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Kilimandscharo: Die Last der anderen

Bis zu 500 Touristen besteigen täglich den Kilimandscharo, der Berg wird der Zone der "extremen Höhe zugeordnet. Ihr schweres Gepäck tragen Einheimische.

Szenen wie aus dem Film „Jenseits von Afrika“: Ähnlich wie einst Karen Blixen und David Livingston sitzen Touristen in den Camps am Kilimandscharo in 4600 Meter Höhe an Tischen und Stühlen in mannshohen Zelten, essen soeben zubereitete Gerichte aus Gemüse und Früchten. Größere Tourunternehmen an Afrikas höchstem freistehenden Berg stellen eigens Zelte mit chemischen Toiletten zur Verfügung, obgleich in jedem Camp ausreichend Plumpsklos vorhanden sind – eine zusätzliche Last für die Träger, die außerdem Tische, Stühle, große Zelte, schwere Gaskocher und frische Lebensmittel bis auf 4600 Meter wuchten. Bei der vorletzten Etappe auf der südwestlichen Seite des 5895 Meter hohen Bergs muss zudem Wasser transportiert werden. Neben all dem schleppen die Porter in der Regel noch das Gepäck der Touristen, die selbst nur kleine Rucksäcke tragen.

Ein Aufstieg auf den Kilimandscharo ist verhältnismäßig kostspielig. Zwischen 1000 und 2000 Euro kostet die sechstägige Tour pro Person. Am Parkeingang werden davon umgerechnet etwa 500 Euro Parkgebühr entrichtet. Von diesen Geldern werden Personalkosten für Ranger, Kosten für die Instandhaltung der Wege und Camps und – wie in Prospekten nachzulesen ist – auch für Umweltschutzprogramme bezahlt. Für einen Touristen stehen in der Regel zwei bis fünf Träger zur Verfügung, außerdem ein Bergführer und ein Koch. Die Gehaltskosten machen insgesamt betrachtet allerdings den geringsten Anteil aus.

Der Kilimandscharo wird als Goldgrube Tansanias bezeichnet, und es gibt wilde Spekulationen, wo das Geld bleibt. Es werden ausländische Tourismusagenturen genannt oder Regierungsbeamte, die sich unrechtmäßig und unverhältnismäßig am Gewinn „beteiligen“. Einigkeit herrscht nicht nur unter den Trägern und Reiseleitern, dass gewiss kein Geld in die Armutsbekämpfung oder in den Umweltschutz investiert wird.

Grundsätzlich bekommen Träger einen Tageslohn von umgerechnet rund zehn Euro, Bergführer etwa 13 Euro ohne Trinkgelder. Wenn man davon ausgeht, dass die Touren durchschnittlich drei bis sechs Tage dauern, bedeutet das für die Träger einen Lohn zwischen 30 und 60 Euro pro Tour. Das ist in Tansania auf den ersten Blick kein schlechtes Einkommen.

Deshalb geht auch Arnold immer wieder auf den Berg. Arnold ist Bergführer aus Marangu, einem kleinen Dorf am Fuße des Kilimandscharo. Zwar hat er ein abgeschlossenes Ingenieurstudium mit Schwerpunkt Solarenergie absolviert, doch um eine feste Anstellung als Solarexperte hat er sich bislang vergeblich bemüht, und Arbeitslosengeld gibt es in Tansania nicht. Wie viele Touren er monatlich machen kann, hängt von der Nachfrage ab. In der Hochsaison seien täglich bis zu 500 Touristen und 1500 Träger und Bergführer auf dem Berg unterwegs, erzählt Arnold. Tendenz steigend.

