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Berlin bezeichnet sich als „bunt, weltoffen und tolerant" - aber ist es das wirklich?
© imago/ZUMA Press

Alltag von Homosexuellen: Wie queere Menschen in Berlin diskriminiert werden

Berlin gibt sich tolerant gegenüber Homosexuellen. Doch können sie hier wirklich offen leben? Vier Menschen erzählen aus ihrem Alltag.

Übernächsten Sonnabend ist Christopher Street Day, kommendes Wochenende feiert Schöneberg das lesbisch-schwule Straßenfest. Es gibt das schwule Museum, viele queere Clubs wie das Schwuz. Die Stadt Berlin bietet auf ihrer Internetseite einen Guide für homosexuelle Touristen an, bezeichnet sich als „bunt, weltoffen und tolerant“. Doch wie ist das eigentlich, LSBTI in Berlin zu sein? Leben Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle hier wirklich so offen und toleriert?

„Ich wurde schon beim Joggen als blöde Kampflesbe beschimpft“, erzählt beispielsweise die 54-jährige Annet. „In einem Einkaufszentrum in Tempelhof hat ein Vater auf mich gezeigt und zu seinen zwei Kindern gesagt, dass er dachte, ich sei ein Kerl. Dabei sei ich nur eine olle Lesbe“, sagt die Mariendorferin.

Trotz der verbalen Angriffe versteckt sie sich nicht. Sie trägt gern ein T-Shirt mit dem Wort „Berlin“ darauf: „Jeder Buchstabe ist dabei in einer Farbe des Regenbogens. Keine Frage, dass sie an der Demo vor ein paar Wochen teilnahm, um gegen homo- und transphobe Übergriffe in Neukölln zu protestieren. „Hase, ich trinke heute Abend ein Bier auf dich“, rief sie dort durchs Megafon, als jemand „scheiß Schwuchteln“ aus einem Auto brüllte.

"Ein Typ sagte uns ins Gesicht, dass wir ekelhaft seien"

Weil sie Hand in Hand mit ihrer Freundin ging, wurde Charlotte verbal attackiert.
Weil sie Hand in Hand mit ihrer Freundin ging, wurde Charlotte verbal attackiert.
© Mike Wolff

Ein Café in der Nähe des Ostkreuzes. Die 28-jährige Psychologiestudentin Charlotte nippt an ihrer Zitronenlimo, während eine Gruppe Menschen vorbeigeht. Unbeeindruckt davon erzählt sie, dass sie mit einer Frau zusammen ist. Aber: „Definitionen sind irgendwie blöd, da sie immer ausschließen. Ich bin weder hetero- noch ausschließlich homosexuell.“

Sie lebt in Wedding, in einem ruhigen Wohnviertel. Hier küsst sie auch ihre Freundin in der Öffentlichkeit. Aber an belebteren Orten sieht es anders aus. „An der Friedrichstraße kam mal ein junger Typ an und sagte uns ins Gesicht, dass wir ekelhaft seien. Wir haben nur Hände gehalten.“ Ein Mann habe sich dann eingeschaltet und gesagt, dass sie die Polizei rufen sollten. Charlotte und ihre Freundin haben es bleiben lassen.

Die Berliner Polizei hat – neben der in Hamburg – als einzige eine offizielle Stelle, an die sich LSBTI wenden können. Am Columbiadamm ist Polizeioberkommissarin Anne Grießbach-Baerns eine von zwei Ansprechpersonen. „Es gibt Anrufer, die früher mal eine schlechte Erfahrung mit der Polizei gemacht haben. Sie trauen sich nicht, auf einen Polizeiabschnitt zu gehen, und rufen dann uns an. Wir nehmen den Anrufern die Ängste und vermitteln an unsere Kollegen und Kolleginnen“, erzählt sie. Oftmals gehe es um Beleidigungen oder leichte Körperverletzung. Neben der Vermittlung sei es für Grießbach-Baerns wichtig zuzuhören. „Wir nehmen jeden Fall ernst, wollen in einen Dialog treten, zeigen, dass wir Verständnis haben, das oft aus unserer eigenen Lebens- und Berufserfahrung hervorgeht.“

Körperverletzung, Raub, Beleidigungen

Zahlen hat sie auch parat: 2017 wurden 164 Anzeigen erstattet, die als Hassverbrechen gegen die sexuelle Identität registriert wurden – gegenüber 2016 gleichbleibend. Mitte ist dabei mit 43 Fällen auf dem ersten Platz, Neukölln mit 23 Fällen auf dem dritten Platz. Doch die Dunkelziffer liegt bei 80 bis 90 Prozent. Teile dieser Ziffer bildet das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo ab. Einige der Menschen, die sich nicht trauen, zur Polizei zu gehen, melden sich hier. Das Projekt hat 2017 insgesamt 324 Übergriffe registriert – 2016 waren es noch 291. Es sind hier vor allem Körperverletzung, Raub und Beleidigungen.

