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© dpa

Interview mit Elmar Kraushaar: "Schwule sind unter Druck, sich als gute Schwule darzustellen"

Von der frühen Schwulenbewegung über die Aids-Krise zur Ehe für alle: Ein Interview mit dem Autor Elmar Kraushaar über schwule Identität im Wandel - und über ein rares Filmdokument.

Herr Kraushaar, Ihre Kolumne „Der homosexuelle Mann“ in der „Taz“ war eine Institution. Vor kurzem haben Sie damit aufgehört. Weshalb?

Nach zwanzig Jahren war das Format einfach auserzählt. Jetzt müssen auch mal Jüngere ran. Als Journalist immer auf das Homo-Thema reduziert zu werden war manchmal auch ziemlich hart.

Warum?

Für mich als schwulen Journalisten war es selbstverständlich, mir eine Kompetenz zu allen Aspekten der Homosexualität zu erarbeiten. Das war und ist mein Portfolio, sozusagen. Dass mir deswegen aber oft genug die Fähigkeit abgesprochen wurde, auch über andere Themen zu schreiben, ärgert mich immer wieder.

Wie hat sich Ihrer Wahrnehmung nach die Berichterstattung über Lesben und Schwule in den vergangenen Jahren geändert?

Mit der Homo-Ehe gab es einen Paradigmenwechsel. Daraus konnten auf einmal nicht nur schwule Kollegen und lesbische Kolleginnen Geschichten entwickeln, sondern auch die anderen: Aha, die Lesben und Schwulen wollen heiraten, wie leben die denn, wie sieht das bei denen zu Hause aus, wie ist die Küche, wie das Wohnzimmer, haben die auch ihren Staubsauger, so wie wir?  Das war im Bereich des Vorstellbaren und sehr spannend, während es vorher schwieriger war.

Elmar Kraushaar (Jahrgang 1950) ist Schriftsteller und Journalist. Er lebt in Berlin.
Elmar Kraushaar (Jahrgang 1950) ist Schriftsteller und Journalist. Er lebt in Berlin.
© Sven Gebert

Inwiefern?

Einmal hing noch der ungeheure Ballast des Aids-Krise nach, wo man sich um eine todbringende Krankheit kümmern musste. Aber auch um Sexuelles. Das ist den Journalisten, die sich das vornehmen mussten, sehr schwer gefallen. Die mussten sich mit der Sexfrequenz von schwulen Männern beschäftigen, um das Phänomen der Ansteckung und der Krankheit zu erfassen. Mit der Debatte um die Homo-Ehe konnte man auf einmal unbedarfter hingucken.

Ein frühes Buch von Ihnen ist „Männer, Liebe“, das Sie 1982 mit Matthias Frings herausgebracht haben. Es war damals eines der ersten schwulen Aufklärungsbücher. Der Film, der auf dem Buch basiert, wird an diesem Freitag zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder gezeigt. Wie kam es damals zu dem Werk?

Ich hatte einer Lektorin bei Rowohlt 1981 angeboten, ein Buch über zehn Jahre Schwulenbewegung zu machen. Da ist sie aber nicht so richtig drauf eingegangen. Stattdessen entstand dann „Männer, Liebe“, quasi ein Handbuch für fortgeschrittene Schwule. Wir haben versucht, spielerisch aufzuklären. Es gibt ein Fotoquiz, auf denen wir Schwule mit ihren Brüdern gezeigt haben. Die Frage dazu lautete: Wer ist der Schwule der beiden, wer der Hetero? Wir haben Schwule in ihren Berufen vorgestellt, einen Schwulen in seiner Apotheke besucht, einen schwulen Taxifahrer begleitet. Wir sind auch an schwule Sexorte gegangen. Das Buch hat sich wahnsinnig gut verkauft, das war ein richtiger kleiner Bestseller.

Die Akzeptanz von Schwulen und Lesben ist stark gestiegen. Doch das Streben nach Gleichstellung setzt sie gesellschaftlich auch unter Druck, sagt Elmar Kraushaar.
Die Akzeptanz von Schwulen und Lesben ist stark gestiegen. Doch das Streben nach Gleichstellung setzt sie gesellschaftlich auch unter Druck, sagt Elmar Kraushaar.
© picture-alliance/dpa

„Männer, Liebe“ ist sehr offen: Es geht auch um anonymen Sex, auch parallel zu einer Partnerschaft. Sie sind Anfang der achtziger Jahre mit Buch und Film durch die Bundesrepublik getourt. Wie waren damals die Reaktionen?

Die erste Reaktion war: Die arroganten Berliner. Wir in der Provinz müssen uns jetzt vorführen lassen, wie die Homo-Avantgarde lebt. Da fühlte sich das Publikum provoziert, egal ob in Hamburg, Konstanz, Frankfurt oder Köln. Die Figuren wurden als ganz unsympathisch wahrgenommen, arrogant, modische Tucken.

Eigentlich wirken sie sehr verletzlich.

Das wurde überhaupt nicht gesehen. Während der Buchmesse in Frankfurt hat eine Schwulengruppe sogar Flugblätter gegen uns verteilt.

