zum Hauptinhalt
Was guckst du? Leguane sind auf den Galapagosinseln keine Sensation. Nur ist es immer wieder verblüffend, wie furchtlos alle Tiere sind – sie kennen den Menschen nicht als Feind.
© Markus Kirchgessner

Vor der Küste Ecuadors: Das Paradies hat keine Zäune

Die Galapagosinseln erleben seit Jahren regen Zustrom von Touristen. Noch gibt es kein Limit, aber strenge Kontrollen.

Das geht doch nicht. Das kann nicht sein. Das sind doch keine wirklichen Vögel. Spätestens jetzt müssten sie zu Tode erschrocken hochflattern und eilig vor den Menschen flüchten. Doch sie denken gar nicht daran. Selbst als die zehn Galapagos-Touristen just mal zwei Meter vor ihrem Nest stehen, bleiben die Fregattvögel ungerührt sitzen. Auf dem Baum dahinter hat sich eine ganze Kolonie jener Segler mit Hakenschnabel und Gabelschwanz eingerichtet, die sonst meist nur hoch oben am Himmel als scharf ausgeschnittene Flugdrachen zu sehen sind. Gelassen bringen die Alten ihren Angebeteten weiterhin neues Nistmaterial, in den Nestern ducken sich weiße, flauschige Federknäuel, und immer wieder legt einer der Schwarzgefiederten seinen Kopf in den Nacken, bläst den Kehlsack auf wie eine dunkelrote Bubblegum-Blase und lässt ein trommelndes Röhren ertönen.

„Sie sind ökologisch naiv“, erklärt Naturführerin Lola Villacreses. „Sie haben Menschen nie als Feinde kennengelernt. Deshalb ist in ihren Genen keine Angst vor Zweibeinern verankert.“ Und dann scheucht sie schnell einen der Besucher, der versehentlich einen Fuß außerhalb des mit schwarz-weißen Pfählen markierten Weges gesetzt hat, zurück auf den Pfad der ökologischen Tugend. Fünf Kollegen von der „Santa Cruz“ sind ebenfalls gerade mit Gruppen auf Seymour Island unterwegs. Würde einer von ihnen sehen, dass sie solche Verstöße gegen die Besucherordnung duldet, könnte es sein, dass sie bald als „zu lasch“ gemeldet wird.

Die Galapagosinseln erleben seit Jahren einen touristischen Boom – und die Behörden versuchen angestrengt, seine Auswirkungen im Griff zu behalten. 1000 Kilometer westlich der Küste von Ecuador liegen die 14 größeren Inseln, von denen fünf bewohnt sind, und die über 100 kleineren Eilande – verteilt auf eine Fläche von 430 mal 200 Kilometer. Um 14 Prozent ist die Zahl der Touristen während der vergangenen Dekade jährlich gestiegen. Knapp 200 000 Menschen aus aller Welt kamen 2012, um verspielte Seelöwen, „naive“ Leguane und abgeklärte Landschildkröten zu erleben.

Schau mich an! Männliche Fregattvögel blasen sich bei der Balz mächtig auf.
Schau mich an! Männliche Fregattvögel blasen sich bei der Balz mächtig auf.
© Markus Kirchgessner

An 70 Stellen dürfen Touristen an Land, an weiteren 75 Punkten können sie sogar ins Wasser springen. So wie am Punte Vincente Roca etwa, einer schwarzgrauen Lavawand mit hellen Quarzadern auf der Insel Isabela. Tölpel sitzen auf den Klippen und erinnern mit ihren blauen Füßen an unbeholfene Clowns. Doch steigen sie auf, verwandeln sie sich plötzlich in wagemutige Jäger. Fast senkrecht stoßen sie hinab und legen ihre Flügel erst im allerletzten Moment an, um wie Kamikazeflieger ins Meer zu schießen.

