zum Hauptinhalt
Ihr Freund, der Weihrauchbaum. Hassan Massoud (r.) und sein jüngerer Halbbruder Mussallam inspizieren das mehrere hundert Jahre alte Gehölz und seine Rinde.
© Helge Bendl

Oman: Die Gabe fürs Jesuskind

Weihrauch war schon in der Antike wertvoll und ist bis heute fester Bestandteil der christlichen Liturgie. In Oman sammeln Männer das Harz in der Wüste.

Schäumend zerstäuben die aus dem weiten Indischen Ozean angereisten Wellen an der Küste. Ein fruchtbarer Streifen zartes Grün beweist, dass der Monsun auch im vergangenen Sommer reichlich Regen geschickt hat für die Bananenstauden, Granatapfelbäume und Kokospalmen.

Dahinter zeichnen sich im Dunst des jungen Morgens Felsen und Geröll ab, aufgetürmt zu Wällen und ausgefressen zu unpassierbaren Schluchten, ausgespuckt und aufgefaltet von einer vor Urzeiten anscheinend ziemlich schlecht gelaunten Mutter Natur: das mächtige Massiv des Dhofar-Gebirges in Oman. Dort soll er gedeihen, der „Duft der Götter“. Und wir wollen ihm nachspüren, mit Männern auf die Suche nach dem wertvollen Stoff gehen, die vom Sammeln des Weihrauchs leben.

Das Dhofar-Gebirge riegelt die Feuchtigkeit ab, die vom Ozean her auf Oman trifft. Je weiter es die Serpentinenstraße hinaufgeht, desto trockener wird es. In der flirrenden Luft des Hinterlands scheint sich dann nichts mehr zu rühren. Nur Kamele bewegen sich in Zeitlupe über eine Einöde aus Stein und Sand. Man riecht: nichts. Die Luft schmeckt nur nach trockenem Staub. Und doch: Hier wächst das „weiße Gold“, für viele eben auch der Duft der Götter.

Einheimische konnten sich den Luxus kaum leisten

Aller Trockenheit zum Trotz, von irgendwo hierher muss sie kommen: „Hojari“, die teuerste aller Weihrauchsorten. Weiße Körner mit leicht grünlichem Schimmer und einem Aroma, das Experten als besonders fein rühmen. Weswegen man im Süden des Sultanats viele Männer in Dischdaschas sieht, den traditionellen weißen Langhemden mit der parfümierten Seidenkordel. Sie lutschen auf einem Stückchen Hojari herum, das ihnen den ganzen Tag lang frischen Atem schenkt.

Früher hätte sich kein Einheimischer diesen Luxus leisten können: Der klebrige Saft des Boswellia-Baums, der hier wächst, war viel zu teuer. Er wurde geerntet, auf verschlungenen Wegen zur Küste gebracht, auf Kamelrücken verladen, und dann quer durch die Wüste und schließlich über die Weltmeere geschickt.

Immerhin wogen ihn die Herrscher der Welt mit Gold auf. Weihrauch war der wohl teuerste und begehrteste Rohstoff der Antike.

Seit Urzeiten durchsuchen die Beduinen das Dhofar-Gebirge

Die scheinbar lebensfeindliche Wüste im Hinterland des Dhofar-Gebirges birgt auch heute noch diesen Schatz. Den allerdings übersieht, wer im klimatisierten Geländewagen sitzen bleibt. Wer das „weiße Gold“ nicht nur suchen, sondern auch finden und das Geheimnis seiner Gewinnung lüften will, muss inmitten der Hochebene aussteigen – genau dann, wenn der kundige Begleiter es mit einem gemurmelten „Stopp“ gebietet.

Hassan Massoud Said Qahoor Al-Mahari dürfte gut 90 Jahre alt sein. Genau weiß er nicht, wann er das Licht der Welt erblickt hat. Dass es in einer Höhle war indes schon, denn das war bei den Beduinen damals üblich. Zur Schule gegangen ist er nie, spricht auch lieber seine Mahari-Sprache als Arabisch, und will sich in seinem hohen Alter auch nicht mehr verpflanzen lassen in die Stadt Salalah an der Küste, wo es vor allem die jungen Leute jetzt hinzieht.

Hassan ist immer barfuß gegangen und trägt auch heute noch keine Schuhe, ernährt sich immer noch fast nur von Datteln und trinkt Ziegenmilch. Und wie anno dazumal sucht er immer noch Schätze. „Früher bin ich wie ein Zicklein in die Wadis hinuntergeklettert“, erzählt er. Von Stein zu Stein hüpfend hat er die engen Trockentäler erkundet, in denen nur alle Jubeljahre Wasser fließt. Heute lässt er es ruhiger angehen, doch das Jagdfieber packt ihn auch in der Ebene. Mussallam, sein jüngerer Halbbruder, ist auch mit von der Partie. Mit einem Spachtel als Werkzeug ziehen sie los. Es ist Zeit: Die Bäume können gemolken werden.

