4000 Frauen beim L-Beach Musikfestival: "Rock geht bei Frauen immer"
Sie lieben Musik und sie lieben Frauen. Jedes Frühjahr treffen sich an der Ostsee Frauen aus ganz Europa zum L-Beach Musikfestival. Gründerin Claudia Kiesel über Schlager, Ellen DeGeneres und politische Statements.
L-Beach richtet sich an lesbische und bisexuelle Frauen und Trans. Am letzten Wochenende war es wieder soweit.
Frau Kiesel, vor L-Beach hatten Sie bereits zahlreiche Frauenpartys in Hamburg organisiert und sich jahrelang im Vorstand des Hamburger CSD engagiert. Das Festival war also eine logische Weiterentwicklung für Sie?
Mit einem befreundeten schwulen Veranstalter hatte ich viele schwul-lesbische Veranstaltungen - die Unisex-Partys - organisiert. Und irgendwann dachte ich, nee, jetzt habe ich mal wieder Lust darauf, etwas nur für Frauen zu machen. Mir wurde damals der Hotelkomplex Weissenhäuser Strand empfohlen. Eine Freundin, die viel in Amerika gelebt hatte, meinte schließlich noch: "In den USA gibt es The Dinah Shore in Kalifornien und Aqua Girl in Florida. Pool-Partys nur für Frauen - so etwas will ich auch haben. Mach das mal!" Da dachte ich: Okay! Ich habe diese Idee ein paar Jahre in meinem Kopf reifen lassen. 2008 bin ich dann einfach mal hier raus gefahren. An der Rezeption sah ich gleich eindeutiges Personal und fühlte mich vom ersten Tag an wie Zuhause.
Mit welchem Konzept locken Sie 4000 Frauen für mehrere Tage hierher?
Ich war selbst nie auf den Dinah Shore-Events. Ich hatte auch noch nie ein Live-Konzert vorher organisiert. Ich wusste aber, wie ich es vom Gefühl her haben möchte. Ich wollte keine Pool-Party mit Fun und Saufen - das war mir zu wenig Inhalt. Ich wollte vor allem handgemachte Live-Musik und ein Begleitprogramm mit lesbischen Themen. Unser Campus-Programm geht von Improvisations-Theater über Lesungen, Workshops, Sportkurse, Filme bis Talks. Die Musik ist ein wichtiger Bestandteil, aber wir sind viel mehr als ein Musik-Festival. Wir verstehen uns auch als Live-Style-Festival. Wir hatten zum Beispiel einen Yoga-Kurs mit 50 Leuten. Da war eine große Energie zu spüren.
Wie sieht das weibliche Publikum aus, das hier zusammenkommt?
Wir wollten von Anfang an ein breites Spektrum von Frauen ansprechen. Wir wollten auch gerade die etwas älteren Frauen erreichen, die vielleicht nicht mehr auf jede Party gehen. So wie ich selbst, und ich bin jetzt 47. Ich wollte mir auch nicht mehr die Nächte in den Hamburger Clubs um die Ohren schlagen und bis morgens um 6 Uhr Party machen, sondern eher in eine Bar gehen, gute Musik hören und gute Gespräche führen können. Es kommen Frauen von 18 bis 70: Aus ganz Deutschland, aber auch aus Holland, der Schweiz, Skandinavien, Osteuropa und auch aus Israel, weil ich dort ebenfalls einige Projekte gemacht habe. Sie kommen aus den Großstädten und den ländlichen Regionen. Es gibt hier eine große Vielfalt von Frauen, genau wie in der Heterowelt auch.
Aber die Frauen haben schon unterschiedliche Interessen, oder?
Jeder nimmt dieses Wochenende natürlich anders für sich in Anspruch. Die einen versacken gleich von Anfang an im L-Dorado, unserem Schlager-Floor. Die gucken sich nicht ein Konzert an. Die machen nur Schlager von Freitagabend bis Sonntagfrüh. Da war ich entsetzt. Wir machen hier tolle Bühnen, mit aufwendiger Technik und viel Anspruch. Und die brauchen einfach nur eine coole D-Jane, die die besten Schlagersongs der letzten 50 Jahren auflegt. Andere wiederum radeln schon morgens auf dem Deich, gehen in den Wellnessbereich des Hotels oder machen bei unseren Sportkursen und Workshops mit.
