Lutherweg: Der rastlose Reformator
Auf dem „Lutherweg“ lassen sich nun die Spuren des unsteten Kirchenmanns verfolgen.
Luther war kein Wanderer. Spätestens seit seine Ehefrau Katharina ihn bekochte, hatte er nämlich eine allzu opulente Statur. Reiter war er auch keiner, nicht zuletzt, weil seine Gallensteine ihn peinigten. Und das strapaziöse Pilgern zu Reliquien lag dem Reformator aus theologischen Gründen ebenfalls fern. Unterwegs war er trotzdem nahezu ununterbrochen. Die Gedanken der Reformation mussten zu den Adligen und unters Volk gebracht werden. Deshalb mangelt es in Mitteldeutschland nicht an Tafeln, auf denen bescheinigt wird, dass der Reformator an diesem Orte predigte, schmauste, übernachtete, sich mit Gleichgesinnten oder Widersachern traf. Wo die Gemäuer 500 Jahre oder älter sind, geht das problemlos. Manchmal wird ausgewichen auf „Hier stand das Haus, in dem Luther ...“
Und manchmal bleibt nur, um die Ecke zu denken: „In diesem Nonnenkloster lebte 1509 bis 1523 Katharina von Bora ...“, steht an der Ruine von Kloster Nimbschen bei Grimma. Luthers spätere Ehefrau floh am 5. April 1523 mit acht Gefährtinnen gen Wittenberg. Wie überall werden die Fakten umhüllt von einem Gespinst aus Legenden. Sind die jungen Frauen wirklich in die Heringsfässer gekrochen, die der Torgauer Ratsherr Leonhard Koppe ihnen geschickt haben soll?
Bestand ihre neue Freiheit tatsächlich darin, in Wittenberg herumgestanden zu haben, um von den Junggesellen der Stadt begutachtet und mitgenommen zu werden? Fest steht jedenfalls, dass ausgerechnet Luther keinerlei Lust auf den Ehestand verspürte. Aber er hatte versprochen, jeder entflohenen Nonne einen Gemahl zu beschaffen – und Katharina war nach zwei Jahren noch immer übrig. Deshalb heiratete er sie 1525. Aus dem Akt der Barmherzigkeit wurde dann doch noch Liebe. Und alle – vor allem die, die Gedenkstätten für Katharina unterhalten – sind sich einig, ohne „Herrn Käthe“, wie Luther seine Frau respektvoll nannte, wäre die Reformation anders verlaufen.
Der Lutherweg in Sachsen verbindet 27 Orte
Durch die unablässige Reiserei Luthers und seiner Mitstreiter und dadurch, dass sich in vielen Orten die Bürger schon früh dem neuen Glauben öffneten, ergaben sich jedenfalls so viele Stätten der Reformation, dass es nicht schwerfiel, die heutzutage durch einen Lutherweg zu verknüpfen. Sachsen-Anhalt und Thüringen taten dies bereits, Sachsen zog nach und eröffnet seinen Lutherweg am 4. Juni in Gnandstein. Diese touristischen Projekte sind Bestandteile der Lutherdekade 2008 bis 2017.
Sie endet mit dem 500-jährigen Jubiläum des Thesenanschlages von Wittenberg. Der Lutherweg in Sachsen verbindet auf rund 550 Kilometern 27 Orte; 43 Informationstafeln geben Auskunft über die jeweiligen Schauplätze der Reformation. Finanziert wurde das 880 000-Euro-Projekt aus Brüsseler Fördertöpfen und Mitteln der teilnehmenden Kommunen. Das meiste Geld floss in die Betreuung und Vermarktung des neuen touristischen Angebotes und in die Beschilderung. Baulich gab es die Wanderstrecken in der Mehrzahl schon.
Die Strecke führt von Torgau aus entweder östlich über Wurzen, Grimma und Rochlitz nach Zwickau oder auf der Westroute über Leipzig und Borna. In Bad Düben könnte der Wanderer auf den Lutherweg von Sachsen-Anhalt abbiegen, in Altenburg auf den von Thüringen. Man kann, aber muss nicht immer zu Fuß unterwegs sein. Wer schummeln will, könnte zum Beispiel von Leipzig aus mit dem Bus nach Grimma abkürzen. Oder er steigt gleich aufs Fahrrad, Motorrad oder ins Auto.
Noch steht nicht jedes Kirchlein für Besucher offen
Allerdings ist der Rundweg – er soll 2015 vollendet sein – bislang nicht ganz rund. Im östlichen Bogen fehlen noch Beschilderungen, vor allem an den Ufern der Mulde, wo im Juni 2013 Hochwasserschäden den Aufbau blockierten. Und überhaupt ist noch nicht in jeder Beziehung Perfektion zu erwarten. Die touristische Infrastruktur bummelt der Wegziehung noch hinterher. Empfehlenswerte Hotels und Pensionen im Tagesmarschabstand gibt es außerhalb der Städte nicht überall; Wandern mit Gepäcktransfer wird ebenfalls noch nicht durchgängig angeboten. Erfahrungsgemäß steht auch nicht jedes Kirchlein offen. Hier wird noch an Möglichkeiten gebastelt, Schlüsselgewaltige in Rufbereitschaft zu halten.
