Grünen-Vorsitzender Wesener über queere Politik: "Ohne die Ehe für alle keine Koalition"
Ehe für alle, ein queeres Jugendzentrum, Kampf gegen Homophobie: Der Berliner Grünen-Vorsitzende Daniel Wesener im Queerspiegel-Interview über LGBT-Wahlforderungen seiner Partei.
Herr Wesener, Ihnen fehlt ein Stück Klaus Wowereit.
Wieso?
Zumindest in Ihrer Biografie auf der Grünen-Homepage steht nichts in der Art von „Ich bin schwul und das ist auch gut so“. Warum nicht?
Gute Frage – weiß ich auch nicht. Ich glaube jedenfalls nicht, dass das heute Bekenntnischarakter haben muss. Mit einer Aussage wie Wowereit im Jahr 2001 lockt doch kein Politiker mehr jemand hinter dem Ofen vor, schon gar nicht als Grüner.
Und das ist auch gut so?
Für mich ist das ein Zeichen des gesellschaftlichen Fortschritts. Außerdem habe ich da einen Satz: Lebt mit seinem Freund in Kreuzberg. Da weiß dann jeder Bescheid. Da muss man die sexuelle Orientierung nicht als ein Merkmal herausstellen.
Sie sind Landesvorsitzender der Grünen, die ihre Wurzeln unter anderem in der Lesben- und Schwulenbewegung haben. Also müssten doch alle Homosexuellen sie wählen.
Als Mitglied der Community würde ich mich dagegen verwehren, wenn mich eine Partei vereinnahmen will. Dennoch hatten die Grünen immer, schon wegen unserer eigenen Geschichte, eine hohe Sensibilität für Queer- oder LGBTI-Themen – und einen hohen Anspruch an sich selber und an das, was sie gesellschaftlich verändern wollen.
Warum gibt es kein Wahlplakat, das sich an LGBTI wendet? Der Slogan „Dein Gott, Dein Sex, Dein Ding“ scheint eher auf den Geschlechtsakt als auf die Identität anzuspielen.
Die Interpretation der Plakate überlasse ich mal Ihnen. Natürlich machen wir einen Zielgruppen-Wahlkampf, mit einem eigenen queeren Programm. Zu unseren drei Schwerpunkten im Wahlkampf gehört - neben bezahlbarem Wohnen und moderner Mobilität - die offene Gesellschaft. Es geht um eine Richtungsentscheidung: Bleibt Berlin eine weltoffene Stadt? Geht es endlich voran mit der Gleichstellung?
Sie kritisieren Rot-Schwarz dafür, dass die Initiative sexuelle Vielfalt, der berlinweite Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, nicht vorankommt und wollen einen Neustart. Warum?
Es ist Zeit für eine Weiterentwicklung, denn auch die Stadt hat sich verändert. Man muss jetzt neben dem Kampf gegen Homophobie weitere Themen den Fokus nehmen, etwa die Situation von queeren Flüchtlingen oder Trans*-Menschen. Uns geht es aber auch um die Frage des demografischen Wandels, Stichwort: Schwule und Lesben in Pflegeeinrichtungen oder das Thema Regenbogenfamilien. Gemeinsam mit der Community wollen wir Initiative Sexuelle Vielfalt wieder zu dem machen, was sie 2009 war: eine Plattform für innovative queere Projekte.
In Ihrem Programm ist die Rede von einem queeren Jugendzentrum für ganz Berlin. Gibt es konkrete Pläne dafür?
Die Große Koalition hat leider auch hier wenig Interesse für unsere Vorschläge gezeigt. Aber solch ein Ort wird gebraucht, weil im Bereich Jugend und Bildung vieles im Argen liegt. Es ist zwar schön, dass vor den Rathäusern die Regenbogenfahnen flattern. Aber dass „schwul“ auf Schulhöfen immer noch ein Schimpfwort ist, zeigt den Bedarf in der Bildungspolitik allgemein. Außerdem ist es nach wie vor schwierig für Jugendliche, selbst in einer Stadt wie Berlin, ihr Coming out zu erleben. Dazu braucht es Schutzräume – wie ein Jugendzentrum.
