Dritte Geschlechtsoption: Nur wenige in Berlin wählen "divers" als Personenstand
Nur wenige Personen haben sich in Berlin bisher für die dritte Geschlechtsoption "divers" entschieden - in mehreren Bezirken noch überhaupt niemand.
Wie divers ist Berlin? Die dritte Geschlechtsoption "divers" kann neben "männlich" und "weiblich" seit Beginn des Jahres im Geburtsregister eingetragen werden. Doch noch wird diese Möglichkeit in Berlin kaum genutzt. Insgesamt sind es erst zehn Personen, die einen entsprechenden Antrag abgegeben und diesen auch bewilligt bekommen haben. Das ergibt eine Umfrage des Queerspiegel-Newsletters des Tagesspiegels.
Die Zahl zu erfahren ist gar nicht so einfach: Die Innenbehörde erfasst sie nicht zentral, vielmehr müssen die Bezirke einzeln Auskunft geben. Das Ergebnis: Spitzenreiter sind Lichtenberg, Pankow und Marzahn-Hellersdorf mit je zwei diversen Personen. Je eine diverse Person vermelden Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf, die anderen keine.
"Längere Wartezeiten entstehen nicht"
Für den Antrag reicht eine Bescheinigung eines Arztes aus, der eine "Variante der Geschlechtsentwicklung" attestiert - ohne das weiter begründen zu müssen. "Längere Bearbeitungszeiten oder Wartezeiten entstehen nicht", erklärt das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Es könne höchstens dann einige Tage dauern, wenn die betreffende Person in einer anderen Stadt geboren wurde und die Erklärung dorthin gesendet werden muss.
Was die Recherche ebenfalls ergibt: Das neue Personenstandsrecht wird auch genutzt, um die Geschlechtszugehörigkeit von männlich zu weiblich oder umgekehrt anzupassen. In Neukölln etwa gibt es neun solcher Fälle, in Friedrichshain-Kreuzberg acht, in Reinickendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf je einen. Offenbar nutzen also auch trans Menschen diesen Weg, was von Trans-Verbänden bestätigt wird. Vom Gesetzgeber war das so eigentlich nicht vorgesehen: Insbesondere die Union beharrte darauf, das neue Personenstandsrecht dürfe nur für intergeschlechtliche Menschen gelten.
Auch trans Menschen nutzen das neue Personenstandsrecht
Der neue Weg wäre für trans Menschen auf jeden Fall eine riesige Erleichterung - würde so doch das langwierige und entwürdigende Transsexuellengesetz quasi durch die Hintertür außer Kraft gesetzt. Während die neuen Anträge wenige Tage und wenige Euro kosten, kann der "alte" Weg über das Transsexuellengesetz laut der Bundesvereinigung Trans* bis zu zwei Jahre dauern und mehrere Tausend Euro kosten. Schließlich ist das Amtsgericht involviert, und es müssen mehrere psychologische Gutachten beigebracht werden.
Doch noch sind Fragen offen: Werden Krankenkassen auch dann Behandlungen und Operationen zur Geschlechtsangleichung zahlen, wenn der Geschlechtseintrag nach dem neuen Personenstandsrecht geändert wird? Wie sieht es insgesamt mit der Rechtssicherheit aus?
Das Innenministerium droht mit Strafen
Alles hängt daran, wie man die Attest-Formulierung "Variante der Geschlechtsentwicklung" interpretiert. Das Innenministerium bekräftigt, damit sei ausschließlich Intersexualität gemeint. Ein Sprecher erklärt auf Anfrage sogar, das Ausstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses könnte "unter Umständen" eine Straftat sein.
Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) hält diese enge Auslegung dagegen für verfassungswidrig. Karlsruhe genauso wie die Bundesärztekammer und der Deutsche Ethikrat hätten die Formulierung viel offener interpretiert, die Formulierung tauche ohnehin gar nicht in der amtlichen Klassifikation medizinischer Diagnosen auf. Die Bundesvereinigung Trans* jedenfalls hält wegen der Unklarheiten die entstandene Situation für "nicht hinnehmbar" - und fordert unverzügliche Reformen.
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