Vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich: Warum viele Homosexuelle mit Marine Le Pen sympathisieren
Viele Homosexuelle in Frankreich sympathisieren mit Marine Le Pen - obwohl diese die Ehe für alle abschaffen will. Doch Le Pen versteht es, mit den Ängsten von Schwulen vor Muslimen zu spielen.
"Ich höre immer mehr Geschichten darüber, wie es in manchen Bezirken nicht gut ist, eine Frau, homosexuell, jüdisch, oder gar französisch oder weiß zu sein." Das sagte 2010 Marine Le Pen der französischen Presseagentur AFP. Die Gefahr gehe von migrantischen und muslimischen Gemeinden aus.
Der Satz war programmatisch: Homosexuelle in Schutz zu nehmen, gehört seitdem zum Prozess der „Entdämonisierung“, den die Partei schon Anfang der 90er-Jahre begann. Dieser sollte das schlechte, von Faschismus geprägte Bild des Front National glätten und seine Machtübernahme ermöglichen. Die scheinbare Öffnung der rechtsextremen Partei dient ihrer gezielten Normalisierung in der politischen Landschaft Frankreichs.
Eine durchaus erfolgreiche Strategie. Laut einer Umfrage des Centre de recherches politiques de Sciences-Po (Cevipof) wählten bei den Regionalwahlen 2015 rund 38,6 Prozent der verheirateten schwulen Männer den Front National - was deutlich mehr waren als bei den verheirateten heterosexuellen Männern (30,2 Prozent). Von den verheirateten lesbischen Frauen stimmten 26 Prozent für den FN (gegenüber 27,8 Prozent der verheirateten heterosexuellen Frauen). Wie überproportional erfolgreich Le Pens Partei gerade bei Schwulen war, zeigt auch ein Vergleich mit dem Gesamtstimmenanteil: Über alle Gesellschafsgruppen hinweg erhielt der FN damals insgesamt 28 Prozent. Gut möglich, dass Le Pen auch bei der Stichwahl um das Präsidentenamt am Sonntag viele Stimmen von Homosexuellen bekommen wird.
Für Gründer Jean-Marie Le Pen war Homosexualität anormal
Nun hat sich die alte, traditionelle Grenzen zwischen Rechts und Links in Frankreich ohnehin verändert. Frexit, NATO-Austritt, Ablehnung von Freihandelsabkommen, Normalisierung der bilateralen Beziehung zu Russland: Die Positionen vom rechten und linken Rand zeigen einige Schnittstellen. Auch innerhalb des FN gibt es gegensätzliche Strömungen, was ihm womöglich sogar hilft. Während beispielsweise Florian Philippot als Grund für die Arbeitslosigkeit den Euro sieht, ist diese laut Marion Maréchal Le Pen, Marines Nichte und Abgeordnete in der Nationalversammlung, auf die Einwanderung zurückzuführen. Und ebenso widersprüchlich ist der Umgang der Partei mit Homosexualität.
Partei-Mitgründer Jean-Marie Le Pen bezeichnete noch im Jahr 1984 Homosexualität als "biologische und gesellschaftliche Anomalie". 1995 sagte er: „Ich gebe zu, dass es in der Front National Homosexuelle geben wird, aber keine Tunten. Die Tunten sollen sich zum Teufel scheren.“
Marine Le Pen nahm an den Demonstrationen gegen die Eheöffnung nicht teil
Jedoch hielt sich Marine Le Pens Vater bereits 1998 im Zeitraum der Verabschiedung des Zivilen Solidaritätspaktes (PACS – französische Entsprechung der eingetragenen Lebenspartnerschaft) überraschend zurück. 2004 sprach er sich in einem Interview für die Tageszeitung Le Monde sogar für die gleichgeschlechtliche Ehe aus: „Dass es Männer gibt, die Männer lieben, warum nicht? Wenn man solchen Partnerschaften auch einen offiziellen Charakter geben will, ist das keine Staatsaffäre.“ Dass Homosexuelle heiraten wollen, sei für ihn der Beweis, dass diese Institution wieder an Prestige gewinne.
Homosexuelle Menschen, die auf diese Wölfe im Schafspelz setzen, nur weil diese irgendeinen zweifelhaften Schutz versprechen, müssen damit rechnen, irgendwann genau diesen Wölfen gegenüber zu stehen - aber dann ohne Schafspelz.
schreibt NutzerIn EvaK
Im Buch Rose Marine. Enquête sur le FN et l’homosexualité (Rose Marine. Ermittlung über den FN und die Homosexualität) beschreibt die Journalistin Marie-Pierre Bourgeois, dass es den privaten Jean-Marie Le Pen (schwulenfreundlich) und den öffentlichen Jean-Marie Le Pen (homofeindlich) gebe. Letzterer versuche vor allem, sich bei der alten Garde und erzkonservativen Wählerschaft anzubiedern.