Die Grünen haben stark kritisiert, dass sich Berlin im Bundesrat bei der Abstimmung über die Ehe für alle enthalten hat. Ihre Parteifreunde in Hessen haben sich mit Rücksicht auf den Koalitionspartner von der CDU ebenfalls enthalten. Wie würden Sie es in Berlin halten, sollte es zu einer Koalition kommen, in der die Grünen und die CDU vertreten sind?
Mit uns wird es in Berlin keine Koalition geben, die sich nicht zu hundert Prozent hinter die Ehe für alle stellt. Die Enthaltung im Bundesrat hat nochmal gezeigt, wo die Große Koalition gesellschaftspolitisch steht. Berlin muss wieder zur progressiven Stimme unter den Bundesländern werden – egal ob es die Ehe für alle, das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare oder die Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 unter dem §175 Verfolgten ist.
Es hat etwas Komisches, dass die progressiven Grünen für so etwas sehr Konservatives wie das Institut der Ehe kämpfen.
Wir haben das lange, lange Zeit in der Partei diskutiert. Eigentlich ist auch mir das Fernziel wichtiger als das Nahziel: das Institut der Ehe zu überwinden. Steht es nicht für eine Gesellschaft, die sich nur über zwei Geschlechter definiert, mit all der historisch-religiösen Begleitmusik? Ich bin kein Freund der Ehe, ich bin auch nicht verheiratet. Aber am Ende soll jeder selbst entscheiden, ob er diesen Weg geht. Vielleicht leben wir ja eines Tages in einer Gesellschaft, in der es statt der Ehe Familienverträge gibt.
Wie ist Ihr Eindruck: Hat sich die Stimmung in der Stadt gegenüber Homosexuellen verändert?
Spätestens mit dem Aufkommen der AfD hat sich etwas geändert: Da kriechen jetzt wieder all jene aus den Löchern, die in den letzten Jahren etwas leiser gewesen sind. Mit einem Mal stellen viele mit Erschrecken fest: die gibt’s ja immer noch. Das ist keine radikale Minderheit, sondern eine relativ große Gruppe in der Mitte der Gesellschaft, die nach wie vor Vorurteile hat. Und aus Vorurteilen entstehen schnell Hass und Diskriminierung und schlimmstenfalls auch Gewalt. Das sieht man ja auch im Internet, wie viel Hass und Gewaltpotenzial in der Gesellschaft gegenüber Schwulen und Lesben steckt.
Nun wendet sich die AfD selber ganz bewusst an Homosexuelle und spielt mit der Angst, dass Flüchtlinge Homofeindlichkeit mitbringen.
Man muss das Kunststück der AfD erstmal fertig bringen, gegen zwei Minderheiten Politik zu machen und die dann noch gegeneinander auszuspielen. Ich bin zuversichtlich, dass das nicht aufgeht. Es ist immer eine Stärke der Community gewesen, aufgrund der eigenen Diskriminierungserfahrungen sensibel dafür zu sein, wie es anderen Minderheiten geht. Andere Minderheiten sind keine Gegner, sondern Partner im Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung.
Das wird nicht jeden überzeugen.
Natürlich reden wir auch über Probleme. Es gibt inzwischen eine Reihe von Verbänden und Trägern, die diese offen ansprechen und zum Beispiel mit muslimischen Jugendlichen arbeiten. Aber es sind ja auch eine Menge Flüchtlinge zu uns gekommen, die wegen ihrer sexuellen Identität ihre Heimat verlassen mussten. Bei der Flüchtlingsfrage in klassischen Zuschreibungen, in Stigmatisierungen zu denken – das ist der falsche Weg, das sollten wir als queere Menschen gelernt haben.
