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Geschüttelt oder gerührt? Das ist nicht die Frage an der Bar im Orient-Express. In Bewegung kommt während der Fahrt schließlich jeder Drink.
© imago/Raimund Müller

Zugreise: Auftritt der Eleganz

Eine Reise im Orient-Express gleicht einem Theaterstück – mit fünf Sternen. Einziger Stilbruch: Schnöde Elektro- oder Dieselloks ziehen den Zug.

Es ist nicht irgendein Zug, der Fahrgäste nach Paris, Budapest oder Venedig fährt. Der Orient-Express gleicht einer glänzenden Showbühne auf Schienen. Die Passagiere sind die Schauspieler und das Zugpersonal in den schnieken Uniformen und weißen Handschuhen die Regieassistenten und Bühnenbildner, die vorgeben, bei welchem Akt, welche Garderobe zu tragen ist. Bei einer solchen Reise geht es nicht darum, ein Land vom Zugfenster aus zu entdecken. Hier ist auch nicht der Weg das Ziel, sondern das Erleben des Fünf-Sterne-Luxus von anno dazumal.

Der Reisende schlüpft gedanklich in die Rolle des Privatdetektivs Hercule Poirot, der Gräfin Andrenyi oder einer anderen Romanfigur und versucht, diese so gut wie möglich zu spielen und zu genießen. Für ein paar Stunden oder Tage möchte er den Alltag vergessen und in eine vergangene Zeit eintauchen in dieser perfekt inszenierten Nostalgieaufführung. Immer wenn der Zug betriebsbedingt hält, lugen staunende Menschen durchs Fenster, um einen Blick in das Innere der Eisenbahnlegende und auf die verkleideten Passagiere zu erhaschen.

Die Jungfernfahrt des Orient-Express fand am 4. Oktober 1883 von Paris nach Istanbul statt. In Windeseile wurde der Zug berühmt für pünktliches Reisen mit Stil und Service, für hervorragende Küche und als Treffpunkt der Wohlhabenden und Einflussreichen. Sein Niedergang begann in den 1950er Jahren als es Mode wurde, möglichst schnell ans Ziel zu kommen – mit Auto oder Flugzeug. Der heutige Venice Simplon-Orient-Express (VSOE) verkehrt überwiegend zwischen London, Paris und Venedig, fährt aber auch weitere europäische Städte an wie Berlin, Prag, Wien, Budapest, Bukarest, Istanbul.

1982 wurde die Firma von dem amerikanischen Unternehmer James Sherwood aus Kentucky gegründet, nachdem er einige Jahre zuvor zwei Originalwagen der „Compagnie Internationale des Wagons-Lits“ ersteigert hatte. Er kaufte weitere Abteil-, Restaurant- und Pullman-Wagen. Derzeit gehört der VSOE zu Belmond Limited, einem Unternehmen, das Luxushotels, -restaurants, -züge und Flussschiffe in mehr als 20 Ländern betreibt. Der Express fährt mit unterschiedlichen restaurierten Waggons – meist aus den 1920er und 1930er Jahren: In Großbritannien kommen braun-cremefarbene British-Pullman-Salonwagen als Tages- oder Wochenendzug zum Einsatz.

Weiße, weiche Handtücher sind mit dem Zugwappen bestickt

Auf dem Kontinent sind es elf dunkelblaue Schlafwaggons der früheren Wagons-Lits. Die Einzel- und Zweibettkabinen mit Doppelstockbetten, die tagsüber zu Sitzabteilen umfunktioniert werden, sind exquisit mit edlen Hölzern, feinen Intarsien und Jugendstillampen ausgestattet. Vom Platzumfang entsprechen sie dem Reisebedürfnis vor 100 Jahren. Garderoben mit Schlafmöglichkeit trifft vielleicht eher als Beschreibung zu. Die Gepäckablage reicht höchstens für ein kleines Agententäschchen.

