Linn da Quebrada auf der Berlinale: Queere Power aus Brasilien
Bei der Teddy-Gala tritt die Sängerin Linn da Quebrada auf. Im Berlinale Panorama ist sie in der Doku „Bixa Travesty“ zu sehen.
Sie spielt gerne mit Sprache. Das zeigt sich schon am mehrdeutigen Namen von Linn da Quebrada. Linda bedeutet „die Schöne“, quebrada ist ein anderes Wort für Favela, heißt aber auch gebrochen. Die Brasilianerin ist somit „Linn aus der Favela“, aber auch die „gebrochene Schöne“. Die brasilianische Sängerin und Rapperin verändert Wörter, benutzt alternative Schreibweisen. Von sich selbst spricht sie ausschließlich in der weiblichen Form – was bei manchen Irritationen auslöst, wenn sie die hochgewachsene Figur und die kantigen Gesichtszüge der 27-Jährigen sehen.
Sich selbst bezeichnet sie als „bixa travesty“, zu Deutsch etwa Schwuchtel- Transe. Bicha wurde in Brasilien ursprünglich abschätzig für Homosexuelle verwendet. „So viele Finger haben auf uns gezeigt und uns als bixas beschimpft, um uns zu verletzen. Wir müssen uns dieses Wort mit Stolz aneignen, um daraus ein starkes Selbstbild zu entwickeln“, erklärt Linn da Quebrada beim Gespräch im Berlinale Palast.
„Bixa Travesty“ heißt auch der Dokumentarfilm, den die brasilianischen Filmemacher Claudio Priscilla und Kiko Goifmann über die Sängerin gedreht haben und der im Panorama zu sehen ist. Als Schauspielerin wirkte sie davor bereits in zwei Filmen mit. Davon profitiert auch die Dokumentation, die einige von ihr mitinszenierte Spielszenen enthält.
Körper als Material, das alle Möglichkeiten bietet
Linn da Quebradas Freude an der Extravaganz kommt nicht nur in ihrem kreativen Umgang mit Sprache zum Ausdruck, man sieht sie ihr auch an. So hat sie sich über die linke Augenbraue das Wort „ela“ – Portugiesisch für „sie“ – tätowieren lassen, am Haaransatz ist ein Dornenkranz aus Stacheldraht zu sehen. Bei ihren energetischen Bühnenperformances, von denen einige im Film zu sehen sind, tritt sie in knappen Netz- und Kettenhemden und schwarzem Slip auf.
Zum Interview erscheint sie im luftigen Hosenanzug. Sie gestikuliert viel, drückt sich mit dem ganzen Körper aus. „Ich liebe meinen Körper, ich bin meinem Körper vollständig verfallen“, sagt sie. Linn da Quebrada sieht es als Pflicht und politischen Akt, sich selbst zu lieben. Einmal nimmt sie die Hand ihres Gegenübers und erklärt: „Ich sehe Körper als Material, das alle Möglichkeiten bietet. Mit der Hand grüßt man Menschen, mit der Hand kann man streicheln, aber auch schlagen. Die Hand kann einen sogar selbst befriedigen, also ist sie gewissermaßen auch ein Sexualorgan.“ Lächelnd lässt sie die Hand wieder los. Es geht ihr nicht darum zu schocken, sie will andere zu mehr Intimität mit sich selbst anstiften.
Auch Trans-Menschen können Funk carioca machen
Wie offen sie mit Nacktheit umgeht, zeigt auch der Film: Linn mit Bühnenpartnerin Jup do Bairro in der Sauna, mit ihrer Mutter unter der Dusche, sich gegenseitig waschend. Ist das anstößig, grenzüberschreitend? Ihre Antwort: „Es gibt kein ,natürlich‘, es gibt nur das, was als natürlich oder unnatürlich deklariert wird. Und das ist veränderlich.“ Veränderungen anzuschieben, Grenzen zu verrücken, das will die Künstlerin, deren erstes Album „Pajubá“ vergangenes Jahr erschienen ist, auch mit ihrer Musik. Ihre Melodien entstammen dem Funk carioca – ein Genre, das seinen Ursprung in den Favelas von Rio de Janeiro hat. Drogenhändler zelebrieren ihn, den Intellektuellen missfallen die sexistische Text- und Bildsprache. „Ich sehe im Funk die Möglichkeit, Brücken zu bauen und über unsere Körper zu sprechen. Der Funk dient mir als Waffe, nicht nur gegen andere, sondern auch gegen mich selbst. Er tötet verhärtete Gedanken“, sagt Linn da Quebrada, die am Freitag bei der Verleihung des Teddy Awards für den besten queeren Berlinale-Film auftritt.
