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Wohlhabend. Das Städtchen Scottsdale muss nicht sparen und schmückt seinen Hauptplatz mit einer schönen Skulptur. Die Straßennamen, wie „Happy Valley“, künden von heiler Welt.
© Robert Harding/mauritius images

Arizona: Am Lagerfeuer ist noch Platz

Im Süden Arizonas liegt das „Tal der Sonne“. Brütend heiß ist es hier. Die Natur, die es aushält, zeigt sich spektakulär.

Zwischen baumhohen Kakteen flimmert die Silhouette eines flachen Gebäudes. Stille ringsumher. Kein Mensch ist zu sehen, und man würde sich kaum wundern, von irgendwo eine einsame Slide-Gitarre aufjaulen zu hören. Wie im Western eben. Manchmal taucht eine Staubwolke auf, aus der sich ein Auto löst. Die Insassen steigen aus und verkriechen sich eilig in den kühlen Souvenirladen, wo sie auf den Beginn ihrer Tour durch Taliesin West warten. Unnötig früh nach draußen zu gehen, hieße einen Sonnenstich riskieren. So unbarmherzig ist die Hitze, dass schon der kurze Teil der Führung, der im Freien stattfindet – durch den Wüstengarten und am Pool vorbei – zur Kraftprobe wird. Kein Wunder, dass Frank Lloyd Wright, geboren 1867, hier mit seiner dritten Frau nur die kühlere Zeit des Jahres verbrachte.

Der legendäre Erfinder der „Prärie-Architektur“ erbaute Taliesin West Ende der 1930er Jahre als Atelier und Wintersitz in der Wüste des US-amerikanischen Südwestens. Er verwendete Felsen und Sand aus der Umgebung und schuf mitten in der Wildnis ein Ensemble ineinander verschachtelter Gebäude, die Schutz vor der Natur bieten, sich jedoch ohne Brüche, fast unmerklich, in die dramatische Landschaft fügen. Dicke Steinmauern sperren die Hitze aus, Rasenflächen und Pool versprechen Wasser und Leben.

Ein Telefon brauchte Wright nicht. Offensichtlich fühlte er sich in der Wüste nicht einsam. Allerdings gab es auch genügend Menschen, die die 20 Kilometer lange Fahrt von der damaligen Kleinstadt Scottsdale gerne auf sich nahmen, um dem genialen Architekten bei der Arbeit zuzuschauen. Besichtigungen gehörten hier von Anfang an zum Alltag. Wrights Schüler führten die Besucher herum und zeigten, was der Meister „organische Architektur“ nannte – Häuser, die aus der Prärie zu wachsen scheinen und Raum für sämtliche Bedürfnisse ihrer Bewohner bieten.

Dass es in der Umgebung Zivilisation gibt, ist auch heute kaum zu erahnen: Wie eine Insel liegt Taliesin West in der Wüste, außer einer staubigen Straße erinnert nichts daran, dass sich in der Nähe einer der Ballungsräume des Südwestens befindet.

Zweifellos trägt das „Valley of the Sun“ genannte Wüstenbecken rund um die Millionenstadt Phoenix seinen Namen zu Recht. Auch jenseits von Taliesin West beschleicht einen hier oft das Gefühl, mit der Sonne und ihrer nahezu bedrohlichen Kraft alleine zu sein. Obwohl das heutige Amerika mit großen Hotels, Einkaufszentren und urbaner Bebauung überall präsent ist, verschwindet die Moderne immer wieder unter der Wucht der Landschaft. Selbst Scottsdale mit seinen schönen Resorts, den Galerien und Museen bleibt wenig fassbar. Hinter der nächsten Biegung schon verschluckt die Natur die Zivilisation; Bäume, Büsche und von Geröll bedeckte Berge verdrängen Bebauung und Golfplätze.

Scottsdale gehört zu den wohlhabendsten Städten des Südwestens. So weitläufig ist die Stadt angelegt, dass die Natur stets im Vordergrund bleibt. Sogar bei den Straßennamen: Raintree und Cactus Road heißen sie, Shea Boulevard und Happy Valley.

Doch im Tal der Sonne verbergen sich auch zahlreiche Kulturstätten. Das Heard Museum für indianische Kunst zeigt gleich an zwei Standorten in Phoenix und North Scottsdale leuchtend bunte Teppiche, Gemälde und Zeichnungen, Skulpturen und mehr als 3500 Körbe. Zwar sprechen auch in Arizona nur noch wenige Nachkommen der Ureinwohner die alten Sprachen. Doch Überlieferungen und Legenden haben als Motive in der Kunst überdauert, und das Museum dient nicht nur der Bewahrung von Kunst, sondern auch als lebendiges Forum für zeitgenössische Künstler.

Das Musical Instrument Museum in Phoenix, ein riesiger Kasten, der seine Existenz einem durch eine Supermarktkette erwirtschafteten Vermögen verdankt, zeigt neben einem Klavier aus dem Besitz John Lennons und Bühnenanzügen von Elvis Presley tausende Musikinstrumente aus 200 Ländern. Dieser Sammlung ist allenfalls folkloristische Vereinfachung vorzuwerfen. Doch die Beklommenheit, die man als Angehöriger einer Nation von Blechbläsern empfinden mag, verfliegt in der Abteilung zum Mitmachen. Hier dürfen die Besucher auf balinesische Metallofone hämmern und kambodschanische Holzfrösche zum Klingen bringen. Und vor allem Amerikaner sind hier kaum zu bremsen.

