdog zu beißen (der neuerdings auch in einer ökologisch korrekten Variante angeboten wird) und das lockere Treiben zu beobachten.
Da ist der goldfarbene Mann, der scheinbar stundenlang in der Luft zu sitzen scheint – und irgendwann hinter der Ecke das eiserne Stützgestell aus seiner Hose zieht.
Männer aus Afghanistan oder Syrien verdienen sich ein paar Kronen dazu, indem sie Schilder hochhalten, die „Iss-soviel-du-kannst“-Restaurants anpreisen. Schulmädchen aus Kolding oder Holstebro versuchen, weltstädtisch-cool eine zu rauchen und gackern doch vor Aufregung beim ersten Klassenausflug in die große Stadt. Und zwischendurch schiebt einer der Herrn im tadellosen blauen Business-Anzug ungerührt sein Fahrrad durch die Menge.
Kopenhagen ist und bleibt die Stadt der guten Laune. Und es entsteht auch hier ein zusätzlicher Zauber, wenn das Wetter mitspielt.
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