Die Sängerin betont: Auch Trans-Menschen können Funk carioca machen, auch sie können darin ihre Lust an der freizügigen Körperlichkeit ausleben. Je mehr Vielfalt es gebe, desto eher entstünden neue Gedanken und desto sichtbarer würden Widersprüche. Indem sie das musikalische Spielfeld des Funks nicht den Machos überlässt, provoziert sie. Wobei ihr Ziel letztlich der Dialog ist.
Dunkelhäutig, trans, vom ärmlichen Stadtrand São Paulos – Linn da Quebrada vereint viele Eigenschaften, für die man in Brasilien diskriminiert werden kann. Das Land ist ein gefährlicher Ort für trans- und homosexuelle Menschen: Die Hälfte der weltweiten Morde an LGBTQs werden dort verübt, 2017 starben über 400 Menschen, alleine 59 davon in São Paulo. „Wir leben in einem System, das die Angst vor allem schürt, das anders ist. Manche Menschen haben solche Angst, dass sie unfähig sind, mit der Andersartigkeit anderer zu leben.“ Ihre eigene Reaktion ist nicht Angst, sondern Auseinandersetzung: „Ich mag das Risiko. Mich in Räume zu begeben, die nicht vertraut sind. Diese Reibung führt dazu, dass sich mein Denken verändert. Je mehr ich mit anderen Welten und andersdenkenden Menschen in Kontakt komme, desto mehr werde ich herausgefordert, mein Denken infrage zu stellen.“ Dazu gehört die Einsicht, dass auch sie von Vorurteilen geprägt sei. Dagegen helfe nur der Austausch, sagt sie, die Bereitschaft, sich auf das Gegenüber einzulassen, und das Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit.
Linn da Quebrada lässt sich nicht in Schubladen stecken
Eine heftige Konfrontation mit ihrer Schwäche erlebt die damals 24-Jährige 2014, als sie an Krebs erkrankt. Doch die Krankheit bremst sie nicht in ihrer Experimentierfreudigkeit mit dem eigenen Körper. Im Krankenhauszimmer entstehen Video-Performances und Fotos, von deinen einige in der Doku zu sehen sind. Ihren anrührenden und selbstbewussten Umgang mit den körperlichen Veränderungen während dieser Zeit zeigt eine Szene, in der Linn da Quebrada – der rechte Arm ist mit einem Transfusionsbeutel verbunden – vor dem Badezimmerspiegel sitzt. Nach und nach nimmt sie all ihre Locken vom Kopf. Schließlich rollt sie sie zu einem Haarball zusammen und hält ihn wie einen Dutt an die Glatze – ein leises Lächeln auf den Lippen.
Jemanden, der ständig im Wandel ist, der seine eigene Vielseitigkeit so offen ausdrückt, kann man nicht in Schubladen stecken. Sie sei gerne eine Frau mit Penis, sagt Linn da Quebrada, eine Cis-Frau wolle sie gar nicht sein. „Wir können unseren eigenen Körpern eine Bedeutung geben, wir können andere Bilder von Weiblichkeit, von männlicher Weiblichkeit schaffen, wir können andere Männlichkeiten konstruieren.“ Wie das geht, zeigt Linn da Quebrada auch beim Fototermin. Selbstbewusst schaut sie in die Kamera, herausfordernd greift sie sich in die volle Mähne, bringt ihren muskulösen Körper in Pose – eine Kämpferin.
Teddy-Verleihung, 23.2., 20.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele. „Bixa Travesty“: 24.2., 20 (International), 25.2., 20 Uhr (Cinestar 7)
Anne-Sophie Schmidt