Zwergengroße Pinguine watscheln herum wie dienstfertige Kellner, unbeeindruckt von dem vorbeituckernden Schlauchboot. Erstaunlich, was ihr Anblick bei den bunt zusammengewürfelten Menschen im Boot auslöst: Wildfremde lachen, strahlen sich an und machen sich auf Besonderheiten aufmerksam, als hätte der Nachbar keine Augen im Kopf. Gleich darauf wird man die Vögel im Frack unter Wasser wiedersehen: Geschmeidig flitzen sie vorbei und blicken dem weißhäutigen Fremdling von der Seite neugierig in die Taucherbrille: Was machst du denn hier unten, he?

Flugunfähige Kormorane strampeln zum Grund, ein Seelöwe linst fast spitzbübisch herüber und plötzlich färbt sich das Wasser über den Korallen blau: Ein schier endloser Schwarm Sardellen zieht durch. Meeresschildkröten, groß wie Wagenräder, treiben vorüber, Wesen mit faltigen Hälsen, müden Augen und Zeichnungen wie Tiffany-Lampen auf den Panzern – tatsächlich hat Steven Spielberg die Reptilien ausführlich auf Galapagos studiert, eher er seinen Außerirdischen E. T. schuf.

Galapagos zu erhalten ist Sisyphosarbeit

Ach, die schon wieder. Anscheinend etwas gelangweilt empfangen die Seelöwen die täglichen Besucher.
Ach, die schon wieder. Anscheinend etwas gelangweilt empfangen die Seelöwen die täglichen Besucher.
© Markus Kirchgessner

Die Regierung von Ecuador hat bisher kein Touristenlimit festgelegt. Sie versucht die Zahl durch die Begrenzung von Hotelbetten und Kreuzfahrtschiffen zu steuern. 93 Schiffe haben derzeit eine Lizenz, keines mit mehr als 100 Plätzen. Sie operieren streng kontrolliert nach einem präzisen Fahrplan, so dass keine der Besucherstellen überlastet wird. Auch an Land wurde bisher kein Hotel gebaut, das mehr als 60 Betten hat. Allerdings soll ein größeres in Planung sein.

Rapide wächst allerdings die Zahl der Touristen, die nicht mit einem Veranstalter, sondern auf eigene Faust anreisen. Und das hat vielerlei Folgen: Endlich verdienen auch die Inselbewohner mehr Geld an den Besuchern. In Puerto Ayora leben fast drei Viertel der offiziell 26 000 Einwohner von Galapagos. Es geht ihnen gut, besser als anderswo in Ecuador: Im Zentrum wechseln sich Souvenirshops, Restaurants, Boutiquen, Galerien und Tauchcenter ab. Straßen werden erneuert, Fassaden saniert. Im Hafen löschen Männer eben eine Ladung Zement und Keramikplatten, Nachschub für die Apartments und Bed-and-Breakfast-Pensionen, die allenthalben hochgezogen werden.

Wachsender Tourismus aber verlangt nach Kellnern, Zimmermädchen, Köchen und Bauarbeitern. Die kamen und kommen vom Festland – besseres Geld ist in ganz Ecuador nicht zu machen –, brachten Haustiere mit und schleppen Ameisen, Fruchtfliegen und wuchernde Brombeerstauden ein, heute die größten Gefahren für Flora und Fauna. Zwischen 30 000 und 40 000 Menschen sollen in Wirklichkeit derzeit auf den Inseln leben – eine Anzahl, der Müllbeseitigung und Abwassersysteme nicht gewachsen sind. Offiziell dürfen Arbeitswillige nur drei Monate bleiben, und die Regierung bringt immer wieder „Illegale“ aufs Festland zurück. Organisationen wie die Charles-Darwin-Stiftung versuchen zudem verstärkt, Einheimische für das Tourismusgeschäft fit zu machen. Je stärker die Menschen an Ort und Stelle von den Besuchern profitieren, desto größer ist auch ihr Interesse, die Natur intakt zu halten.