Es ist weiß wie Milch

Alles geritzt. Hassan bearbeitet mit seinem Spachtel die papierartige Rinde des Baumes.
Alles geritzt. Hassan bearbeitet mit seinem Spachtel die papierartige Rinde des Baumes.
© Helge Bendl

Sie wachsen verstreut im Gelände und in ihrem Graubraun gut angepasst an die Erdtöne der Landschaft. Sie krallen ihre Wurzeln tief ins Gestein und trotzen der Hitze mit wenigen grünen Blättern und einer schuppigen Rinde, die beim Berühren knisternd abblättert wie feinstes Papier. Nur dann erschnuppert man einen Hauch vom herben Weihraucharoma, sonst verströmen die Bäume keinerlei Duft. Außerdem sind sie ziemlich unscheinbar und eher mickrig, wie Sträucher. Doch das täuscht. „Der da ist bestimmt viele hundert Jahre alt“, sagt Hassan und zeigt auf einen Baum, dessen Äste gerade mal so dick sind wie sein nicht eben mächtiger Oberarm. Woran erkennt er, ob dieser „Boswellia sacra“ tatsächlich teures Hojari spenden wird oder doch nur ein minderwertigeres Harz?

„Mit den Weihrauchbäumen ist es wie mit deinen Fingern – eigentlich sind sie gleich, doch jeder ist anders“, sinniert der Beduine. „Manche Bäume geben viel Harz, andere gar nichts. Manche Jahre sind gut, andere schlecht. Allah wird sich schon etwas dabei denken.“

Dann stimmt Hassan in seiner Mahari-Sprache einen Sprechgesang an, der von einer reichen Ernte schwärmt. Sein Halbbruder stimmt mit ein, es klingt wie ein Kanon, beruhigend und schön. Beide ritzen nun vorsichtig mit ihren Spachteln die Rinde an, bis das erste Harz austritt. Es ist weiß wie Milch. „Nun muss es ein paar Wochen trocknen, ehe wir es einsammeln.“

Tausende Tonnen landen im Weihrauchsouk von Salalah

Einen weiteren Baum haben die beiden schon vor einiger Zeit angeschnitten – hier hat das Harz bereits Körner gebildet und lässt sich vom Stamm pflücken wie überreife klebrige Früchte. Zehn Kilogramm Weihrauch können so übers Jahr pro Baum durchaus zusammenkommen.

„Viele Omaner suchen sich heute besser bezahlte und einfachere Jobs, ohne harte körperliche Arbeit. Und die Gastarbeiter kümmern sich nicht mehr so vorsichtig wie wir um die Bäume“, klagt der alte Mann. Ob es daran, an den vielen grasenden Kamelen oder gar am Klimawandel liegt, ist unklar, doch die Zahl der Weihrauchbäume geht seit Jahren zurück. Es bleibt indes eine Ernte von tausenden Tonnen – alles landet im Weihrauchsouk von Salalah.

Rauchschwaden ziehen durch die Gänge, Harzbrocken stapeln sich in Säcken bis an die Decke. Frauen wie Fatima Faisal Salem sortieren die Weihrauchstücke nach Größe und Qualität und bieten sie in kleinen Läden an.

„Hojari ist selten und teuer. Aber auch die anderen Sorten kann man verbrennen“, sagt die etwa 80-Jährige und führt vor, wie sich ein Klumpen Weihrauch zischend auf einem Stück Kohle auflöst und sich der ganze Raum mit dem würzig-herben Geruch der ätherischen Öle füllt. Ihren Stand betreibt die Omanerin schon seit mehr als 40 Jahren. „Ich habe meine Stammkunden, die immer bei mir kaufen. Inzwischen kommen auch deren Enkel und Urenkel.“

Das beste Harz gedeiht nur im Oman

Während im Rest der Welt die Nachfrage eingebrochen ist und sich nur langsam erholt, wird in Oman wie eh und je noch viel Weihrauch verwendet. „Jede Familie hat Weihrauchbrenner im Haus. Wir parfümieren damit unser Haar, unsere Kleidung und die Wohnung. Der Rauch vertreibt nicht nur schlechte Gerüche, sondern schützt auch vor Unheil und hält Geister fern“, beteuert Fatima.