Armee und Indianer lieferten sich hier einen blutigen Kampf

Wayne Fredericks. Der Mann kennt sich betens aus mit (Gift-)Schlangen.
Wayne Fredericks. Der Mann kennt sich betens aus mit (Gift-)Schlangen.
© Bisping

Vor den Fenstern des Museumscafés flattern Kolibris. So bedrückend die Hitze sein kann, so betörend sind die Landschaften, die sie aushalten. Überall leuchten gelb blühende Paloverde-Bäume unter einem unwirklich blauen Himmel. Kakteen thronen wie Riesenbälle auf der Erde oder mühen sich, halbwegs gerade in die Höhe zu wachsen. Aus endloser Weite ragen Saguaros wie in der Bewegung erstarrte Tänzer.

„Rund 80 Jahre dauert es, bis Saguaros den ersten Seitenarm ausbilden“, weiß Wayne Fredericks. Mehrere Meter hohe Exemplare der eigenartigen Kakteen sind sogar mehr als hundert Jahre alt und können gut eine Tonne Wasser speichern. Mit Jeans, Boots und Stetson sieht Fredericks aus wie ein Cowboy aus dem Bilderbuch – oder von der Kinoleinwand. Seit 35 Jahren bringt er Urlaubern auf der Ranch Fort McDowell die Wunder der Sonora-Wüste nahe, die sich vom Norden Mexikos bis in den Süden Arizonas erstreckt. Dabei stammt Fredericks selbst von der Ostküste. Doch da lebt er schon lange nicht mehr.

Während sich der Jeep durch tiefe Schlaglöcher quält, zeigt Wayne den Besuchern Adler am Himmel und wilde Mustangs in einem trockenen Flussbett. Etwa 60 Wildpferde leben in der kargen Natur des Reservats. Nur zwei Mal im Jahr regnet es in der Sonora, im Januar und Mitte Juli. Das ist genug, um sie mit baumhohen Saguaros, Agaven, blühenden Büschen und allerhand Kakteen, in die man ungern hineinstürzen würde, nahezu grün wirken zu lassen.

Wayne hält den Jeep an, springt heraus und berührt eine Schlange, die sich auf der Schotterpiste sonnt, ganz leicht mit der Hand. Blitzschnell verschwindet das Reptil im Gebüsch. „Das war keine Klapperschlange“, sagt Wayne grinsend, als er wieder einsteigt. In der Sonora-Wüste sind mehr Arten dieser giftigen Schlange heimisch als irgendwo sonst auf der Welt – von hochgiftigen Reptilien wie der Korallenschlange gar nicht zu reden. Deshalb sollte man in der Natur keinen Körperteil, an dem einem liegt, unter Felsen oder ins Gebüsch ragen lassen. Doch außer Giftschlangen existieren hier auch zahlreiche harmlose Reptilien. Beruhigend, dass Wayne die Unterschiede genau kennt.

Seit rund 12 000 Jahren ist das Land von Menschen bewohnt. Ein uralter Kulturraum, über dessen Geschichte man dennoch wenig weiß. Fast 30 Prozent der Landmasse Arizonas gehören bis heute Stämmen der Ureinwohner, auch das Land, auf dem sich Fort McDowell befindet. Die Ranch trägt den Namen eines einstigen Vorposten der US Army. Armee und Indianer lieferten sich hier einen langen, blutigen Kampf um das Land, der beiden Seiten schmerzliche Verluste brachte. Obwohl die Weißen gegen einen nahezu unsichtbaren Feind kämpften, der nach Angriffen scheinbar vom Boden verschluckt wurde – die Ureinwohner kamen zu Fuß, während die Soldaten sich stets durch kilometerweit sichtbare Staubwolken ihrer galoppierenden Pferde ankündigten –, endete der Krieg um das Land schließlich mit dem Sieg der weißen Siedler.

„Die Yavapai nutzen das Gelände noch immer für Zeremonien“, sagt Wayne und deutet auf einen Kreis von Steinen, der am Boden liegt. Gegen Urlauber haben die Nachkommen der Ureinwohner indessen nichts, zumal viele Stämme Casinos und Hotels betreiben und somit durchaus vom Tourismus profitieren.

Für Waynes Gäste endet der Ausflug in die Wüste an großen Lagerfeuern auf der Ranch. Über den Flammen grillen sie Rindswürstchen, die sie in pappigen Brötchen versenken und mit Ketchup, Senf und Mayonnaise garnieren. Wer mag, trinkt dazu Chardonnay aus Pappbechern. So findet man leicht wieder in die Gegenwart.

Als nur noch ein blassblauer Streifen am Horizont den Himmel erhellt, geht es auch zurück in die Zivilisation. Langsam schaukelt der Wagen über die unebene Sandpiste durch nun tiefe Dunkelheit. Plötzlich erscheint eine Kuh auf dem Weg, und irgendwo heult ein Wüstenkojote. In der Ferne funkeln die Lichter der Großstadt Phoenix.

Stefanie Bisping

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