Beim Aufstieg des Kilimandscharo ist Vorsicht geboten

Der Kilimandscharo wird der Zone „extreme Höhe“ zugeordnet, danach kommt nur noch die „Todeszone“. Jeder Tourist, der sich diesen Höhen ohne ausreichende Zeiten der Akklimatisierung aussetzt, riskiert, höhenkrank zu werden. Bedingt durch das Sinken des Luftdrucks tritt im Körper eine Sauerstoffunterversorgung ein, die Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Atemnot und die Bildung von Ödemen bewirkt. Nicht selten führt die Krankheit zum Tod. Die meisten Touren am Kilimandscharo sind, vermutlich um möglichst viele Touristen anzulocken, sehr kurz. Eine entsprechende Anpassung an die extreme Höhe kann kaum gewährleistet werden. Wie oft und wie lange ein Träger seinen Job ausüben kann, hängt auch von der individuellen körperlichen Belastungsgrenze ab. Joachim, ein „Bergkoch“, meint, dass man sich als Träger höchstens vier, fünf Jahre diesen Anstrengungen aussetzen könne. „Besonders erschöpfend ist die Gipfeletappe, auf der es neuerdings auch Camps gibt.“ Bei einigen seiner Kollegen seien jedoch schon nach weniger als vier bis fünf Jahren bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie etwa Hirnschädigungen, eingetreten.

Laut Gesetz darf die Last der Träger (dazu gehört alles, was für die Touristen getragen wird) 20 Kilo nicht überschreiten. An den Eingangstoren finden, soweit dies möglich ist, Kontrollen statt. Was an „persönlichem Gepäck“ zusätzlich noch mitgenommen wird, liegt in der Entscheidung jedes einzelnen Trägers.

Die Ausrüstung der Träger ist oft mehr als mangelhaft. Die meisten sind auf dem Berg in normalen Straßenschuhen und dünnen, zerrissenen Hosen und Pullovern unterwegs. Arnold berichtet, dass die Mehrzahl der Träger in einer Art Leiharbeiterverhältnis tätig ist. Sie warten an den Eingangstoren des Nationalparks und werden vornehmlich von größeren Tourismusunternehmen angeheuert, die weder ihren Namen noch ihre Adressen kennen. Die Anstellung ist sozusagen anonym. Es gibt für diese Arbeitsverhältnisse weder Sozialstandards noch Absicherungen wie Kranken- oder Rentenversicherung. Oft bekämen die Träger – im Gegensatz zu den Touristen – auch nicht ausreichend zu essen, erzählt er. Die Touristen dagegen bekämen auch auf 4600 Meter noch frisches Gemüse und Fleisch zubereitet.

Arnold hat miterlebt, dass ein Träger einer deutschen Gruppe erkrankte und unbeschreibliche Krämpfe im Magen- und Darmbereich hatte. Zunächst kümmerte sich niemand um diesen Träger, bis Arnold bei den Rangers, die im Camp permanent stationiert sind, intervenierte. Er erhielt die Antwort, dass die Rangers nicht für erkrankte Träger, sondern nur für erkrankte Touristen zuständig seien. Der Leiter der Trägergruppe weigerte sich, bei seinem Reiseveranstalter anzurufen und um Hilfe zu bitten, weil er seine eigene Anstellung gefährdet sah. Erst nach langen Verhandlungen konnte der Träger abtransportiert und in das Kilimandscharo Christian Medical Centre gebracht werden. Mindestens sieben bis zehn Träger sterben aus unterschiedlichen Gründen jährlich am Berg.

Einfache und schnelle Lösungen für die Probleme im Kilimandscharo-Tourismus gibt es sicher nicht. Doch ein erster Schritt wäre die bessere Kontrolle des Maximalgewichts für Träger. Die Einführung zertifizierter Touren, die international geltende Arbeitsstandards für die Träger garantieren, könnte zu Verbesserungen beitragen. Für Touristen gilt, ethisch reflektiert zu reisen. Das heißt, schon bei der Buchung einer Tour Fragen nach den für die Träger geltenden Sozialstandards zu stellen. Am Berg gilt es dann, hinzuschauen und bei offenbarem Missbrauch von Trägern Druck auf die Reiseveranstalter auszuüben. Nur so werden sich nachhaltig Verbesserungen für die Menschen am Kilimandscharo ergeben.

Die Autorin arbeitet beim Evangelischen Entwicklungsdienst e. V. in Bonn als Referentin für den Partnerschaftsprojektefonds. Sie hatte die Gelegenheit, in Tansania mit Trägern am Kilimandscharo in Kontakt zu treten und ihre Situation über mehrere Tage zu erleben.

Andrea Schirmer-Müller

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