Hass gegen LGBTs in Polen: „Wir kämpfen darum, hier zu überleben“
Homosexuelle Paare werden in Polen oft angefeindet und von ihren Familien abgelehnt. Queere Frauen erzählen, wie sie mit der schwierigen Situation umgehen.
Anna Partyka und Sandra Raciborska wollten eigentlich gar nie heiraten. „Ich war wirklich nicht die Person für so was“, erzählt Partyka. Dass sie es dann trotzdem gemacht haben, war für das Paar eine Art Rebellion gegen den polnischen Staat. „Um uns herum haben plötzlich total viele Freunde geheiratet, und erst dann wurde uns richtig klar, dass wir das hier in Polen gar nicht können“, erzählt Partyka.
Bis dahin hätten sie in einer Art Blase gelebt: In einem Umfeld aus guten Freunden, mit sicheren Jobs: Partyka ist Datenanalystin und Raciborska Social- Media-Managerin. Sie hätten gar nicht richtig wahrgenommen, wie schwierig ihre Situation in Polen war.
Die legale Situation für queere Menschen ist in Polen nach dem Rainbow Ranking der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) so schlecht wie sonst nirgends in der Europäischen Union. Es gibt keine Ehe für alle, keine Möglichkeit für eingetragene Lebenspartnerschaften, und auch im Ausland geschlossene Partnerschaften werden nicht anerkannt.
„Vor einer Weile haben wir die Auswirkungen davon aufgelistet, in mehr als 400 Sachverhalten werden wir gegenüber verheirateten Paaren diskriminiert“, sagt Yga Kostrzewa, Sprecherin der NGO Lambda, die sich für queeres Leben in Polen einsetzt.
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Außerdem wird in Polen seit einigen Jahren zunehmend von der Regierung und von der katholischen Kirche Hetze gegen queere Menschen betrieben: Ein Bischof bezeichnete sie als „Regenbogenplage“, durchs ganze Land fährt ein Truck, der LGBT-Personen für Pädophilie verantwortlich macht.
Präsident Duda hetzt gegen eine "LGBT-Ideologie"
Präsident Andrzej Duda, der zurzeit mit dem Coronavirus infiziert ist, hetzte im Wahlkampf gegen eine vermeintliche „LGBT-Ideologie“. Lokalregierungen haben ein Drittel Polens zu „LGBT-freien Zonen“ erklärt. „Die aktuellen Diskriminierungen sind ein Rückschlag um mindestens 15 Jahre“, meint Kostrzewa.
Die 29-jährige Anna Partyka und die 32-jährige Sandra Raciborska entschieden darum, in Dänemark zu heiraten. Um die Hochzeit zu finanzieren, veranstalteten Partyka und Raciborska ein Crowdfunding – um Aufmerksamkeit zu erreichen, aber auch um Übersetzungen für Dokumente bezahlen zu können. „Das müssen andere Paare nicht“, sagt Raciborska. „Das fanden wir einfach unfair“.
Sie begannen zudem auf ihrem Blog „Ninusy“ und in den sozialen Medien über lesbisches Leben in Polen zu sprechen. Wenn man durch ihren Instagram-Feed scrollt, sieht man zwei selbstbewusste Frauen auf Aufzugsfotos, Selfies am Strand, Kaffeebilder – nichts Ungewöhnliches für die Plattform.
Sie lebt mit ihrer Freundin zusammen - eigentlich fühlte sie sich immer wohl
Für ein lesbisches Paar in Polen trotzdem ein mutiger Schritt, denn die Mehrheit der queeren Menschen im Land traut sich nicht, sich in der Arbeit, Schule oder an der Uni zu outen.
Auch die 21-jährige Ewa, die ihren vollen Namen und auch ihr Gesicht nicht in der Zeitung sehen möchte, sagt, sie habe lange in einer Blase gelebt. Sie wohnt im liberalen Danzig, ist seit mehreren Jahren mit ihrer Freundin zusammen und hatte sich damit eigentlich immer wohlgefühlt. Geplatzt ist diese Blase für Ewa im vergangenen Jahr.
Damals ging sie mit ihrer Tante auf die erste Pride-Parade in ihrer Heimatstadt Bialystok, nahe an der Grenze zu Belarus. Die Situation eskalierte: 1000 Demonstrierenden standen plötzlich 4000 gewaltbereite Gegendemonstranten gegenüber. Es flogen Flaschen und Steine, viele Teilnehmende wurden verletzt. Ewa fühlt sich weniger durch die legalen Einschränkungen gestört als durch all den Hass und die Gewalt, die queeren Menschen in Polen im Alltag begegnen. „Wir kämpfen nicht mehr darum zu heiraten, sondern zu überleben“, sagt Ewa.
