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Präsidentenfamilie aus Wachs. Großzügig ist schon die Eingangshalle im 18 000 Quadratmeter großen Museumskomplex.
© Hella Kaiser

Land of Lincoln: Alle wollen zum Präsidenten

Springfield, Hauptstadt von Illinois, hat die Route 66 und Abraham Lincoln. Seinetwegen stand auch Barack Obama auf den Stufen des Old State Capitol.

Gemütlich steuert Jeff seinen Landcruiser durch die schnurgerade Monroe Road, mitten durch Springfield. Auf den Verkehr muss sich der städtische Tourismusmanager nicht sonderlich konzentrieren, nur wenige Autos sind unterwegs. „Das ist normal bei uns“, sagt Jeff und fügt zufrieden hinzu: „Niemand braucht länger als eine Viertelstunde, um von der Arbeit an irgendeinem Punkt der Stadt nach Hause zu fahren.“ Wer zu Fuß unterwegs ist, kann sich nicht verlaufen: Der 30-stöckige Turm des Hilton Hotels bietet Orientierung, in dem er alle anderen Gebäude um ein Vielfaches überragt. Nur 115 000 Einwohner leben in Springfield. Dies soll wirklich die Hauptstadt von Illinois sein? Dabei verfügt der US-Bundesstaat doch mit Chicago, 300 Kilometer nordöstlich am Michigansee gelegen, über eine glitzernde Metropole.

„Ach, Chicago“, winkt Judy ab. „Wer will da schon hin?“ Seelenruhig rührt die Mittfünfzigerin in ihrem Frühstückskaffee im „Cozy Dog“. „Right“, bestätigt ein Mann am Nebentisch und ruft einem anderen zu: „Hi Jack, how’s it going?“ Der nickt nur und vertieft sich wieder in seine Zeitung. Keine besonderen Vorkommnisse, ein Morgen wie jeder im „Cozy Dog“.

Jetzt parkt keine einzige Harley vorm Lokal, aber „die eine oder andere wird heute schon noch vor der Tür stehen“, sagt Judy lächelnd. Schließlich liegt Springfield an der legendären Route 66 – und das „Cozy Dog“ am Wegesrand ist eine Institution wie Bill Shea’s Tankstelle. 1946 erfand der Springfielder Ed Waltmire das Würstchen am Spieß im Maisteigmantel. Jetzt führt Enkel Tony den Drive-in „in dritter Generation“, wie er stolz betont. Und selbstverständlich ist die geniale Hotdog-Kreation noch im Angebot, auch wenn die Gäste an diesem Morgen lieber Eier und Speck bestellen.

Kein Tourist würde sich länger in Springfield aufhalten, hätte hier nicht knapp 20 Jahre lang ein Mann gelebt, den sie in den Vereinigten Staaten wie kaum einen anderen verehren: Abraham Lincoln. Um ihn, den 16. Präsidenten der USA, dreht sich alles hier. 1837 war er, gebürtig in Kentucky, hergezogen. „Fremd, ohne einen Penny in der Tasche und ohne Freunde“ schrieb er in seinen Erinnerungen. Ein 28-Jähriger, der Jura studiert hatte und in Springfield eine Kanzlei gründete. Und nebenbei eine politische Karriere begann. 1844 kaufte er sich für seine kleine Familie ein Wohnhaus am Ort – für 1500 Dollar.

Mary sei laut, unkultiviert und „awfully Western“

Landmarken an der Route 66. Bill Shea’s legendäre Gasstation.
Landmarken an der Route 66. Bill Shea’s legendäre Gasstation.
© Hella Kaiser

Die zweistöckige blassgelbe Holzvilla ist zum Museum geworden. „Man hat die Räume nach alten Fotos weitgehend so möbliert, wie sie zu Lincolns Zeiten aussahen“, erzählt Ranger Dale Philipps. Das Museum steht unter dem Schutz der Nationalparkverwaltung. Ein schwarzes Ledersofa, Tisch und Stühle stehen da, und jede Menge Bücherregale. „Alles ist eher schlicht“, sagt Dale, „er kam ja aus sehr einfachen Verhältnissen.“ Rundherum in diesem beschaulichen Viertel scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. „Alles soll aussehen wie im 19. Jahrhundert“, erklärt der Ranger. Deshalb habe man auch die Nachbarvillen teilweise gekauft und sorgfältig restauriert. Man würde sich nicht wundern, spazierte ein Herr mit schwarzem Gehrock vorüber.

