Dänemarks Norden: Am Strand der Sammler
Der Limfjord ist eigentlich ein Sund. Er teilt die dänische Halbinsel Jütland und verbindet die Nordsee mit dem Kattegat. Hier gibt’s bissfeste Austern – und seltene Fossilien.
Mit Schwung stellt Martin Daasbjerg seinen Fang auf einen Holztisch am Hafen. der Venø Bucht. Einen Eimer voller Muscheln, einen Eimer voller Austern und eine Schüssel mit kleinen Krabben hat der Mittsechziger innerhalb einer Stunde im Limfjord gesammelt: „Man muss nur wissen, wo man suchen muss.“ Dann beginnt er mit einem kurzen dicken Messer die Schalen der Austern aufzubrechen und reicht sie seinen Gästen.
Im Limfjord auf der dänischen Halbinsel Jütland befinden sich die nördlichsten Austernbänke Europas. Dort siedeln sich die seltenen europäischen Austern an, die ungewohnt mild im Geschmack und fester im Biss sind. Austern für Einsteiger, wenn man so will. Daasbjerg findet, dass es die besten der Welt sind.
„Das ist mein Hobby!“ sagt der Mann mit den windzerzausten weißen Haaren und breitet die Arme weit aus, so als würde er die ganze Bucht umarmen wollen. Sein Hobby ist, wie sich zeigt, nicht nur die Jagd nach Schalentieren. Ihm gehört auch eine Jacht im Hafen und das Restaurant, vor dem der Holztisch steht. Daasbjerg verdient sein Geld bisher als Bauer. Seine Geflügelfarm – „80.000 Bio-Enten jährlich, die meisten davon esst Ihr Deutschen!“ – liegt nur wenige Kilometer entfernt auf weitem, tiefgrünen Weidenland. „Diese Gegend hat eine Menge Potenzial, das erst langsam entdeckt wird“, sagt er.
Im Westen liegt das Surferrevier "Cold Hawaii"
Damit hat der Farmer wohl recht. Viele Dänen aus Kopenhagen oder Aarhus haben zwar in der Gegend rund um den weit verzweigten Limfjord ihre Wochenendhäuser gebaut. Doch internationale Sommerurlauber kommen nur selten weiter nördlich als bis zum beliebten Hennestrand. Im Nordwesten von Jütland lassen sie sich kaum blicken. Dabei bieten der Fjord und seine Umgebung so viele Annehmlichkeiten. Das Wasser ist einige Grad wärmer als in der nahegelegenen Nordsee, der Wind bläst nicht ganz so scharf. Die Ufer des Fjords winden sich meist in sanften Kurven auf einer Länge von 1000 Kilometern. Die langen Strände sind beinahe menschenleer.
Reisende erleben immer wieder einen jähen Wechsel der Perspektiven und der Landschaften. Da breiten sich zerklüftete Buchten zwischen steilen Klippen aus, während sich gleich nebenan ein dürrer Nebenarm des Fjords an grünen Hügeln vorbeischlängelt. Westlich vom Fjord liegt das stürmische Nordsee-Surferrevier von Klitmoller, das auch als „Cold Hawaii“ bekannt ist.
Mit einer Größe von 1500 Quadratkilometern ist der Limfjord der größte Fjord Dänemarks. Im Osten bei Aalborg ist er nur so schmal wie ein Fluss. Im Westen bei Thisde gibt es Stellen, die bis zu 25 Kilometer breit sind. Dort muss man mitunter die Augen zusammenkneifen, um einen Streifen Land am Horizont zu sehen. Und als wäre das nicht Wasser genug, befinden sich in der Nachbarschaft des verzweigten Fjords auch noch Hunderte von Süßwasserseen.
Bis zum Jahr 1100 nutzen die Wikinger die Passage
„Wenn man es genau nimmt, ist der Limfjord gar kein Fjord, sondern ein Sund“, sagt der Historiker Jørgen Hansen, der gerade sein 18. (!) Buch über die Geschichte Dänemarks schreibt. Aus geologischer Sicht ist ein Fjord eine Wasserzunge, die ins Land hineinragt und die sich umrunden lässt. Der Limfjord aber trennt das nördliche Drittel Jütlands vom Süden der Insel ab. Wer möchte, kann durch den Fjord von der Nordsee zur Ostsee und umgekehrt schippern.