Andererseits rückte der neue Weg auch neue Sehenswürdigkeiten ins Licht, beispielsweise die kleine Ausstellung im Stadtgut Leisnig, in der es um die Leisniger Kastenordnung geht. Dies ist ein Dokument, welches als erste Sozialordnung weltweit gilt. Die Leisniger Bürger erstellten dieses Regelwerk und legten es Luther vor, der ein Vorwort einfügte.
Wer sich auf den Weg machen will, sollte dies also nicht spontan tun. Hilfreich bei der Planung ist ein Kontakt zum Tourismusverband Sächsisches Burgen- und Heideland, der auch Träger des Projektes „Lutherweg in Sachsen“ ist. Dort, so versprechen die Mitarbeiter, weiß man um den jeweils aktuellen Stand der Dinge, versendet druckfrische Wanderkarten und gibt Tipps zur Unterwegs-Information über Handy und iPad.
Hier war Luther nie gewesen
Luther hatte es übrigens auch nicht ganz einfach mit seiner Routenplanung. Es musste nämlich unterscheiden, ob er sich im protestantischen Ernestinischen oder im altgläubigen Albertinischen Teil Sachsens bewegte. Da der Papst ihn für vogelfrei erklärt hatte, erschien es nicht geraten, sich in dessen Einflussgebiet blicken zu lassen. Beispielsweise war Wurzen für den Abtrünnigen solch ein heißes Pflaster. Und so platzierte sich die Stadt am Lutherweg kurzerhand mit der Begründung, dass Luther da nie gewesen war. Das ist also gleich zweimal um die Ecke gedacht.
Etwas zu sehen gibt es trotzdem. Und von Luther zu hören: im Dom beispielsweise, wo einige seiner Nachfahren begraben liegen, im Schloss, wo die ihm feindlich gesonnenen Meißner Bischöfe residierten, und nicht zuletzt darüber, wie Luther an der Beilegung der „Wurzener Fehde“ beteiligt war und so einen Krieg verhinderte.
Damit ein bisschen Leben in den Luther-Tourismus kommt, tun die Sachsen, was anderswo auch gern gemacht wird: Sie schlüpfen in historische Gewänder und Rollen. Die Männer haben das Problem, dass sie – sofern sie den älteren Martin darstellen – oft nicht beleibt genug sind. Aber wenn sie nur hübsch zitieren, haben die Reisenden ihren Spaß.
Ein Goldschmiede fertigt originalgetreu Katharinas Ehering
Besonders beliebt bei weiblichen Gästeführerinnen ist der Part der Katharina im per Gemälde belegten Hochzeitskleid. Im Hotel Kloster Nimbschen plaudert die selbstbewusste Frau zwischen den Gängen des Luthermahls. In Torgau trägt die Lutherin beim Rundgang durch die Stadt sogar ihren Ehering. Dessen Original ist im Leipziger Stadtgeschichtlichen Museum zu sehen, aber der Torgauer Goldschmiedemeister Dietmar Schroetel stellt Kopien des aufwendig gearbeiteten Schmuckes her.
„Das Dekor, das Jesus am Kreuz und die Marterwerkzeuge zeigt, ist mit einem kleinen Stift auf einen ganz schlichten Ehering aufmontiert worden“, weiß er zu berichten. Schroetel lässt extra Rubine in der historischen Form produzieren und dort, wo Katharina ihren Ring zerbrochen hatte, erinnert er mit einem kleinen Knick an das Missgeschick.
Gäbe es so etwas wie ein Ranking der sächsischen Luther-Orte, rangierte Torgau, die „Amme der Reformation“, vermutlich ganz oben. Es war in Torgau, wo 1519 die erste deutsche Taufe stattfand; wo 1520 die erste Predigt in deutscher Sprache gehalten wurde; wo Luther an seinen Schriften arbeitete und wo er 1544 den ersten protestantischen Kirchenbau weihte.
Kunstaktion in Torgau: Bibelverse in 31 000 Handschriften
Einen Besuch in Torgau könnte der Wanderer auf Luthers Spuren mit der Teilnahme an einer außergewöhnlichen Aktion verbinden: In der historischen Superintendentur steht ein kleiner Tisch vor dem Fenster, auf dem ein Lesepult mit einem aufgeschlagenen dicken Buch zu finden ist. Geschrieben, genauer gesagt abgeschrieben, wird die Bibel. Das verschiebbare Kärtchen auf der Vorlage zeigt, wo es weitergeht. Fast 5000 Verse in fast 5000 Handschriften enthält das entstehende Werk bis jetzt. Rund 31 000 sollen es werden.
Torgau ist auch der Sterbeort der Katharina. Als 1552 in Wittenberg die Pest ausbrach, suchte Luthers Witwe dort Schutz. Allerdings durchlebte sie einen Unfall mit ihrer Kutsche, brach sich das Becken und starb wenig später. In der evangelischen Stadtkirche Sankt Marien wurde sie begraben. Die Grabplatte steht so, dass sie und der am Kanzelaufgang abgebildete Luther einander zuzwinkern könnten – oder den Gästen, die ihr Geheimnis zu ergründen suchen.
Auskunft, auch zu Unterkünften: Tourismusverband Sächsisches Burgen- und Heideland, Telefon: 03 43 27 / 96 60, Internet: lutherweg-sachsen.de und luther2017.de, Gruppenreisen unter anderem bei Reise Mission, Telefon: 03 41 / 308 54 10, Internet: reisemission-leipzig.de