Im Weihrauchmuseum von Salalah kennt Direktor Ali Salim Al-Kathiri noch viele weitere Legenden. Zwar gibt es 25 Arten von Weihrauchbäumen, die auch in Ländern wie Indien oder Somalia wachsen. Doch Boswellia sacra gibt das beste Harz und gedeiht nur im Süden des heutigen Oman. „Niemand durfte wissen, woher das kostbare Produkt stammte. So erzählte man Reisenden, der Nebel an den Bergen von Dhofar sei giftig, und feuerspuckende fliegende Schlangen würden die Bäume bewachen und Eindringlinge angreifen.“

Die Römer tauften die Region trotzdem „Arabia felix“, das glückliche Arabien: Die Händler waren sagenhaft reich und das Land zwischen Meer und Bergen nach dem Monsun fruchtbar grün, während anderswo auf der Halbinsel das Wasser stets knapp war. „Vermutlich liegt es auch an diesem Mikroklima, dass das Harz aus der Dhofar-Region so intensiv duftet“, meint der Weihrauchspezialist. „Die Bäume mögen es trocken und heiß, doch sie brauchen auch feuchte Luft.“ Schon die Pharaonen hatten einst versucht, gestohlene Bäume in Ägypten einzupflanzen. Doch das Projekt schlug keine Wurzeln: Boswellia sacra wächst zwar auch anderswo, produziert dann aber schlechtes oder gar kein Harz.

Die Tränen von Allah

Dufte Ware im Basar
Dufte Ware im Basar
© Helge Bendl

„Schon im fünften Jahrtausend vor Christus wurde mit Weihrauch aus dem Dhofar gehandelt. Die Blütezeit war dann kurz vor der Jahrtausendwende, als große Häfen entstanden und die halbe Welt mit dem Duftstoff beliefert wurde“, erzählt Ali Salim Al-Kathiri. Mediziner nutzten es zur Wundreinigung und zur „Stärkung von Geist und Verstand“.

Vor allem aber kam es bei kultischen Handlungen zum Einsatz: Die Ägypter heiligten ihre Begräbnisstätten mit Weihrauch, bevor die mumifizierten Pharaonen ihre Reise ins Reich der Toten antraten. Als römischer Kaiser hatte man Anrecht auf eine Weihraucheskorte.

Kaiser Nero soll wie bei vielem den Ritus auf die Spitze getrieben und eine Jahresproduktion an Weihrauch verbrannt haben, um seine verstorbene Frau zu ehren. Königin Saba brachte ihn Salomon als Geschenk mit. Später schätzte man den Duft auch im Islam und huldigte dem Weihrauch mit dem Ehrennamen „Tränen Allahs“.

Auch die Heiligen Drei Könige hatten Harz dabei

In der christlichen Liturgie hat der aus anderen Kulten übernommene Weihrauch bis heute einen festen Platz. Schon im griechisch-römischen Kult kam ihm eine religiöse Bedeutung zu. Der Rauch des verbrannten Harzes wird zum Zeichen für das nach oben steigende Gebet und die Verehrung Gottes. Im römischen Reich wurde auch dem als göttlich verehrten Kaiser Weihrauch geopfert. Auch die Heiligen Drei Könige hatten, so beschreibt es der Evangelist Matthäus, das wohlriechende Harz dabei.

Als die Weisen aus dem Morgenland geführt vom Stern von Bethlehem zum neugeborenen „König der Juden“ pilgerten, kamen sie nicht mit leeren Händen, sondern beschenkten den Messias mit den kostbarsten Gütern ihrer Zeit: „Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar.“

Heute machen neue Weihrauchöl-Kreationen Furore

Im Oman des 21. Jahrhunderts ist der Weihrauch immer noch ein beliebtes Geschenk, auch für Normalsterbliche. Doch die Verehrung für das „weiße Gold“ treibt derweil neue Blüten. Trygve Harris ist eine professionelle Duftjägerin wie Jean-Baptiste Grenouille im Roman „Das Parfum“ – allerdings sympathischer und weniger mörderisch. Mithilfe eines selbst gebauten Destillierapparats füllt sie omanischen Weihrauch als ätherisches Öl ab –verkauft wird in Salalah, aber auch in einem Laden in New York.

Wirklich verblüfft hat die Amerikanerin die Omaner jedoch mit einer Kreation, bei der man sich den Duft der Region auf der Zunge zergehen lassen kann. Seit dem Sommer ist ihre handgemachte Schöpfung der Renner im ganzen Land und deswegen ständig ausverkauft.

„Ich nehme Weihrauch von den Klippen über dem Strand von Mugsayl, der ist ganz schwarz. Und die Milch, die Sultan Qabus ibn Said in seiner Molkerei herstellen lässt“, verrät sie. Zusätzliche Aromen verwendet sie keine. Trotzdem schmeckt ihre Erfindung nach fruchtiger Orange, nach kühlem Kampfer und nach scharfem Pfeffer. Und der Duft? Der ist beim Weihraucheis natürlich ebenso verführerisch.

Zur Startseite