Beantworten Sie die Fragen und machen Sie mit bei der Aktion "Deutschland spricht":

Die Zitronenlimo ist leer. Die Kellnerin räumt ab, anscheinend unbeeindruckt von diesem Gespräch. Charlotte erklärt gerade, dass sie ihre Sexualität als nur einen Aspekt ihres Lebens sieht – wenn auch einen wichtigen. „Ich mag es gar nicht, wenn mich Menschen anders behandeln, nachdem ich mich geoutet habe“, betont sie. Egal, ob das freudig oder widerwillig aufgenommen werde. „Die Leute denken dann oft zuerst an die Sexualität und erst danach an mich als Person.“ Darum habe sie sich dazu entschieden, dass es Bereiche in ihrem Leben gibt, in denen sie nicht offen ist. Im Frauen-Fitnessstudio etwa: „Ich will nicht, dass die Frauen denken, dass sie sich nicht mehr vor mir umziehen können.“ Oder im Studium, vor ihren meist männlichen Professoren. „Die denken oft noch, dass meine Sexualität pathologisch zu sehen sei.“

Dennis wurde schon in einem Café am Hackeschen Markt angespuckt, weil er schwul ist. Er erzählt das, obwohl er kurz zuvor noch meinte, bisher keine krasse Homophobie erlebt zu haben. Dann gerät er ins Stocken: „Wann wurde wohl zuletzt ein heterosexueller Mensch wegen seiner Sexualität angespuckt?“ Dennis ist 32 und Product Manager in einem Medienunternehmen. „Nein“ ist seine deutliche Antwort auf die Frage, ob er immer offen schwul ist. „Ich bin froh darüber, dass man mir nicht sofort ansieht, schwul zu sein. So traurig diese Aussage auch ist.“ Ihn beschäftigen vermeintliche Kleinigkeiten wie die Frage, ob er in der Öffentlichkeit eine Dating-App auf seinem Handy öffnen oder die Hand seines Freundes halten kann. Immer geht der der Blick zunächst über die Schulter.

Die Menschen, die für diesen Artikel aus ihrem Alltag erzählen, haben sich geoutet. Bei ihrer Familie, bei Freunden, auch am Arbeitsplatz. Alle haben sie selbst kein Problem mit ihrer Sexualität, ihrer Identität. Sehen sich als einen Teil queerer Kultur und Geschichte. Doch die Frage, ob sie immer offen leben, lässt sie stutzen. Denn alle kennen sie diese Selbstkontrolle, das kurze Innehalten, ob sie gerade zu viel preisgeben. Nicht immer, nicht in jeder Situation. Aber die Gedanken sind da: Ist das hier ein sicherer Ort? Sollte ich mich verstellen? Wie werden die Menschen um mich herum reagieren?

"Wenn du einmal versteckt leben musstest, willst du das nicht wieder tun“

Ahmet möchte nicht, dass sein echter Name in dieser Zeitung steht. Er ist 27, seine Eltern kommen aus der Türkei. Seit er denken kann, weiß er, dass er schwul ist. Seine Eltern erst seit vier Jahren. Er hat es akzeptiert, seine Eltern nicht, er wohnt seit dem Outing in einer WG in Schöneberg. „Ich küsse meinen Freund auf offener Straße, halte seine Hand.“ Demonstrativ. „Wenn du einmal versteckt leben musstest, dann willst du das nicht wieder tun“, erzählt er. Aber: „Ich habe es schon mehrmals erlebt, dass andere türkischstämmige Menschen ziemlich gereizt auf mich reagieren“, sagt er. Weil er schwul sei und damit ein Verräter, so wurde es ihm gesagt. Doch das seien Ausnahmen.

Er hat das Gefühl, dass die meisten Menschen mehr mit sich selbst zu tun hätten, als auf ihn zu achten. „Ich sehe nicht aus wie der typische Deutsche. Das merke ich besonders dann, wenn ich von anderen Deutschen fast schon bewundernd angeblickt werde, weil ich schwul bin“, konstatiert er. Das belustige ihn. „Wie schön, ein positives Beispiel zu sein.“

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