Zwischen Mangroven führt ein gemauertes Treppchen auf das Vulkanplateau der Insel Fernandina. Vierzig, fünfzig Meter Fußweg – und man glaubt sich in eine Welt lange vor unserer Zeit versetzt. Dutzende, nein Hunderte schwarzgrauer, armlanger Ungeheuer liegen und kriechen auf dem erstarrten Lava-Grießbrei neben- und übereinander. Es sind Meerechsen – 3000 leben hier auf einem Quadratkilometer. Schwarzglänzend klettern sie mit ihren scharfen Krallen aus dem Wasser, wo sie Algen abgeweidet haben, watscheln zurück auf den Fels, um sich aufzuwärmen, und niesen immer wieder kräftig Salzwasser aus. Auch auf den Weg verirren sich manche, man muss darauf achten, nicht versehentlich auf einen Schwanz zu treten. Mit ihrem Stachelkamm ähneln sie grimmigen Punks – und sind genauso friedlich wie diese. Dazwischen wuseln knallrote Klippenkrabben umher, zwei Seelöwen tollen durchs flache Wasser und grunzen kehlig, als neideten sie den Zeugen der Urzeit die Aufmerksamkeit des Publikums. Und im Geäst dahinter flöten Spottdrosseln, die Vögel, die Charles Darwin zum Nachdenken über die Evolution inspirierten – noch vor den viel berühmteren Finken.

Ab geht’s. Von der „Santa Cruz“ aus düsen die Touristen per Schlauchboot an Land.
Ab geht’s. Von der „Santa Cruz“ aus düsen die Touristen per Schlauchboot an Land.
© Markus Kirchgessner

Ja, Galapagos kommt einem Paradies sehr nah. Galapagos ist aber auch gefährdet – und es wird immer gefährdet sein. Regierung, Bevölkerung und die vielen internationalen Organisationen, die dort tätig sind, werden immer weiter gemeinsam nach Lösungen suchen müssen: Wie verhindert man endgültig illegale Fischerei? Kann man den Autoverkehr einschränken, der viele Leguanen das Leben kostet? Welchen Sinn macht es, den Flughafen von Baltra auf die dreifache Kapazität auszubauen, wenn man die Zahl der Besucher angeblich nicht erhöhen will?

Viel Arbeit wurde bisher geleistet, das zeigt ein Besuch in der Aufzucht- und Forschungsstation der Charles-Darwin- Stiftung in Puerto Ayora. Seit der Gründung des Nationalparks 1959 untersucht sie, wie man das Überleben gefährdeter Tiere und Pflanzen sichern kann. 1000 der fast schon verschwundenen Landleguane wurden ausgebrütet, ausgesetzt und vermehrten sich in der Natur so erfolgreich, dass das Programm beendet werden konnte. 5000 Schildkröten hat die Station bisher aufgezogen und ausgewildert, und nun schieben sie sich etwa auf Santa Cruz wie große, braune Tonnen neben den Kühen über die Weiden.

Verglichen mit den Hunderttausenden, die Walfänger und Piraten einst wegschleppten und als lebenden Proviant in die Laderäume ihrer Schiffe warfen, ist dies zweifellos ein Akt des Fortschritts. Auf Isabela tötete man 200 000 Ziegen – auch das kann Naturschutz sein – um wieder Nahrung und Lebensraum für Schildkröten und Leguane zu schaffen. Das Geld für viele dieser Aktionen kommt aus Spenden. Und auch aus den 110 Dollar Eintrittsgebühr, die jeder Tourist bei der Einreise zahlt.

Galapagos zu erhalten ist Sisyphosarbeit. Und sie funktioniert nur, wenn sich damit eine Hoffnung auf Erfolg verbindet. Auch wenn es traurig ist, dass der berühmte Lonesome George, letzter Vertreter der Schildkrötenunterart Chelonoidis abingdoni, am 24. Juni 2012 verendete und sein Pfleger Fausto Llerena immer noch nicht über den Verlust hinweggekommen ist – die gute Nachricht lautet: George war möglicherweise doch nicht der letzte seiner Art. Inzwischen haben die Forscher 17 Schildkröten gefunden, die eine hohe genetische Ähnlichkeit mit ihm haben. Vielleicht, so hoffen die Wissenschaftler, lassen sich Artgenossen züchten. Und die Nachfahren des Alten kommen eines Tages auf die Inseln zurück.

Zur Startseite