Würde der Film heute auch noch Kontroversen hervorrufen?

Ich weiß es nicht. Ich habe ihn einmal Freunden im Urlaub vorgeführt, das muss acht Jahre her sein. Die waren genauso empört, obwohl das ja nun eigentlich wirklich Historie ist.

Liegt das womöglich daran, dass man es auch heute nicht so gern hört, wenn Schwule offen über verschiedene Partnerschaftsmodelle und anonymen Sex reden?

Der Schwule heute, mit der Homo-Ehe und dem endgültigen Streben nach Gleichstellung, ist noch viel mehr als früher unter Druck, sich als guter Schwuler darzustellen. Der kennt Darkrooms oder Grindr nur vom Hörensagen, denn er lebt mit seinem Partner und mit seiner Joghurtmaschine in geordneten Verhältnissen. Das gute Image, das man sich hart erarbeitet hat, will man sich nicht wieder kaputtmachen zu lassen. Auf eine merkwürdige Art gehen die Leute damit zurück in die Fünfziger. Sie führen wieder ein Doppelleben: Auf der einen Seite präsentieren sie sich als gute, fast heterosexuelle Mitbürger. Auf der anderen Seite geht nachts genauso die Post ab wie schon immer. Das will man aber zwanghaft verstecken.

Auffällig im Film ist, dass die Befragten alle „Ich liebe Dich“ direkt in die Kamera sagen. Warum war Ihnen das wichtig?

Es ging darum, die Interviewten bei einem Gefühl zu erwischen: Was öffnet das bei denen, wenn sie „Ich liebe Dich“ sagen. Sie sollten sich nicht nur mit ihren Histörchen präsentieren können.

Was ist für Sie Liebe?

Na das ist ja eine komplizierte Frage. - Ich kann das nur ganz konkret beantworten. Und zwar auf die Situation hin, dass ich schon sehr lange mit einem Mann zusammenlebe, den ich liebe. Ich lebe diese Liebe, und etwas anderes würde ich nicht wollen. Da hat sich nichts abgenutzt. Es ist faszinierend, dieses tiefe Gefühl, nach dem man sich immer gesehnt hat, dieses Liebesversprechen für ein Leben, auch eingelöst zu bekommen. Als ich langsam merkte, dass ich schwul bin - das fing sehr spät an - , habe ich mich nach einer Zweisamkeit mit einem Mann gesehnt. Es musste ein Mann sein. Mehr war mir zu Beginn gar nicht klar.

"Wir schrien alle auf, als Marianne Rosenberg gespielt wurde. Wie kommt sowas?"

Frühe Jahre: Elmar Kraushaar (Mitte) im Schwuz.
Frühe Jahre: Elmar Kraushaar (Mitte) im Schwuz.
© Schwuz

Buch und Film sind gemeinsam mit vielen Protagonisten der West-Berliner Schwulenbewegung entstanden. Wie war es Anfang der Achtziger, als schwuler Mann in Berlin zu leben? Einerseits hat die Zeit ja einen legendären Ruf. Andererseits gab es erst seit 1977 mit dem „Anderen Ufer“ überhaupt ein offen schwules Lokal, das seine Fenster nicht verhängte.

Wir kamen alle aus Gruppen, etwa aus der HAW...

...der Homosexuellen Aktion West-Berlins, eine der ersten Organisationen der Schwulenbewegung in der Bundesrepublik...

...oder aus anderen Gruppen. So viele gab es damals nicht. Die Ausdifferenzierung, auch im Freizeitbereich mit einem schwulen Chor oder einem schwulen Sportverein, kam erst später. Wir hatten gemeinsam, dass wir offen mit dem Schwulsein umgingen. Das war ganz wichtig, das waren nicht viele Männer damals. Man muss aber auch sagen: Wir lebten unter einer Käseglocke.

Wie meinen Sie das?

Es war alles schwul. Man wohnte schwul, man ging zum schwulen Arzt, man ging ins schwule Seminar. Man versuchte sich sein eigenes Ghetto so kommod wie möglich zu machen. Wenn ich einkaufen ging und mit der Verkäuferin redete, habe ich manchmal gedacht: Das ist das erste Mal, dass ich seit sechs Wochen mit einer heterosexuellen Person in Kontakt komme. Das war zum Teil gut und richtig, weil es einen Schub an sicheren Umgang mit dem Schwulsein gab. Wir waren nicht erpressbar. Wir kamen so näher an ein selbstbewusstes, offenes schwules Leben, wie wir uns es ausgemalt hatten. Die Nachteile habe ich erst später bemerkt.

Welche Nachteile?

Viele sind daran zerbrochen. Die Sicherheit, die man unter der Käseglocke hatte, stattete einen gut für das Leben unter der Käseglocke aus, aber nicht darüber hinaus. Wenn man raus musste in die Welt und die berufliche Karriere anstand, haben viele einen Rückzieher gemacht. Dann mussten sie die Entscheidung treffen: Karriere in der bürgerlichen Welt oder in der Gegenkultur bleiben. Es gab plötzlich Selbstmorde von Leuten, die auf diesen Zwiespalt nicht vorbereitet waren. Andere landeten in der Psychiatrie. Das hatten wir nicht erwartet, und da konnten wir auch nichts anbieten.