Daniel Wesener über die pädophilen Umtriebe bei den Grünen in den Achtzigern
Vor einem Jahr veröffentlichten die Berliner Grünen den Bericht über pädophile Umtriebe in der Partei in der 80er Jahren. Plattform dafür war vor allem der „Schwulenbereich“. Können Sie sich aus heutiger Sicht erklären, warum damals keiner dagegen eingeschritten ist?
Es gab feministische Gruppen in der Partei, die schon früh versucht haben, das Thema in die Partei zu tragen. Das soll aber nichts beschönigen. Das Gros der Partei – und zwar nicht nur in den Achtzigern, sondern bis tief in die Neunziger – hat weggeschaut. Nachvollziehen kann ich das nicht. Die pädosexuelle Szene hat sich damals sehr geschickt die gesellschaftspolitische Aufbruchsstimmung und die junge grüne Partei zunutze gemacht.
Die Partei hat es zugelassen.
Ja, es gehören immer zwei dazu: Die, die instrumentalisieren, und die, die sich instrumentalisieren lassen. Was für mich besonders bitter ist: Natürlich gab es diesen Zusammenhang zwischen einer schwulen Emanzipationsbewegung in Berlin und Leuten, die sie infiltriert haben. Es tut weh zu realisieren, dass da teilweise aus taktischen Gründen weggeschaut wurde - nach dem Motto: Das ist zwar etwas schmuddelig, aber die wollen wir als Verbündete nicht verlieren.
Es war von bis zu 1000 Opfern der pädosexuellen Szene in Berlin die Rede. Wie viele haben sich bei Ihnen seitdem gemeldet?
Tatsächlich beziehen sich die Schätzungen auf die gesamte pädosexuelle Szene in Berlin, nicht auf die Grünen. Die grüne Schuldfrage stellt sich in zweierlei Hinsicht: Was hat man durch programmatische Debatten dazu beigetragen, Täter zu ermutigen und Betroffene zu entmutigen? Wo hat es Missbrauch innerhalb grüner Strukturen gegeben? Letzteres werden wir nur von den Opern erfahren. Man muss zugeben, dass wir da bisher gescheitert sind. Es haben sich nur wenige Betroffene gemeldet. Die „Anerkennungskommission“, die auf Bundesebene arbeitet, wird in diesem Jahr einen weiteren Bericht vorlegen. Da werden wir noch einmal mehr wissen.
Wie kriegt man als Politiker Abstand von solchen Themen und insgesamt vom Alltagsgeschäft?
Ich kann nur Batterien wieder aufladen, wenn ich wegfahre. Drei bis vier Mal im Jahr nehmen mein Partner und ich konsequent Urlaub. Wir hatten anfangs einen Reiseschwerpunkt in der arabischen Welt, auch in China waren wir oft, vor allem aber Ostmitteleuropa. Da gucken wir immer nach schwuler Infrastruktur, nach schwulen Nischen.
Was haben Sie da entdeckt?
Wir waren jetzt in St. Petersburg. Da ist man ja doch mit einem gewissen Russlandbild im Kopf unterwegs, und dann stellt man fest: Was für eine Stadt! Da gibt es dann auch Bars, die schwule Embleme an der Haustür haben. Man fragt sich: Moment, fällt das nicht unter schwule Propaganda? Überall auf der Welt findet man diese queere Szene, mal mehr, mal weniger versteckt. Das ist ein Aha-Erlebnis, wo man selber steht – man kann von Glück sagen, dass wir hier so viel weiter sind. Es ist aber auch ein Ansporn, wenn man sieht, unter welchen Bedingungen und mit welchem Mut Menschen es dort schaffen sich zu behaupten.
Haben Sie Lieblingsorte in Berlin?
Fußläufig muss es sein! Ich wohne in Kreuzberg 61, da war ja früher alles, dann ging es mit den queeren Bars und Clubs etwas zurück. Jetzt gibt es glücklicherweise den neuen Club am Boiler am Mehringdamm. So richtig der Tanzbär bin ich aber eh nicht.
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Björn Seeling, Tilmann Warnecke