Womit Abraham Lincoln sich hervortat und wie er Amerika von 1861 an vier Jahre lang regierte, ist im Stadtzentrum zu studieren. 2005 wurde die „Abraham Lincoln Präsidentenbibliothek mit Museum“ eröffnet. Ein mehr als 18 000 Quadratmeter großer Komplex, „mittlerweile das meistbesuchte Präsidentenmuseum der Vereinigten Staaten“, sagt Jeff stolz. In der riesigen runden Eingangshalle, vor der Nachbildung des Portikus des Weißen Hauses, steht Abraham Lincoln nebst Familie als Wachsfigurengruppe.

Mary, seine Frau, wirkt wie eine biedere Matrone. Auf so eine hatte man in der Washingtoner Gesellschaft wirklich nicht gewartet, nachdem ihr Ehemann 1860 als Präsidentschaftskandidat der Republikaner ins Rennen geschickt worden war. Mary, so lästerten viele, sei laut, unkultiviert und „awfully Western“. Doch die „Illinois Queen“ fand sich offenbar schnell in ihrer neue Rolle zurecht und wurde bald wegen ihrer Shoppingausflüge nach New York kritisiert.

Noch bevor Abraham Lincoln 1861 ins Amt kam, spaltete er die Nation. Aufgrund seiner ablehnenden Haltung zur Sklaverei wollten die Südstaaten die Union verlassen. Der Bürgerkrieg begann. Die Geschichte des „Civil War“ ist recht kompliziert, aber ein im Museum als Endlosschleife gezeigter Film fasst sie in vier Minuten zusammen. Jede Woche eine Sekunde – das können nur Amerikaner.

Obama hat hier seine besondere Rede gehalten

Das gemütliche Cozy Dog in Springfield.
Das gemütliche Cozy Dog in Springfield.
© Hella Kaiser

Wie Lincoln in seiner Zeit gesehen wurde, ist auf unzähligen Karikaturen zu betrachten, eine „Treasure Gallery“ versammelt Füllfederhalter, Handschuhe, Krawatten oder Siegel des Präsidenten. Nachgebildet ist auch die Loge im Ford’s Theatre, wo Lincoln am 14. April, Karfreitag, 1865 die Komödie „Our American Cousin“ sah. 800 Meilen von Springfield entfernt. Bis sich kurz nach 22 Uhr ein gewisser John Wilkes Booth hineinschlich, eine Derringer Pistole hinter das linke Ohr des Präsidenten hielt und abdrückte. Am nächsten Tag erlag Lincoln seinen schweren Verletzungen.

Eindrucksvoller als die künstliche Lincoln-Retrospektive im Museum ist das Old State Capitol. Hier hatte er 1858 seine berühmte „House Divided Speech“ gehalten, die die Sklavenfrage und die Auswirkungen auf die amerikanische Politik auf den Punkt brachten. „Jedes Haus, das in sich uneins ist, kann nicht bestehen“, formulierte er. Justin, ein Student, führt durch den gediegenen Sitzungssaal. „Jeder kann sich hier umsehen, ohne Eintritt zu bezahlen“, hebt er hervor und lobt den „wichtigen Ort in unserer Geschichte“. Doppelt wichtig vielleicht, weil Barack Obama 2007 hier seine Präsidentschaftskandidatur angekündigt hatte. „Es war ein eiskalter Februartag“, sagt Justin. Obama habe auf den Stufen des Gebäudes gestanden und „diese ganz besondere Rede gehalten, vor ihm ein Meer von Menschen“. Der Student mag den 44. US-Präsidenten und findet: „Er ist ein würdiger Nachfolger von Lincoln.“

Vor dem Besuch des Friedhofs, auf dem Abraham Lincoln eine monumentale Grabstätte mit einem Obelisken aus weißem Marmor hat, findet Jeff, dass wir unbedingt „noch eine Kleinigkeit“ essen müssen. Einen Horseshoe im „D’Arcy’s Pint“ sollen wir probieren. Auf zwei dicken Toastscheiben, in Hufeisenform gelegt, türmen sich Rindfleisch mit Pommes, großzügig übergossen mit einer sämigen Käsesauce. Zwölf Varianten des Horseshoe stehen auf der Karte, achthundert dieser Kaloriengebirge werden täglich im Durchschnitt geordert. „Dafür kommen die Leute sogar aus Chicago zu uns“, trumpft die Bedienung auf. Im „Land of Lincoln“, wie Illinois genannt wird, wissen sie eben, was sie an Springfield haben.

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