Flusskreuzfahrt: Der Rhein kann so nüchtern sein
Ade, Loreley-Romantik: Wer von Köln aus flussabwärts schippert, staunt über flaches Land.
Glück gehabt. Keine auf Grund gelaufenen Frachtschiffe, kein Schleusenstreik hat unsere Rheinfahrt behindert. Nur eine kleine Karambolage gab es. An der war nicht die Loreley schuld, sondern der Wind. Der Kapitän hatte auch nicht gedankenversunken zur schönen Blondine hinaufgeschmachtet, sondern schon seit Stunden gegen die heftigen Böen angesteuert, die der großen Wasserfläche sogar Wellenkämme bliesen. Aber genau genommen ist bei dieser Rhein-Kreuzfahrt ohnehin alles anders. Und richtig auf dem Rhein findet sie auch nicht statt.
Von Köln aus flussabwärts? Wer von diesen Reiseplänen erzählt, wird mitunter mitleidig gewarnt: „Da ist der Rhein aber nicht mehr so schön.“ Irgendwie stimmt das sogar. Vorbei ist es mit all der putzigen Idylle, mit Fachwerkstädtchen am Ufer, Weinbergen an den Hängen und Burgen in der Höhe. Sobald der Kölner Dom in der Ferne verschwindet, bestimmt wuchtige Industrie das Bild. Container. Tanks. Rohrleitungen.
Aber die Gäste auf der „Bellriva“ schippern ohnehin zunächst in ihre erste Nacht an Bord hinein, packen Koffer aus, ergattern sich Sitzplätze im Restaurant, buchen Ausflüge.
Die „Bellriva“, Baujahr 1971, ist eine gepflegte kleine alte Dame unter den Passagierschiffen. Sie hat weder Whirlpool noch Beautysalon und die Kabinen der untersten Kategorie sind arg schmal. Doch die Kellner kennen schon am zweiten Tag das Lieblingsgetränk jedes Passagiers und die Reisenden jeden Winkel ihres schwimmenden Mittelklassehotels.
Wo es langgeht, sagt der alten Dame Thomas Topf, der erste Kapitän. Als Chef ist es für ihn die erste Saison, doch den Rhein kennt er wie seine Westentasche. Auf diesem Fluss hat er, mit 30 als Seiteneinsteiger zur Schifffahrt gekommen, den Beruf gelernt, erst mit Fracht, dann mit Passagieren. Für den Rhein und seine Nebenflüsse hat er alle Patente. Und so fährt er jedes Jahr zwischen März und Oktober von Köln nach Basel und zurück und dann von Köln bis Rotterdam und zurück. In der Domstadt wechselt bis auf ein paar „Durchfahrer“ der größte Teil der Passagiere. Den Kapitän kann die Loreley nicht mehr becircen und der Nebel im Norden raubt ihm nicht den Durchblick. Trotzdem erklärt er, dass der Rhein überall seine schwierigen Passagen hat. Bis Mannheim sind es die oft starken Strömungen, dann kommen ein paar enge Kurven, erst um Duisburg herum ist leichter zu manövrieren.
Was macht für ihn als Schiffer das Spezielle an der Nordroute aus? „Die großen Wasserflächen und das flache Land sind nicht ohne für ein Flussschiff, das nur 1,60 Tiefgang hat, aber acht Meter hoch und um die hundert Meter lang ist. Wenn da starke Winde kommen, beginnen die heftig zu schieben. Das ist mindestens so eine Herausforderung, wie den Felsen der Loreley zu umschiffen. Und man sieht, in Rotterdam zum Beispiel, auch mal wirkliche Ozeanriesen.“ In der Regel, so der Kapitän, sei das Publikum auf der Nordroute ein paar Jahre jünger. Es gebe mehr Passagiere, die sich für Schiffs- und Hafentechnik, für Polder und Pumpen, für Schleusen, Brücken und Kanäle interessierten und die ihn zu technischen Details der „Bellriva“ löcherten.
Aber auch dieses etwas geringere Durchschnittsalter verhindert nicht, dass am Abend in Amsterdam die Mehrzahl der Passagiere im Salon sitzt und auf Kommando des Bordmusikers brav „Die Hände zum Himmel“ streckt und bei „Tulpen aus Amsterdam“ schunkelt. Die dazu passenden Zwiebeln haben die Reisenden schließlich schon in der Kabine gebunkert, mehr interessiert sie offenbar nicht. Die wenigsten stürzen sich in die bunte Kneipenszene der Stadt. Könnte man aber. Und wer Angst hat, sich zu verirren, der greift sich an der Rezeption einfach eines jener Zettelchen, das jedem Taxifahrer sagt, wo die „Bellriva“ angelegt hat: „De Ruyterkade Steiger 18b“, nebst Telefonnummern. Die Besatzungsmitglieder jedenfalls, sofern sie nicht in Salon oder Bar zu sausen haben, schlendern durch die nächtliche Stadt, in Amsterdam und später auch in Antwerpen. Deshalb gilt die Nordroute bei der jugendlichen Mannschaft auch als die beliebtere. Szeneclubs statt Drosselgassen-Schenken.