Auch Marine Le Pen hielt sich 2013 im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens für die gleichgeschlechtliche Ehe (Ehe für Alle) mit Kritik zurück. An den Massendemonstrationen gegen die Eheöffnung nahm sie persönlich nicht teil. Jetzt hat sie aber bereits verkündet, dass sie das Gesetz abschaffen wolle, wenn sie Präsidentin würde. Auch lehnt die Präsidentschaftskandidatin das Recht auf künstliche Befruchtung für lesbische Paare ab.
Einige Spitzenfunktionäre des FN sind offen schwul
Einige schwule FN-Anhänger denken dennoch, dass es nicht soweit kommen wird. Sie hoffen auf Florian Philippot, den Vize-Vorsitzenden des FN und Marine Le Pens engsten Berater, sowie auf Steeve Briois, Bürgermeister der Stadt Hénin-Beaumont und kommissarischer Vorsitzender der Partei. Philippot und Briois wurden gegen ihren Willen von der Presse geoutet, gehen aber seitdem offensiv mit ihrer Homosexualität um.
Zwar bringen die Homosexuellen in der FN keine LGBTI-Themen in die Tagespolitik und Debatten ein - anders die „Homosexuellen in der AfD“, die sich „als Sprachrohr der Bürgerlichen Homosexuellen in Deutschland fernab der linksgrünen und schrillen Töne“ sehen, wie einer Pressemitteilung von Oktober 2014 zu entnehmen ist. Dennoch befürchtet die erzkonservative und nationalreligiöse alte Garde des FN, Philippot und Briois könnten der ideologischen Linie der Partei eine andere Richtung geben. Einige der Altvorderen sind wegen der beiden sogar schon zähneknirschend aus der Partei ausgetreten.
Wie dem auch sei: Klar ist, was auch Schwule und Lesben den FN wählen lässt. Auf gesellschaftspolitischer Ebene vereint homosexuelle und heterosexuelle FN-Wähler*innen das Thema insécurité (Unsicherheit) sowie die Angst vor dem „islamistischen Terrorismus“.
Homosexuelle FN-Wähler eint die Angst vor dem Islam
Wie aus dem Eingangszitat Marine Le Pens klar wird, verortet der Front National Homofeindlichkeit und Gewalt in den migrantischen Bezirken beziehungsweise in muslimischen Gemeinden. Dabei werden muslimische und/oder migrantische Queers, homofeindliche Gewalt durch weiße, nicht muslimische Franzosen, strukturelle Diskriminierung gegen Schwule und Lesben (zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt) oder staatliche Gewalt (ungleiche Rechte) ausgeblendet. Wichtiger für die FN-Wähler scheint, dass aus ihrer Sicht die schwulenfeindliche Gewalt, die der FN den Migrant*innen und Muslimen anlasten, innerhalb der LGBTI-Community nicht ausreichend thematisiert und angegangen werden kann, da von Linken gleich der Vorwurf des Homonationalismus erhoben wird. Andere LGBTI-Politiken können da vom Tisch - insbesondere da die gleichgeschlechtliche Ehe nun gesetzlich verankert ist.
In der "Huffington Post" beschreibt Michael Hobbes, was er "Die Epidemie der schwulen Einsamkeit" nennt: Die schwule Community sei ausgrenzend, verletzend und teilweise gewaltvoll. Grund genug, sich ihr nicht zugehörig fühlen zu wollen. Zumal Frankreich den republikanischen Universalismus beschwört, in dem alle Menschen gleich sind und daher keine identitätsstiftenden "Gemeinschaften" nötig sind. So werden auf der anderen Seite des Rheins Konzepte wie „Communauté“ und „Communautarisme“ als Bedrohung und Verhängnis stilisiert.
"Schwulsein und FN wählen ist beides ein Tabubruch"
Sébastien Chenu, Gründer von GayLib, einer LGBTI-Bewegung, die ursprünglich in der Partei Les Républicains angesiedelt war, ist inzwischen zum Front National gestoßen. Auf Franceinfo äußerte Chenu folgende These: Schwul zu sein, habe genau so etwas Tabubrechendes wie FN zu wählen.
Ob der Front National wirklich einen Geisteswandel in Bezug auf LGBTI-Politik vollzogen hat, sei dahingestellt. Sicher ist, dass es wohl als Wiederspruch betrachtet werden kann, wenn eine Partei selbst homofeindliche Politik betreibt und zugleich Homophobie ausschließlich bei migrantischen und muslimischen Gemeinden verortet.
Ebenfalls widersprüchlich ist, dass die angeblich homofreundlichen Parteien im linken Spektrum wenig bis gar keine queeren Parteifunktionäre haben. Unwahrscheinlich, dass die homosexuelle Wählerschaft sich gerade deswegen dem FN zuwendet. Aber der rechte Rand mit seinen Widersprüchen und seiner ambivalenten Strategie scheint erfolgreich zu sein. Reaktionäre Homosexuelle stellen nicht unbedingt einen Widerspruch in sich dar, sondern schreiben sich in eine lange Tradition ein - man denke an Männerbünde oder Ernst Röhm.
Der Autor, geboren in Frankreich, lebt als Schriftsteller in Berlin. Mehr von und über ihn finden Sie hier.
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Jayrôme C. Robinet