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Saideh Saadat-Lendle, Leiterin von LesMigraS, dem Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Berliner Lesbenberatung.
© Privat

Lesbische und schwule Flüchtlinge: "Viele schweigen aus Scham"

Homosexualität ist ein Asylgrund - aber nicht automatisch. Saideh Saadat-Lendle von der Antidiskriminierungsstelle Lesmigras erklärt im Interview mit dem Queerspiegel, wie schwierig es für Lesben und Schwule ist, wirklich Asyl in Deutschland zu erhalten.

Frau Saadat-Lendle, wie viele LGBTI-Asylsuchende kommen derzeit nach Berlin?

Da nicht erfasst wird, aus welchen Gründen in Deutschland Asyl beantragt wird, kann man das gar nicht sagen. Wir können über die Fälle sprechen, die wir kennen. Bei uns haben sich Männer aus Ägypten, Syrien und Kenia gemeldet. Von den Frauen, die wir betreuen, kommt die Mehrheit aus Kamerun.

Wie kommen diese Leute zu LesMigraS?

Es hängt ganz einfach davon ab, wer Zugang zu Informationen hat. Oft werden die unter Flüchtlingen ausgetauscht. Auffällig ist zum Beispiel, dass auch viele Iraner uns sofort kontaktieren – weil sie durch andere lesbische Frauen oder schwule Männer mitbekommen haben, dass hier eine Iranerin arbeitet, die Beratungen durchführt. Letztlich spielt der Zufall also eine entscheidende Rolle. Das Land muss daher unbedingt bessere Strukturen schaffen und die Leute systematisch in Aufnahmestationen über Beratungsstellen und ihrer Rechte informieren. Die Politik nimmt das bisher leider nicht so ernst.

In den Herkunftsländern vieler Geflüchteter ist Homosexualität tabuisiert. Trauen sie sich überhaupt, das als Asylgrund anzugeben?

Sehr sehr wenige. Die Personen, denen wir helfen, haben oft extreme Gewalt erlitten. Die sind teilweise psychisch sehr instabil, sind unsicher. Viele wissen auch gar nicht, dass sie Homosexualität als Asylgrund angeben können. Deswegen ist eine Forderung von uns an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das in irgendeiner Form sichtbar zu machen. Geflüchtete sollten den Begriff auf den allerersten Anträgen sehen. Wobei das nicht alle Probleme löst.

Woran denken Sie noch?

Dass sich ganz wenige outen - übrigens oft erst Monate nach dem Asylantrag -  hat verschiedene Gründe. Ein Beispiel: Die Übersetzer, die oft von den Botschaften des Herkunftslandes gestellt werden. Die Antragsteller fürchten, durch deren Kontakt zur Botschaft und zu Landsleuten könnten staatliche Stellen im Herkunftsland etwas von ihrer Homosexualität mitbekommen und die Familien unter Druck setzen. Eine andere Angst ist, im Heim Gewalt zu erleben. Oft wissen sie auch nicht, ob Homosexualität in Deutschland überhaupt akzeptiert ist.

Homosexualität ist ein Asylgrund, allerdings nicht automatisch. Wie groß ist die Chance, als Homosexueller tatsächlich Asyl in Deutschland zu erhalten?

Auch das ist sehr schwer zu beziffern. Antragsteller müssen beweisen, dass sie tatsächlich lesbisch, schwul oder transgeschlechtlich sind - und dass sie tatsächlich verfolgt wurden und ihr Leben in Gefahr war. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Viele erzählen schon aus Scham nicht, was ihnen angetan wurde.

Wie erleben die Betroffenen die Befragungen in den Behörden?

Früher mussten Antragsteller ein Attest vorlegen, das ist glücklicherweise vorbei. Soweit wir wissen, stellen Richter auch keine aufdringlichen Fragen über Sexualpraktiken oder ähnliches. Oft wird zunächst allgemein gefragt: Erzählen sie über ihre schwule, ihre lesbische Lebensweise. Seit wann sind sie homosexuell, wie lange dauerten ihre Beziehungen, hatten sie zwischendurch andere Beziehungen, haben sie womöglich Kinder. Unserem Eindruck nach machen Richter ihr Urteil häufig stark von der Genderperformanz abhängig.

Was bedeutet das?

Frauen, die lange Haare haben und „weiblich“ wirken, wird ihr Lesbischsein häufig nicht geglaubt; genausowenig Frauen, die Kinder haben. Männer, die eher feminin sind, haben dagegen bessere Chancen. Die Richter lassen sich da allzusehr von ihren Vorurteilen leiten.

Der Europäische Gerichtshof hat Ende 2014 die Rechte verfolgter Homosexueller gestärkt: Die Grundrechte der Antragsteller auf Privatleben sind zu achten, ihre Würde darf durch die Fragen der Beamter nicht verletzt werden. Sind dadurch Veränderungen zu spüren?

Was wir den Antragstellern jetzt wirklich sagen können: Ihr braucht keine Fotos, und erst recht keine Videos, um eure Homosexualität zu beweisen. Das gibt den Klientinnen ein wenig Sicherheit.

In Flüchtlingsheimen sind LGBTI eine Minderheit. LesMigraS hat bereits auf Gewalt und Diskriminierungen in Berliner Flüchtlingsheimen aufmerksam gemacht. Was sind die größten Probleme?

Das Kernproblem ist die allgemeine aggressive Atmosphäre, die über allem steht. Die Asylsuchenden haben zum großen Teil eine sehr schwierige Zeit hinter sich und leben teilweise seit Monaten und Jahren in den Heimen in menschenunwürdigen Zuständen. Konflikte kommen ohnehin schnell zustande, und wenn dann eine Person kommt, die den Normen nicht entspricht, geht es noch schneller. Es wurden zum Beispiel Fensterscheiben von LGBT-Flüchtlingen mit Dosen eingeworfen.

Wie kann das ohnehin oft überlastete Personal für diese Gruppe sensibilisiert werden?

Wir haben in diesem Jahr drei Workshops geplant. Wir müssen uns an deren Situation anpassen: Die Fortbildungen müssen kurz sein, wir müssen ihre Arbeit erleichtern. Vor allem muss die Politik endlich handeln.  Berlin braucht eine Koordinierungsstelle, die sich des Themas annimmt. Die Beratungsstellen stehen derzeit wegen der vielen Anfragen unter einem enormen Druck, werden aber ziemlich alleingelassen.

Gefordert wurden bereits separate Flüchtlingsheime für LGBTI. Wie realistisch ist das angesichts der Tatsache, dass Wohnheimsplätze insgesamt immer knapper werden?

Das ist tatsächlich wenig wahrscheinlich. Man muss auch bedenken, dass man mit speziellen WGs oder Wohnungen das große Problem der vielen nicht-geouteten Flüchtlingen nicht löst. Insgesamt ist es eine sehr schwierige Frage. Einige schwule Männer durften zum Beispiel in einem Heim wegen ihrer Homosexualität oft außerhalb des Flüchtlingsheims übernachten Das hat wiederum Aggressionen gegen sie wegen dieser Sonderbehandlung hervorgerufen. Wir plädieren daher, die Konflikte in den Unterkünften anzugehen. Man könnte etwa mehr Einzel- oder Zweierzimmer einrichten, die als Rückzugs- und Schutzorte dienen.

 Lesen Sie hier das Porträt einer lesbischen Frau, die aus Tunesien nach Deutschland geflohen ist.

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