Abenteuer Afrika: Der Kick in Tansania
Was eine Familie mit zwei Kindern rund um eine Safari erleben kann.
Wir sind verblüfft. Der freundliche Kellner Clement spricht über Mario Götze und deutsche Fußballclubs, als ob das für einen Tansanier das Normalste wäre: hier an der 2300 Meter hohen Kraterkante des Ngorongoro im Norden Tansanias – am Frühstücksbüfett unserer Lodge. „Borussia Dortmund, Bayern München!“ – Clements Augen funkeln. Wir sind begeistert, obwohl unser Herz für den SC Freiburg schlägt. Wie die Unterhaltung in Gang kam? „Ninatoka Ujerumani“ (ich komme aus Deutschland) – mit dieser Ansage und etwas Zeit für das Begrüßungsritual auf Kisuaheli verblüffen wir touristengewöhntes Personal wie Einheimische. Die Unterhaltung danach ist ein Kinderspiel – in einem Sprachmischmasch.
Wir – das sind Eltern mit zwei jugendlichen Kickern (14 und 17) und der Initiatorin des zweiwöchigen Safariprojekts, der Großmutter. Also zu fünft auf den Spuren der „Big Five“, der großen fünf Wildtiere Afrikas: Elefant, Löwe, Leopard, Büffel und Nashorn. Uralte und fast neugeborene Elefanten haben wir schon auf der ersten Etappe im Arusha-Nationalpark gesehen, der zwischen den Gipfeln von Mount Meru und Kilimandscharo liegt; auch Giraffen, Pavian- und Büffelherden sind dort heimisch. Heute hoffen wir am 1700 Meter hoch gelegenen Kraterboden auf unser erstes Nashorn in freier Wildbahn zu stoßen.
Kurz nach acht Uhr geht es mit dem Landcruiser unseres Veranstalters Afriland Tours & Safaris am Kraterrand entlang zum Windy Gap. Vorbei an winkenden Schulkindern und Kuhhirten der Massai, die sich bei gefühlten zehn Grad Kälte doppelt und dreifach in ihre rot karierten Tücher wickeln. „Wir sind Auto Nummer 61“, erklärt Herman Isaack, unser Fahrer und Guide. Noch rechtzeitig passieren wir das Kratertor, denn maximal 70 Autos dürfen pro Tag hinunter.
Bräsige Gnus, lustige Warzenschweine, fesche Zebras und getupfte Hyänen ziehen querfeldein. Auch ein paar Löwinnen streifen müde durchs Gras, schwarz-weiß gesprenkelte Helmperlhühner scharren im Unterholz, am Hippo-Pool baden Nilpferde und zahlreiche Pelikane waten umher. 28 Nashörner gibt es heute in diesem 20 mal 16 Kilometer großen Unesco-Weltnaturerbe, und die werden von fast ebenso vielen Wildhütern des Rhino-Projekts rund um die Uhr bewacht.
Nicht nur vor Wilderern (ein Kilogramm Nasenhorn soll auf dem Schwarzmarkt bis zu 20 000 Dollar bringen), sondern auch vor allzu aufdringlichen Besuchern sollen sie geschützt werden. Wir haben Glück. Oder besser: Wir haben Herman. Er bemerkt Tiere, bevor andere Fahrer Wind davon bekommen. „Da ist ein Rhino“, sagt er und fährt im Schritttempo weiter. In dieser typischen Herman-Haltung: vorgebeugt aufs Lenkrad, den Kopf leicht angezogen, konzentrierter Blick.
„Da hinten im Gras“ – wir starren auf die weite Graslandschaft und sehen: viel Gras. Durchs Fernglas lässt sich eine Form erkennen. Ein Gnu. Das springt jetzt auf und rennt zu seiner Herde, Vögel flattern auf, und dann läuft es direkt ins Bild, ein stattliches Spitzmaulnashorn, ein Männchen. „Der will wahrscheinlich hinüber zu einer Gruppe Weibchen“, meint Herman. Dazu müsste er bald unseren Weg queren, doch vor uns haben sich inzwischen ein Dutzend Autos gestaut, und es kommen noch mehr. Wir drehen ab und sehen, wie sich ein weißer Pick-up der Ranger weiter vorne quer auf den Weg stellt, damit keiner mehr durchkann – außer dem Bullen. Die Wildhüter beobachten solche Szenen aus der Entfernung und schreiten immer dann ein, wenn ein Stau gelöst werden muss.
Eigentlich dürfen wir uns hier gar nicht aufhalten
„Sie sind Journalistin! Schreiben Sie, dass diese Schlucht Oldupai heißt – nicht Olduvai“, sagt Naishie Lotta, die uns am archäologischen Museum abholt und in den 100 Meter tiefen Abgrund führt. Eigentlich studiert die 22-Jährige in Daressalam Archäologie und Denkmalpflege; hier an der fünf Millionen Jahre alten Schlucht im Nordwesten der Ngorongoro Conservation Area verbringt sie einige Praxiswochen und hat ihr Zelt am früheren Haus des britischen Anthropologenpaars Mary und Louis Leaky aufgeschlagen.