Alle Abteile verfügen über ein Waschbecken mit Spiegel, dezent hinter der Tür versteckt. Weiße, weiche Handtücher sind mit dem Zugwappen bestickt. Die Seife ist in Seidenpapier gewickelt. Pompöse Waschräume befinden sich an den jeweiligen Enden der Waggons. Da es keine Duschen gibt, wird bei mehrtägigen Reisen abwechselnd im Zug und im Hotel übernachtet. „Camping auf höchstem Niveau“, wie es einige Gäste amüsiert formulieren. Wer einen Schlafplatz im Wagen Nummer 3504 ergattert hat, befindet sich in der einstigen Filmkulisse vom „Mord im Orient-Express“. Geruhsames Nächtle!

Zugabteil. Camping auf höchstem Niveau, wird schon mal gespöttelt.
Zugabteil. Camping auf höchstem Niveau, wird schon mal gespöttelt.
© Axel Baumann

Mörderisch ist heute allerdings höchstens das schier pausenlose Essen zu nennen. Vom Feinsten versteht sich. Edles Porzellan mit Goldrand Tafelsilber schmücken die Tische. Die drei Speisewagen sind mehrmals am Tag gesellschaftlicher Treffpunkt und Bühne der Reisenden, wo präsentiert wird, was der heimische Kleiderschrank so bietet. Zu elegant gekleidet ist man im Orient-Express nie.

Nach dem Five-o’-clock-Tea kredenzen der Chef de Cuisine, Christian Bodiguel, und seine livrierte Crew ein Mehr- Gänge-Menü: grüner Spargel mit Parmesanflöckchen, Medaillons vom Seeteufel an Muschel-Jus und violettem Kartoffelpüree, gebratenes Kalbsbries mit Morcheln, Himbeerbaiser auf Nougat an Rosenblättern. Die Kellner balancieren im schlingernden Zug die Teller wie Jongleure zu den Tischen. Bei einer zweitägigen Reise mit maximal 188 Gästen tragen sie exakt 2256 Speisen übers Parkett.

Als Snack werden Blinis mit Beluga-Kaviar serviert

Sollte es den Damen im Chiffon-Fummel zu kühl werden, heizen Claude oder Pascal den Bollerofen ein. Dann zieht Kohlegeruch durch die Waggons, der ein wenig daran erinnert, dass der Orient-Express einst von einem Dampfross gezogen wurde. Auf diesen historischen Anblick müssen echte Bahnfans unter den Passagieren jedoch verzichten. Ein Stilbruch: Schnöde Elektro- oder Dieselloks haben den Dienst übernommen.

Nach dem Dinner unterhalten sich die Gäste im Barwagen bei leiser Musik. Der Pianist sitzt nicht etwa am Klavier, sondern selbstverständlich am Flügel. Champagner fließt, Salzgebäck gibt’s in Silberschälchen. Und es wird viel gelacht. Hier wurden und werden wohl immer noch Kontakte geknüpft. Wer noch Hunger auf einen Snack verspürt, kann sich Blinis mit Beluga-Kaviar anrichten lassen. Einige hundert Euro extra werden dafür am Ende der Tour auf der Rechnung stehen. Eine Fahrt im VSOE ist keine „All-inclusive“-Reise.

Schließlich ist die tägliche Vorstellung vorbei. Man zieht sich ins Abteil zurück. Vielleicht sogar mit der passenden Bettlektüre von Agatha Christie, um beim monotonen Klackadiklack der Räder besser einzuschlafen.

Der Venice Simplon-Orient-Express fährt von März bis November zu unterschiedlichen Zielen in Europa. Preisbeispiele 2016: Zugfahrt inklusive Mahlzeiten ohne Getränke (außer Kaffee/Tee/Mineralwasser): London–Paris–Venedig (zwei Tage/eine Nacht) ab 2690 Euro pro Person; Berlin–Paris–London oder umgekehrt (zwei Tage/eine Nacht) zum gleichen Preis. Paris–Budapest–Bukarest–Istanbul (sechs Tage/fünf Nächte) ab 7130 Euro pro Nase. Die Preise pro Person sind identisch für Einzelabteil oder im Zweibettabteil bei Doppelbelegung.

Auskunft beim Anbieter Belmond (Telefon: 02 21 / 338 03 00) oder auch bei Lernidee Erlebnisreisen in Berlin, Telefon: 030 / 786 00 00.

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