Italien: Der falsche Trevi-Brunnen
Die Cinecittà, Roms Traumfabrik, wird 75 – und hat die Tore für Besucher weit geöffnet.
Es ist eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte: Jener Moment, wo sich Marcello Mastroianni und Anita Ekberg in „La Dolce Vita“ im Wasser der Fontana di Trevi gegenüberstehen. Er im schwarzen Anzug, sie im tief dekolletierten, langen Gewand, über ihnen der steinerne Neptun. Mit wallender blonder Mähne raunt sie ihm zu „Komm, Marcello, komm!“ Wer die Szene gesehen hat, vergisst sie nicht. Und will, wenn er in Rom ist, natürlich den Schauplatz in Augenschein nehmen. Kein Wunder also, dass Roms bekanntester Brunnen täglich von Zigtausenden von Touristen belagert wird. Münzen wirft kaum noch jemand, um – wie die Legende sagt – in die Ewige Stadt zurückzukehren. Auch ins Wasser springt niemand mehr, denn mittlerweile drohen dafür empfindliche Geldstrafen. Stattdessen wird wild geknipst. Jeder möchte den legendären Ort ablichten und das Stück des „süßen Lebens“ mit nach Hause nehmen.
Dabei entstand ein Großteil des Films gar nicht im historischen Zentrum Roms, sondern in der Cinecittà. „Selbst der Trevi-Brunnen wurde hier nachgebaut“, erklärt Giuseppe Basso, Direktor der römischen Traumfabrik, „außerdem Teile der Via Veneto, die eine zentrale Rolle in dem Streifen spielt.“ Ohne die Traumfabrik vor den Toren Roms wären Fellinis Werke überhaupt nicht denkbar. Ob „Roma“, „Casanova“ oder „Die Stadt der Frauen“ – der Kultregisseur brauchte einfach die Konzentration und kreative Atmosphäre der Studios. Vor allem des Teatro No. 5, das zu den größten Europas gehört. Es ist so eng mit seiner Person verbunden, dass hier nach seinem Tod sogar sein Sarg aufgebahrt wurde und unzählige Römer defilierten, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. „Cinecittà ist der ideale Ort, die kosmische Leere vor dem Bigbang“, soll er gesagt haben.
1937 eröffnet, hat nicht nur Fellini das Hollywood am Tiber als Drehort genutzt. Fast alle großen Namen des italienischen Kinos, von Rossellini und Vittorio de Sica über Pasolini und Visconti bis Michelangelo Antonioni haben hier gearbeitet, außerdem entstanden amerikanische Produktionen wie „Cleopatra“ mit Liz Taylor oder Terry Gilliams „Abenteuer des Baron von Münchhausen“. Selbst Woody Allen nutzte die Infrastruktur für die Post production seines letzten Werks „To Rome with Love“. „Cinecittà ist ein Symbol der Filmgeschichte, aus dem Meisterwerke hervorgegangen sind“, ist auch der New Yorker Stadtneurotiker überzeugt.
Ihre Existenz verdankt sie allerdings dem Faschismus. Nachdem die Cines, die Vorgängerstudios in Flammen aufgegangen sind, lässt Mussolini 1936 die neue Filmstadt errichten, um hier nach deutschem Vorbild Propagandafilme drehen zu lassen. Schon bald nach der Eröffnung entstehen Monumentalproduktionen, die das Reich der Antike beschwören.
Doch nachdem die Cinecittà 1943 von den Alliierten bombardiert und zum Teil zerstört worden ist, montieren die Deutschen erst mal Teile der Ausrüstung ab und nehmen sie mit nach Deutschland, anderes wird geplündert und zerstört. Zeitweise fungiert die Cinecittà als Lager für sogenannte Displaced Persons. Danach werden aber die Studios wieder aufgebaut, die Traumfabrik füllt sich erneut mit Leben.
Glorreiche Zeiten und die Krisen
Als Vittorio de Sica für seine „Fahrraddiebe“ 1949 mit dem Oscar ausgezeichnet wird, werden auch die Amerikaner auf die Filmstadt aufmerksam. Hier können sie einerseits der Zensur der McCarthy-Ära entkommen, andererseits Komödien mit ein bisschen unbeschwertem Bella Italia zu würzen. Wo sonst hätte William Wylers seine „Roman Holidays“ – zu Deutsch „Ein Herz und eine Krone“ – mit Audrey Hepburn und Gregory Peck realisieren können, in denen die beiden gemeinsam auf der Vespa um das Colosseum herumdüsen?
Während sich die italienischen Regisseure dem Neorealismus verschreiben und in Streifen wie „Bellissima“ mit Anna Magnani die krude Realität des Nachkriegsitaliens einfangen, nutzen ihre Kollegen aus Übersee die Studios für Monumentalproduktionen wie „Ben Hur“ mit mehr als 10 000 Statisten. Alle möglichen großen Namen gehen während der goldenen Ära der Cinecittà an der Via Tuscolana ein und aus – von Ava Gardner über Liz Taylor und Jane Fonda bis Charlton Heston. Gleichzeitig feiert hier ein ganz eigenes Genre, der sogenannte Spaghettiwestern à la Sergio Leone Erfolge.