Bereits die Wikinger hatten die ruhige Passage genutzt um mit ihren Drachenbooten Jütland zu durchqueren und auf Raubzug zu gehen. Doch ab 1100 waren die beiden Landzungen Agger Tange und Harboøre Tange im Westen mehr als 700 Jahre lang miteinander verbunden. Die starken Stürme, die vom Westen her immer wieder an die Küste brausen, hatten die Meerenge damals zugeweht. „Der Limfjord war gut 700 Jahre tatsächlich ein Fjord , in dieser Zeit entstand auch sein Name“, erklärt Hansen.
Doch dann kam 1825 die Februarflut, die die gesamte Nordseeküste von Dänemark, den Niederlanden und Deutschland heimsuchte. Mehr als 800 Menschen sollen damals ertrunken sein. Im Westen von Jütland wurde die Meerenge bei Agger wieder freigespült. Inzwischen ist dieser Kanal längst wieder versandet, doch eine weitere große Sturmflut riss 1962 bei Thyborøn ein Loch in die Küste, das bis heute freigehalten wird. Seitdem mischen sich wieder Nordsee – und Ostseewasser.
„Für die meisten Menschen war der Durchbruch zur Nordsee ein Segen. Durch die neuen Wasserwege entstanden neue Handelsrouten, die Gegend erlebte einen enormen Aufschwung“, sagt Hansen. Die Fischer jedoch litten Not. Der hohe Salzgehalt des eindringenden Nordseewassers ließ die Fischbestände schrumpfen, sie brauchten Jahre, um sich zu erholen.
Dänen essen Austern am liebsten mit Zucker, Zwiebeln und Balsamico
Dass der Limfjord aus geologischer Sicht ein sehr fragiles Gebilde ist, ist auch eins der Lieblingsthemen von Bo Schultz. Der Geologe arbeitet im Museum auf der Fjordinsel Fur und setzt mit seinen Erzählungen weitaus früher ein. Um Kindern die tektonische Verschiebung zu erklären, zerlegt Schultz mit dem Messer einen Apfel und erklärt die Stücke kurzerhand zu Kontinenten. Vermutlich hat es der Mann, der mit Schlapphut und hohen Gummistiefeln wie ein dänischer Indiana Jones daherkommt, schon Hunderte Male gemacht. Doch seine Augen leuchten noch immer, die Begeisterung für seine Arbeit scheint ungebrochen.
Fur ist eins der beliebtesten Ziele im Fjord. Im Süden ist die 22 Quadratkilometer kleine Insel flach, im Norden liegt eine Steilküste, die sich im ruhigen Fjordwasser spiegelt. Nur 850 Menschen leben dort, dazu kommen rund 200.000 Touristen jährlich. In der Nebensaison ist davon wenig zu spüren. Die Insel bietet Besuchern ruhige und einsame Buchten zwischen den hohen Klippen, die aus Moler, einer leichten und sehr porösen Tonart, bestehen.
Das Besondere an dem Gestein ist, dass sich die verschiedenen Schichten mit einem stabilen Messer relativ einfach aufsplitten lassen. Wer an der richtigen Stelle ansetzt, findet mit ein wenig Glück Fossilien. Oft können Hobbygeologen schon nach wenigen Stunden die ersten versteinerten Insekten oder Fischgräten freilegen.
Übers Wasser verkehren die Limfjordbusse
Vollständig erhaltene Fossilien dürfen allerdings nicht als Souvenir mit nach Hause reisen. Sie müssen auf der Insel bleiben. „Aber ich zahle einen anständigen Finderlohn“, sagt Bo Schultz. „Für einen kleinen Fisch gibt es 500 Euro, für einen Vogel bis zu 10.000 Euro.“ Die Fossilienjagd ist offensichtlich für einige Inselbesucher der Anlass, um den Blick während des gesamten Urlaubs auf die Steine am Strand zu richten. Was selbstverständlich ein Jammer ist.