Oldupai ist der Massai-Begriff für Sisal, der hier überall wild wächst. Und da kommen uns auch schon zwei farbenfroh gekleidete Massai-Frauen entgegen. Sie glauben, dass wir sie fotografiert haben, und beschweren sich lautstark. Erst als wir ihnen die Fotos auf dem Kameradisplay zeigen, beruhigen sie sich.
Ganz schön aufregend: Wir stehen am „Grand Canyon der Evolution“. Deutlich türmen sich rechts und links verschiedenfarbige Schichten Erdzeitalter übereinander, am Talboden läuft eine Herde Ziegen. Massai mit ihren Tieren sind hier zu Hause und inzwischen auch Teams von amerikanischen und spanischen Unis, die phasenweise graben, messen, dokumentieren. „An dieser Stelle hat Mary Leakey 1959 den Schädel eines mehr als zwei Millionen Jahre alten Australopithecus gefunden.“ Naishie deutet auf einen unscheinbaren Steinpflock im Boden. Allem Anschein nach konnte dieser Erdling bereits aufrecht gehen. Ein Abguss des Fundes liegt im kleinen Museum, das Original in Daressalam. Forschungen im Oldupai-Graben sind noch längst nicht abgeschlossen, erklärt unsere Fachstudentin.
Endlose Ebene – so heißt Serengeti wörtlich übersetzt. Der etwas abseits gelegene Sportplatz für die Mitarbeiter unserer Lodge, von Akazienbäumen umgeben, ist alles andere als eben. Eigentlich dürfen wir uns hier gar nicht aufhalten, erlaubt sind nur die kurzen Wege zwischen den Bungalows und dem Haupthaus, abends sogar nur in Begleitung des Rangers. Warum? Wir sind im wildreichsten Nationalpark der Welt: grazile Impalas, Dikdiks – eine Art Zwergantilopen –, aber eben auch Büffel, Elefanten und Löwen können natürlich durch die offen gebaute Lodge-Anlage streifen. Und tun es auch. Die frischen Hinterlassenschaften am Morgen belegen es.
Trainer Peter Stanley, in der Serena Lodge im Service tätig, hat uns zum Spiel eingeladen und Herman fährt uns zur Anlage. Unterwegs stehen ein paar Büffel gut getarnt im Gestrüpp, langsam haben auch wir einen Blick dafür. Das Team – Männer, auch Frauen – macht sich warm, und die Jugendlichen aus Deutschland werden von allen sportlich aufgenommen. Nicht ganz selbstverständlich. Denn was für unsere Kinder nach mehreren Stunden Autosafari eine willkommene Abwechslung ist, bedeutet für die Angestellten der Lodge: Freizeit, Ausgleich und eigentlich Ruhe vor den Gästen. Alle legen sich tierisch ins Zeug, drei Tore fallen, die Stimmung ist gut.
Der Blick schweift zu den umliegenden spärlich bewachsenen Hügeln und die Kimarshe Hills im Hintergrund. 18 Uhr vorüber – es dämmert, das heißt, in zehn Minuten wird es stockdunkel. Zeit, zu gehen. Die Jungkicker klatschen mit den großzügigen Gastgebern ab. „Asante sana“ – vielen Dank! Und eine Spende für die Teamkasse. Schon drängen drei Elefanten ungeduldig auf den Fußballplatz. Jetzt gehört das Feld ihnen.
„AC Day Care & Orphanage Center“ heißt eines der Waisenhäuser in Kibaoni am Lake Manyara. Dort stoppen wir bei der Durchfahrt und werden von Anjela Chabai, der 63-jährigen Leiterin, und sieben kleineren Kindern begrüßt. Die übrigen sind in der Schule. Alfan Kaaya ist mit fünf Jahren der Jüngste hier; Selina Octavian ist schon acht – sie bleibt zu Hause, da das Schulgeld nicht für alle reicht. Anjela Chabai, die das Heim 2007 in Eigeninitiative auf ihrem Grundstück gebaut hat – Schlafräume und einen Kindergarten –, erzählt, dass viele Kinder hier Halbwaisen sind.
Die Väter verdingen sich meist als Saison-Fahrer, die Mütter sind an Malaria oder Aids gestorben. Die Kinder habe sie schon mehrfach testen lassen, sie seien gesund. Wie es zum Projekt kam? „Ich habe beobachtet, wie sie im Müll nach Essen suchten.“ Da hätte sie doch etwas tun müssen. Wir tun auch etwas: verteilen zwei Boxen mit Spielfiguren und spenden aus der Reisekasse. Während wir uns unterhalten, spielen Kinder, Betreuer Safieri Mmbambo und die jugendlichen Gäste im Garten Fußball. Es gibt Augenblicke, da scheint die Welt in Ordnung zu sein.
Ursula Thomas-Stein
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