Queer weiß das (1): Wärt ihr lieber hetero?
Unsere neue Kolumne im Queerspiegel: Heteros fragen, Homos antworten. Heute: Wärt ihr lieber Hetero?
Ich habe eine ganz einfache Frage: Wärt ihr, zumindest manchmal, lieber hetero? Das wäre doch viel praktischer, oder? - Sebastian, neugierig.
Gleich eine Gegenfrage: Was genau soll noch mal am Hetero-Sein attraktiv sein? Dass man auf einem Date für beide bezahlen muss? Dass die Beziehungsanbahnung ohnehin ziemlich umständlich ist, wenn ich das richtig mitbekomme? Lothar Matthäus und Eva Herman als Rollenvorbilder?
Aber ernsthaft. Natürlich gibt es Homos, bei denen man annehmen kann, sie wären lieber hetero. Auf schwulen Datingportalen gibt es dafür sogar einen Fachausdruck: straight acting – „straight“ steht im Englischen für heterosexuell. Das meint Typen, die sich ostentativ männlich geben und kleiden, etwa so wie der heiße Hetero-Nachbar. Sie legen Wert darauf, nicht „in der Szene“ auszugehen, besuchen keine Schwulenbars, lehnen Tunten ab und kumpeln mit ihren Hetero-Buddys. Straight acting wird von nicht wenigen Schwulen ausdrücklich gewünscht.
"Straight acting" - das wünschen sich viele Schwule
Dazu passt, dass sich viele Schwule und Lesben so vehement nach der Ehe sehnen. Ich persönlich verstehe das nicht. Wir haben doch nicht jahrzehntelang gekämpft, um uns freiwillig einem Institut zu unterwerfen, das dank des Ehegattensplittings die ungleiche Partnerschaft befördert! Ich kann mir das nur mit dem Wunsch nach bürgerlicher, von den Heteros vorgelebter „Normalität“ erklären. Einige wünschen sich auch einen „normaleren“ CSD – zu viel Fummel mindere die Akzeptanz, lautet ihr Argument. Sie vergessen, dass 1969 in der Christopher Street nicht Anzugträger, sondern Drag Queens für unsere Rechte demonstriert haben.
Ein Freund von mir sagt gern: „Fürs straight acting gibt es keinen Oscar, Schätzchen.“ Meine Schauspielkünste sind eh begrenzt, daher: Nein, ich wäre nicht lieber hetero. Und ich kenne auch niemanden in meinem queeren Bekanntenkreis, bei dem oder der das anders wäre. Ich empfinde es eher als befreiend, dass ich den ganzen Hetero-Klimbim nicht mitmachen muss. Auf Alltagsdiskriminierungen könnte ich natürlich dennoch gut verzichten.
Diese Rollenvorbilder hat die Heterosexualität nicht verdient
Womöglich kann ich mir das Hetero-Sein aber einfach nur nicht vorstellen, weil ich es nie praktiziert habe. Deswegen ein Vorschlag: Wollen wir einfach mal eine Woche tauschen, lieber Sebastian? Sie homo, ich hetero? Ich nehme dann auch das mit Lothar Matthäus und Eva Herman zurück. Die beiden als Rollenvorbilder hat die Heterosexualität wirklich nicht verdient.
P.S.: Lebte ich in Russland, würde ich die Frage vielleicht anders beantworten.
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Dieser Text erschien zunächst in der gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.
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