Die Insel Fur erreicht man in weniger als fünf Minuten mit einer kleinen Autofähre, Limfjordbusse werden die von den Dänen geliebten Schiffe genannt, die in gemächlichem Tempo durch den Fjord kreuzen. Einige der Limfjordbusse pendeln mehr als 70 Mal täglich von Anlegestelle zu Anlegestelle. Andere bieten nur einem Dutzend Autos Platz – und noch viel weniger für Lkw oder Busse. Reservierungen sind nicht möglich.
Wenn die Fähre voll ist, müssen Reisende warten. Wenn sie zu spät kommen sowieso, denn die Schiffe starten pünktlich wie Schweizer Eisenbahnen. In diesen Momenten bleibt Zeit, die weiten Weideflächen im Hinterland und die allgegenwärtigen kupferfarbenen Kühe zu bewundern. Die schönen Tiere tragen den schnöden Namen „Rotes dänisches Milchvieh“.
Vermutlich sind es aber nicht die sattgrünen Wiesen und die sanften Uferlinien, die in den nächsten Jahren noch mehr Touristen in die Gegend bringen werden, sondern die Austern. Dänemark gilt als Mittelpunkt der neuen nordischen Küche, in Gourmettempeln wie dem schon weltbekannten Kopenhagener „Noma“ werden skandinavische Produkte vom nativen Rapsöl bis zur Fjordmuschel zelebriert.
Pølser scheinen weitgehend verschwunden zu sein
Davon profitieren auch Köche und Produzenten am Limfjord. Der gastronomische Standard hat sich erheblich verbessert, in den Restaurants wird jetzt vorwiegend mit regionalen Zutaten wie Krabben, Hering, Roastbeef, Kalbfleisch, Spargel und Dorsch gekocht. Die knallrot eingefärbten Würstchen namens Pølser, an die sich viele noch aus den Dänemark-Urlauben ihrer Kindheit erinnern können, scheinen dagegen weitgehend verschwunden zu sein.
Längst bieten Reiseveranstalter auch Austernsafaris und kulinarische Picknicks an einsamen Stränden an. Dort lernen die Teilnehmer, wie man Muscheln und Austern im hüfttiefen Wasser findet, und dass Dänen ihre Austern am liebsten mit Zucker, Zwiebeln und Balsamico essen. Das Ergebnis erinnert ein wenig an die süßsauer eingelegten Heringsfilets aus dem Glas. Muss man nicht mögen. Für konservative Austernesser stehen auch Zitronenachtel und Meersalz bereit.
„Ich werde Ihnen eins verraten“, sagt Martin Daasbjerg, der Austernsammler aus der Venø Bucht. „In zehn Jahren werden hier in dieser Gegend doppelt so viele Menschen wohnen wie heute. Und das werden Menschen sein, die in den Bereichen Tourismus und Gastronomie arbeiten.“ Dabei sieht er enorm zufrieden aus. So als könnte er sich nichts Schöneres vorstellen, als dass zu dem einsamen Segelboot, das gerade durch die Bucht gleitet, noch mindestens ein Dutzend weitere kommen.
Tipps für den Limfjord
ANREISE
Rund 650 Kilometer liegen zwischen Berlin und dem Limfjord. Der schnellste Weg im Auto ist die Europastraße E45 (von Hamburg über Schleswig in Richtung Aalborg im Osten des Fjords).
UNTERKUNFT
Nørre Vosborg in Vemb, naturnahe Lage zwischen Fjord und Nordsee. Nørre Vosborg, Vembvej 35, Vemb, pro Nacht ab 120 Euro.
Die meisten Sommerurlauber mieten Ferienhäuser. Im Angebot bei Novasol ist etwa Trend: Ab 339 pro Woche für bis zu zehn Personen und Lendrup ab 430 Euro für bis zu sechs Personen.
AUSFLÜGE
Austernsafaris, Bootsfahrten zu den Seehundbänken und andere Trips organisiert „Jyllands Akvariet“ in Thyborøn.
Kirsten Schiekiera
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