Beleidigungen und Angriffe sind Alltag
Beleidigungen und auch Angriffe auf die LGBT-Community sind in Polen für viele Menschen Alltag. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn Homo- oder Transphobie werden im polnischen Recht nicht gesondert erfasst. Aktivistin Yga Kostrzewa sagt, dass sie bei ihrer Arbeit immer häufiger von Übergriffen hört. Vor wenigen Wochen erfuhr sie das auch zum ersten Mal in ihrem Leben am eigenen Leib. Sie wurde grundlos auf der Straße als dreckige Schlampe bezeichnet.
Nach den Vorfällen in Bialystok traute sich Ewa monatelang nicht, allein das Haus ihrer Eltern zu verlassen. Auch zurück in Danzig, wo sie studiert, blieb die Angst. „Wenn ich auf der Straße die Hand meiner Freundin halte, bin ich immer angespannt“, erzählt sie.
Auf offener Straße als "dreckige Lesbe" bezeichnet
Vor einiger Zeit wurde sie mit ihrer Freundin auf offener Straße angespuckt und als „dreckige Lesbe“ bezeichnet. Abfällige Blicke und komische Kommentare bekommt sie ständig zu spüren. Ewa ist eine unauffällige Frau, sie trägt langes blondes Haar. Gerne hätte sie eine Kurzhaarfrisur und würde sich männlicher kleiden. „Aber das Leben in Polen ist als queere Person schon so schwer genug“, sagt sie. „Da will ich vermeiden, auf der Straße aufzufallen.
Partyka und Raciborska heirateten im Februar 2018 in Kopenhagen. In Polen ist ihre Urkunde allerdings nur ein wertloses Papier. Die beiden merken zunehmend, dass die politische Stimmung gegen queere Menschen immer feindseliger wird.
Auf ihre Social-Media-Posts erhalten sie immer öfter auch Beleidigungen. Manche sind harmlos, einige treffen das Paar sehr. „Mich hat das irgendwann zu sehr belastet“, sagt Partyka, seitdem kümmert sich ihre Frau darum, die Nachrichten zu beantworten.
Nur wenige wissen, dass Ewa bi ist. Ihren Eltern hat sie es bisher nicht erzählt, die denken, ihre Partnerin sei nur eine Freundin – und das, obwohl Ewa seit vier Jahren mit ihr zusammen ist. Für ihr Studium erhält sie Geld von ihren Eltern. Ewa befürchtet, dass sie damit aufhören könnten, wenn sie von ihrer sexuellen Orientierung wüssten.
Mehr als drei Viertel der Eltern akzeptieren ihre queere Kinder nicht
Die Sorgen sind nicht unberechtigt: Mehr als drei Viertel der Eltern akzeptieren ihre queeren Kinder in Polen nicht vollständig. Ewa hat die Hoffnung verloren, dass sich bald etwas an der Situation in Polen ändert. Sie glaubt nicht, dass sie langfristig hierbleiben möchte.
[Hinweis der Redaktion: Der Text entstand auf einer von der Heinrich-Böll-Stiftung finanzierten Recherchereise.]
Ihre Zukunft sehen auch Partyka und Raciborska nicht in Polen: Sie hatten eigentlich schon entschieden, das Land in diesem Jahr zu verlassen. Dänemark sollte es werden. Nicht nur die Heirat, sondern auch die Migration dorthin ist vergleichsweise einfach. Im Mai wollten sie auswandern, hatten aufgeteilt, wer sich um eine neue Wohnung und wer sich um den Papierkram kümmern sollte.
Corona durchkreuzte den Plan auszuwandern
Dann kam Corona. Plötzlich wurden die Grenzen geschlossen und die beiden konnten ihren Plan nicht umsetzen. „Wir versuchen jetzt so viel wie möglich in normale Länder zu reisen“, erzählt Partyka. „Damit wir immer wieder merken, dass dieser Hass hier in Polen, diese Diskriminierung und das alles nicht normal ist.“
Sie waren in diesem Jahr schon in Deutschland, Griechenland, Schweden und Norwegen. Auf lange Sicht können sich die beiden nicht vorstellen, weiterhin in Polen zu leben. „Ich würde gerne in Polen bleiben, aber ich hasse das System hier“, sagt Paryka. „Im Moment kämpfen wir auch gar nicht für gleiche Rechte, sondern bloß dafür, dass wir in Frieden leben können.“