Mitglieder der Gruppe "Homosexuelle Aktion Westberlin" bei der Pfingstdemonstration in West-Berlin, 1973.
Mitglieder der Gruppe "Homosexuelle Aktion Westberlin" bei der Pfingstdemonstration in West-Berlin, 1973.
© Rüdiger Trautsch Schwules Museum* (Dauerleihgabe des Fotografen)

1982 war von Aids allenfalls etwas zu ahnen, wenig später sollte sich das ändern. Wie hat die Aids-Krise die schwule Szene damals verändert?

Die kam wie ein Tsunami über uns. Wir waren damals Ende 20, Anfang 30. Und auf einmal erlebt man, wie ein Freund nach dem nächsten stirbt. Unter erbärmlichen Umständen, die Krankheit zeichnete die Leute brutal. Da hat uns niemand drauf vorbereitet. Zudem war die Berichterstattung schlimm, vor allem im „Spiegel“. Wir haben das als großen Angriff auf unsere Identität erlebt. Im Ausland war es teilweise noch furchtbarer. Ich bin damals für eine Reportage nach Schweden gefahren. Die hatten am Rande Stockholms eine Villa eingerichtet, in der alle Schwulen, die beim unsafen Sex erwischt wurden, kaserniert wurden. Schweden oder Dänemark waren für mich damals Vorzeigeländer für Toleranz und liberales Leben. Dann plötzlich sowas zu erfahren, war hart.

Ist von der existenziellen Bedrohung damals noch etwas geblieben? Die große Ausstellung „Homosexualität_en“ im vergangenen Jahr zum Beispiel hat das Thema Aids ausgespart.

Ich fand es falsch, dass das ausgespart wurde. Über mindestens ein Jahrzehnt war es ein existenzieller Bestandteil schwulen Lebens. Und heute…. Ich bin immer wieder überrascht.

Worüber?

Für eine Geschichte über Pornosucht habe ich vor kurzem mit einem Therapeuten der Schwulenberatung gesprochen. Der hat mir das von den Chem-Sex-Partys und Crystal Meth erzählt. Darüber wusste ich bis dahin gar nichts. Er erzählte mir, wie immer mehr junge Leute bei ihm auftauchen, wie es auf diesen Partys zugeht. Das hat mich umgehauen. Haben diese Leute überhaupt nichts begriffen? Da wird nicht nur gefickt ohne Ende. Sie teilen auch alle eine Spritze, das ist Teil der Inszenierung. Da rennt jede Präventionsarbeit gegen die Wand.

Wenn Sie zurückblicken: Wie hat sich schwule Identität in den vergangenen drei Jahrzehnten verändert?

Früher war das ein großer Begriff, an dem wir uns sehr abgearbeitet haben. Wir wollten wissen, was uns als schwule Männer zusammenhält. In den ersten Jahren haben wir furchtbar viele Gemeinsamkeiten entdeckt, auch wenn wir unterschiedliche biografische Hintergründe hatten.

Was waren solche Gemeinsamkeiten?

Um mit einer billigen anzufangen: Wir schrien alle auf, als Marianne Rosenberg gespielt wurde. Da fragt man sich schon: Wie kommt sowas? Das hat uns doch keiner beigebracht, auf solche albernen Schlager kollektiv abzufahren. Wir haben versucht, das als schwule Identität zu identifizieren, um auch alle anderen Schwulen zu erreichen. Wir wollten schließlich gesellschaftlich etwas verändern. Heute hat sich das - zum Glück - verändert. Es ist nicht mehr so einfach, den Zusammenschluss aller Schwulen herzustellen.

Warum nicht?

Es ist eine neue Generation am Start, die mit anderen Begriffen arbeitet. Die sind nicht mehr schwul oder lesbisch, sondern queer. Die sprechen nicht von der Schwulenbewegung, sondern von der LGBTI-Bewegung. Ich kann mit vielem davon gar nichts anfangen. Oft habe ich das Gefühl, es handelt sich um einen Etikettenschwindel: Dahinter versteckt sich doch das gleiche. Aber: Auf jeden Fall finde ich es  richtig, dass diese schwule Identität nicht so einfach zu greifen ist und sich eben nicht an Oberflächlichkeiten festmachen lässt wie an der gemeinsamen Begeisterung für Marianne Rosenberg.

- "Männer, Liebe" wird an diesem Freitag (1. April) im Schwuz im Rahmen von "Polymorphia. Die Terrortuntennacht" gezeigt. Ab 19 Uhr, Einlass ab 18 Uhr 30. Im Anschluss gibt es ein Gespräch mit Elmar Kraushaar und Matthias Frings, danach ab 21 Uhr eine Show unter anderem mit der Gastgeberin des Abends, Patsy  l’Amour laLove. Hier gibt es mehr Infos zum Abend.

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de.

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