Doch gibt es auch immer wieder Krisen, die Cinecittà wird mehrmals totgesagt. Als Ende der 60er Jahre der Schuldenberg auf 13 Milliarden Lire anwächst, bringt das Fernsehen die Rettung. Auch heute sichern hauptsächlich TV-Produktionen und Werbefilme den Etat. „Es fehlen eben auch die großen italienischen Meister“, gibt Giuseppe Basso zu bedenken. Wobei das Know-how und die neue Technik Großproduktionen wie „Der Name der Rose“, Martin Scorseses „Gangs of New York“ oder Mel Gibsons „Die Passion Christi“ zugutekommen.
Aktuell erlebt die Filmstadt eine neue Krise. Nachdem es kürzlich in einem der Studios gebrannt hat, ging eine Protestwelle durch Rom, weil es offensichtlich Pläne gibt, auf dem 40 Hektar großen Gelände ein Luxushotel zu errichten, um für die abermals defizitäre Cinecittà Geld einzutreiben. „Warum geschieht mit der Cinecittà nicht dasselbe wie mit Fußballclubs? Wenn die in der Krise sind, eilt sofort jemand herbei, um sie zu retten“, macht Oscar-Preisträger Giuseppe Tornatore seinem Ärger Luft. Die Cinecittà Holding ist zu 100 Prozent im Besitz des italienischen Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen.
Brillen von Lina Wertmüller und Fellinis roter Schal
Mittlerweile wurden hier 3000 Filme hergestellt, rund 50 davon mit einem Oscar ausgezeichnet. Gewiss, der Glamourfaktor ist in den Hintergrund getreten. Dafür ist die Cinecittà heute selber ein Mythos. Grund genug, das 75-jährige Bestehen zu feiern und die Tore für Besucher zu öffnen. So kann man sich nun, wenn nicht gerade gedreht oder produziert wird, durch das Gelände mit den 21 Studios führen lassen, von ein paar Metern Broadway ins mittelalterliche Assisi schlendern und schließlich durchs antike Rom mit intakten Tempeln, Triumphbogen und Via Appia schreiten. Natürlich führt der Weg auch an Fellinis Teatro No. 5 vorbei, ein von außen nüchterner Bau, der erst durch die Fantasie des Meisters zur Traumkulisse wurde.
Was hier alles gedreht wurde, erfährt man in der kleinen, aber feinen Ausstellung „Cinecittà Si Mostra“, die zum 75. Geburtstag organisiert wurde. Draußen auf dem Rasen begrüßt einen der riesige Kopf der Venusia, der in Fellinis „Casanova“ aus der Lagune von Venedig auftaucht. Drinnen werden die Glanzlichter der vergangenen Jahrzehnte präsentiert. Fotos, Filmausschnitte, Bilder von Dreharbeiten, Teile aus dem Drehbuch zu Pasolinis „Medea“ und jede Menge Requisiten lassen Filmgeschichte lebendig werden.
Hier das Pferd aus Fellinis „Amarcord“, dort das Kostüm, das Giulietta Masina in „Ginger und Fred“ trägt, Sophia Lorens Kleid in Francesco Rosis „Schöne Isabella“ oder Gina Lollobrigidas Outfit als „Kaiserliche Venus“ von Jean Delannoy. Am Ende findet man sich in einem U-Boot aus dem Film „U-571“ von Jonathan Mostow wieder. „Eigentlich wollten wir nur eine kleine Hommage an das Kino inszenieren, das hier entstand“, sagt Dottore Basso. „Doch nachdem mehr als 100 000 Interessierte kamen, lassen wir sie dauerhaft bestehen und haben sie sogar vergrößert.“
Große Attraktionen darf man nicht erwarten, auch mit Computeranimation und anderen Raffinessen wird eher gegeizt. Mit Studiotours à la Universal oder auch mit dem Filmpark Babelsberg kann und will man sich hier nicht vergleichen. „Uns geht es nicht um Entertainment, unsere Ausstellung versteht sich eher als kultureller Beitrag für Filmfans“, sagt der Dottore. Die dürfen immerhin ein paar persönliche Dinge einiger Regisseure aus den Schubladen ziehen.
Da kommen zum Beispiel die vielen unterschiedlichen Brillen zum Vorschein, die für Lina Wertmüller charakteristisch sind, oder ein Lederhut, Revolver sowie Ausgaben von Homers „Ilias“ und „Odyssee“, die Sergio Leone gehörten. Und dann sind da schließlich der schwarze Hut und der rote Schal, die Markenzeichen Fellinis waren. Nirgendwo kommt man ihm so nahe wie hier, in der römischen Traumfabrik, die für ihn eine einzigartige Inspirationsquelle war.