Es wird knifflig im Rheindelta
Während das Schiff in einer Nacht von Köln bis Amsterdam mit voller Kraft voraus gefahren ist, beginnt dann die Bummelei von Hafen zu Hafen: Volendam, Hoorn, Rotterdam, Willemstad, Gent, Antwerpen, Nijmegen ... Anders als am Mittelrhein, wo die Schiffe meist an der Promenade und sozusagen mitten in der Kultur anlegen, ist das im Norden in jedem Hafen anders. Wer sich durch die Kataloge wühlt, um seine passende Reise zu finden, sollte das im Auge haben. Will er die von allen Veranstaltern organisierten Busrundfahrten buchen, ist er aller logistischen Sorgen ledig. Die weniger idyllischen Viertel sind schnell durchfahren. Ein Teil der auf dem Reiseplan angegebenen Orte ist ohnehin nur per offiziellem Ausflug zu erreichen, Den Haag beispielsweise, Delft, Brüssel und Brügge oder das Windmühlen-und-Käse-Museumsdorf Zaanse Schans. Zudem würde der Fußgänger einfach zu wenig kennenlernen.
Amsterdam ist da eine Ausnahme. Hier liegen die Kreuzfahrtschiffe direkt am Bahnhof. Von dem aus gelangt man zu Fuß, mit der Straßenbahn oder einem der an Bord auszuleihenden Räder mitten hinein ins Gewusel. Anderswo, in Gent zum Beispiel, findet man sich zwischen Lagerhallen und Frachtern wieder und hat kaum eine Chance, zu Fuß zu Kirchen und Cafés vorzudringen. Rotterdam wäre ohne Stadt- und Hafenrundfahrt kaum zu überblicken: eine Skyline, die ihren Namen verdient, moderne Architektur, der größte Seehafen Europas … „Was soll denn daran sehenswert sein?“, nörgelt ein alter Herr im Bus, dem offensichtlich die Windmühlen und der Käseladen fehlen.
Für einen gemütlichen Bummel auf eigene Faust eignen sich eher die kleineren Orte. Hoorn zum Beispiel. Die um 1300 gegründete und erst im 17. Jahrhundert von Amsterdam abgelöste Handelsstadt begrüßt die Kreuzfahrer schon am Anleger mit historischen Gemäuern. Auf einem kurzen Spaziergang erlebt der Hollandreisende alles, was sein Herz erfreut: schmale hohe Giebel und Grachten, in denen sie sich spiegeln, Schiffe und Schiffchen, Kneipen und Teestuben. In Hoorn wurde übrigens der Seefahrer Willem Schouten geboren, der als Erster die Südspitze Amerikas umsegelte und diese nach seiner Heimatstadt Kap Hoorn benannte.
Apropos Geografie: Am besten kauft man sich gleich am ersten Tag an der Rezeption eine Landkarte – und wird dort sehen, dass man ziemlich bald nicht mehr auf dem Rhein unterwegs ist. Kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze beginnt nämlich das Rheindelta. Mit dem Fluss spaltet sich auch sein Name in Waal und Nederrijn. Knifflig wird das Ganze dann noch durch diverse Wechsel der Bezeichnungen ein und desselben Gewässers, durch Kanäle und große Wasserflächen, die die Holländer durch Dämme von der Nordsee abgetrennt haben.
Manchmal schippert man auch auf der Schelde oder der Maas. Damit Hobby-Navigatoren unter den Passagieren nicht den Überblick verlieren, ist bei der Rezeption der „Bellriva“ auch ein Bildschirm angebracht, der die Seekarte und die aktuelle Bewegung des Schiffes anzeigt. Es bleibt also zweierlei: entweder die Route auf der Karte nachverfolgen und penibel markieren oder einfach nur an Deck sitzen, das nahe oder ferne Ufer am Liegestuhl vorbeigleiten lassen, ein Bier bestellen und davon ausgehen, dass der Kapitän schon weiß, wo es langgeht.
Wie war das nun mit der Karambolage? „Es ist nichts passiert. Am Geländer eine Schramme und in der Crewmesse ist der Fernseher vom Regal gefallen.“ Topf winkt ab und erklärt dann ganz sachlich: „Wir hatten Windstärke sechs, und ich hatte vorsichtshalber entschieden, nicht weiterzufahren, sondern anzulegen. Da hat uns der Wind gegen ein anderes Schiff gedrückt. Ganz sanft nur.“ Stimmt, und eigentlich hätten die Passagiere auch ahnen müssen, dass ihnen ein seemännisches Abenteuer bevorsteht. Nur an diesem Abend, nach dem Ablegen in Hoorn, hatte die Mannschaft alle Liegestühle auf dem Sonnendeck zusammengeklappt. Nur an diesem Abend spritzten die Wellen bis an die Fenster der unteren Kabinen. Das war ein Abend mit Hochseeflair. Wie langweilig ist da die Loreley.