Die Frauen wollen Künstlerinnen sehen, die auch einen Bezug zur LGBT-Community haben. In den letzten Jahren sind Uh Huh Her, Jennifer Rostock und 2Raumwohnung mit Inga Humpe aufgetreten. In diesem Jahr waren Miss Platnum, Peaches und Heather Peace dabei. Wie schwer ist es für Sie, immer wieder neue Acts zu finden?
Wir haben im Freundeskreis viele Frauen, die Künstlerinnen auf Konzerten erleben und diese an uns weiterempfehlen. Wir hören uns auch grundsätzlich erst einmal jeden Act an und entscheiden, ob er zu unseren Floors und zu unserem Stil passt. Wir wollen eine musikalische Vielfalt anbieten, aber Rock geht bei Frauen immer. Mit experimenteller Musik sieht es schon schwieriger aus. Da bleiben uns die Leute weg. Einen ganzen Floor mit Minimal Electro zu bespielen, das funktioniert hier auf der grünen Wiese nicht so gut. Dazu sind die Hipster-Frauen aus Berlin und anderen Großstädten zu bequem, um raus zukommen. Wir haben auch andere Musikstile versucht. Wir hatten in den ersten Jahren coole D-Janes wie Jennifer Cardini im Programm. Aber die Floors sind dafür nicht voll genug.
Welche Künstler und Promis wünschen sich denn die Frauen, die noch nicht hier waren?
Ganz oben stehen bei den Frauen immer Pink und Gossip. Aber die sind für uns unbezahlbar. Beth Ditto, wenn sie mal wieder auftritt, wäre als Solo-Act vielleicht eine Option. Unter den Tops of the Pops ist natürlich auch US-Komikerin Ellen DeGeneres. Ganz klar.
Haben Sie sie schon mal angefragt?
Natürlich. Ihr Management hat tatsächlich auch zurückgerufen. Unsere Bookerin Sandra fragte am Telefon: "Wie wäre denn der Preis, wenn Ellen als Special Guest oder Co-Moderatorin beim L-Beach Festival auftreten würde?" Dann nannten sie die Gage und Sandra sagte nur: "Ach, das ist ja interessant. Dann werden wir sie wohl in den nächsten 99 Jahren nicht buchen können.“
Welche Summe muss man denn für Ellen DeGeneres zahlen?
Es wäre ein sechsstelliger Betrag gewesen. Aber wir haben uns darüber gefreut, dass sie überhaupt zurück gerufen haben. Dieses Jahr hätten wir fast Cate Blanchett dabei gehabt, die gerade in dem Film Carol zu sehen war. Wir waren schon im Gespräch mit ihr, und sie hatte auch Lust zu kommen. An unserem L-Beach-Wochenende ist bei ihr dann aber ein Filmtermin dazwischen gekommen. Das wäre schon sensationell gewesen.
Was ist mit deutschen Promis?
Das ist ein etwas schwieriges Thema. Man muss ja nicht die Vorzeige-Lesbe sein, aber es fehlt an berühmten lesbischen deutschen Frauen, die Lust haben, sich zu zeigen.
Solch ein Festival wäre vor 20 Jahren kaum möglich gewesen. Müssen Frauen nicht mehr für Gleichberechtigung kämpfen, sondern können jetzt einfach feiern wie alle anderen auch?
Natürlich ist der Weg für Akzeptanz und Gleichberechtigung noch nicht zu Ende. Es gibt meiner Meinung nach zurzeit ein subjektives Gefühl, sich als Lesbe nicht mehr bewegen zu müssen. Da ist eine gewisse Trägheit, die ich auch ein wenig gefährlich finde. Einerseits sind die Errungenschaften toll. Auf der anderen Seite fehlt mir da ein wenig das Engagement. Es gibt noch zu viele Benachteiligungen - hier in Deutschland und anderswo. Aber ich will L-Beach gar nicht so politisch aufladen. Allein dass die Frauen hierher kommen, ist für mich schon ein politisches Statement. Und die Hotelbetreiber, die den Komplex für vier Tage an uns vermieten, leisten irgendwo auch politische Arbeit. Für mich ist das ein Wohlfühl-Wochenende, wo man mal Pause machen kann, neue Menschen trifft und Inspirationen bekommt. Wir sind hier nicht die politisch betroffenen Lesben, die arm dran sind und dauernd diskutieren müssen, sondern wir wollen einfach leben und das selbstverständlich. Und das passiert hier an diesem Festivalwochenende - in unserer gesamten Vielfalt von Alt bis Jung.
"Im Supermarkt ist fast jede Frau lesbisch oder bi"
Werden Sie das Festival irgendwann auch für Friends öffnen?
Wir haben das Wochenende zwar als größtes Frauen-Indoor-Festival Europas beworben, aber es geht für uns doch nicht ganz zusammen, wenn lesbische Frauen mit ihren Hetero-Freundinnen anreisen. Es geht hier auch darum, Frauen kennenzulernen und anzubaggern. Diese Sexualisierung schwebt natürlich überall mit. Für wenige Tage bewegen sich die Frauen in ihrer eigentlichen Normwelt, die sie an den restlichen Tagen im Jahr nicht haben, weil es eben eine Hetero-Normwelt ist. Plötzlich hat man diese Reizüberflutung an einem kompletten Wochenende, die Heteros vielleicht jeden Tag haben. Im Supermarkt ist fast jede Frau, die mit ihrem Einkaufswagen durch die Gegend fährt, lesbisch oder bi. Das ist Dating pur. Mehr geht nicht. Die Frauen haben an jeder Ecke potentielle Möglichkeiten, was sie im alltäglichen Leben nicht haben. Wenn Heteras jetzt hier wären, würden die auch angegraben werden. Es gibt da einfach unterschiedliche Interessen.
L-Beach ist also eine große Kuppel-Party?
Nein, das war nicht meine Intention. Mit dem L-Beach Festival wollte ich etwas Neues und Interessantes für Frauen kreieren, weil ich selbst auch immer wieder neue Herausforderungen brauche. Das sich hier natürlich auch Frauen finden, ist doch wunderbar.
Die Unterbringung in einem Hotelzimmer und der Festivalpass für drei Tage kosten mehr als 300 Euro. Das muss man sich als Frau erst einmal leisten können.
Wir sind ein wirtschaftlicher Minibetrieb, der jedes Jahr aufs Neue das hohe wirtschaftliche Risiko für dieses Event trägt. Ich habe auch kein Problem damit, eine Konsum-Frau zu sein. Insgesamt verdienen Frauen zwar immer noch weniger als Männer, aber vielen lesbischen Frauen steht nach meiner Erfahrung ein durchschnittlich höheres Einkommen zur Verfügung als Hetero-Frauen, weil sie sich bewusst dafür entschieden haben, nicht von Männern abhängig zu sein. Für drei Festivaltage berechnen wir ohne Unterkunft einen Ticketpreis von 137 Euro. Für dieses Geld wird es schon schwierig, die 14 Live-Acts, viele DJs und ein Campus-Programm zusammen zu bekommen. Günstiger geht die Preisstruktur nicht. Man kann hier auch zelten, es gibt Frühbucher-Rabatte und die Frauen können auch mitarbeiten. Auf der anderen Seite sind wir hier mit unserem Festival in der Nebensaison auch ein kleiner Wirtschaftsfaktor für die Region. Mit Tickets, Übernachtungen und Verpflegung erwirtschaften wir rund eine Million Euro Umsatz.
Sie sind jetzt im siebten Jahr, macht es noch Spaß?
Zwischendurch frage ich mich manchmal schon, warum mache ich das eigentlich alles. Zu 99 Prozent ist das ja ein Bürojob. Und unqualifiziertes Gemecker und die ganzen lesbischen Dramen drum herum können einen schon hin und wieder etwas ausbremsen. Aber wir bekommen durchaus auch Lob von vielen Gästen. Wenn man dann nach einem Jahr wieder hier an der Ostsee ist und die Regenbogenfahnen im Wind flattern sieht, dann weiß man, es ist einzigartig, voller positiver Energie und wir können gar nicht aufhören. Es muss weitergehen und es wird natürlich weitergehen. Der nächste Termin steht übrigens schon: vom 11. bis 14. Mai 2017.
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