Patchwork- und Regenbogenfamilien: Eltern ohne Sorgerecht
Ob in der Schule oder beim Arzt: Viele Stiefeltern kümmern sich um ihre Kinder wie die leiblichen Eltern. Doch sie dürfen kaum Entscheidungen treffen – was gerade Regenbogenfamilien diskriminiert. Ein Report.
Eigentlich sollte es ein ganz normaler Elternsprechtag sein. Uwe Kazenmaier ging mit dem Jüngsten der Familie hin, er wollte einiges zu den Leistungen des Kindes in der Schule fragen. Nichts Dramatisches, doch auf einmal verweigerte der Lehrer eine Auskunft: „Mit Ihnen darf ich gar nicht über das Kind sprechen.“
Eine peinliche Situation, für Sohn, Vater und Lehrer gleichermaßen. Der Auslöser des Eklats: Kazenmaier ist der soziale Vater – nicht aber der biologische. Seine Lebensgefährtin brachte ihre Kinder mit in die Beziehung. Rein rechtlich gesehen hat er damit tatsächlich keinen Anspruch auf Auskunft über die schulischen Leistungen, der Lehrer wollte wohl auf Nummer sicher gehen. Eine absurde Situation, findet Kazenmaier: „Das ist nun wirklich nicht zum Wohl des Kindes: Derjenige, der die Hausaufgaben mit dem Kind macht, hat kein Informationsrecht.“
Ein Problem, das viele Patchworkfamilien kennen dürften – Familien wie die von Kazenmaier. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und deren drei Söhnen in Lichterfelde, „Halbvater“ sagen die Kinder zu ihm. Zum Vater, also dem Ex-Mann seiner Lebensgefährtin, haben die Kinder guten Kontakt, man feiert Geburtstage und Weihnachten gemeinsam. Kazenmaier hat ebenfalls einen leiblichen Sohn. Der wohnt bei der Mutter in Hessen, kommt aber oft nach Berlin. „Wir sind in allen möglichen Zusammensetzungen unterwegs“, sagt Kazenmaier.
Im Alltag baut das Familienrecht oft Hürden auf
Dass es innerfamiliär bei solchen Konstellationen zu Konflikten kommen kann, ist klar. Doch selbst wenn leibliche wie Stiefeltern an einem Strang ziehen, baut ihnen das Familienrecht im Alltag oft Hürden auf. Denn das Recht berücksichtigt nicht, dass es neben leiblichen Eltern auch soziale Eltern geben kann. Juristisch werden diese oft wie Außenstehende behandelt, selbst wenn sie die gleichen Erziehungsaufgaben übernehmen. Die Lebenswirklichkeit spiegelt das nicht wider: Laut einer Erhebung des Familienministeriums leben inzwischen mehr als zehn Prozent aller Kinder in Patchworkfamilien. Insgesamt gelten etwa zehn bis vierzehn Prozent aller Familien als Patchworkfamilien.
Und so kann es immer wieder zu Situationen wie der in der Schule kommen. „Was Stiefeltern dürfen, ist kaum gesetzlich geregelt“, sagt die Juristin Sandra Runge, die auf ihrem Blog „Smart Mama“ Mütter rechtlich berät. Im Alltag führe das zu Unsicherheiten. Das fängt schon bei der Frage an, ob ein Stiefelternteil das Kind aus der Kita abholen darf. Oder was ist, wenn der Vater verreist – darf das Kind bei der sozialen Mutter bleiben?
Schon ein Arztbesuch kann heikel sein
Heikel könnte auch ein Arztbesuch sein. Diagnosen dürfen Ärzte Stiefeltern theoretisch nicht mitteilen, diese wiederum zum Beispiel nicht über Impfungen entscheiden. Nach Kazenmaiers Erfahrung funktioniert vieles nur, „weil eben keiner die Rechtslage genau kennt“. Manchmal tauchen sogar Probleme mit dem leiblichen Kind auf – vor allem, wenn Kind und Elternteil einen unterschiedlichen Nachnamen tragen. So wie bei Kazenmaier. Als er einmal einen Flug mit seinem Sohn antreten wollte, glaubte man ihm nicht, dass er der Vater sei. Die Bundespolizei kam, um zu prüfen, ob er das Kind entführen wolle. „Mein Sohn war völlig verstört“, erinnert er sich.
Das Problem in der Schule löste Kazenmaier, indem er eine Vollmacht seiner Lebensgefährtin, also der leiblichen Mutter der Kinder, vorlegte. Ein gängiges Vorgehen in Patchworkfamilien. Allerdings müsse man viele Situationen antizipieren, um im Ernstfall gewappnet zu sein: „Schwierig wird es immer dann, wenn es schnell gehen muss.“ Er führt inzwischen ein ganzes Bündel an Papieren mit sich: Vollmachten, Geburtsurkunden, eine Kopie des Passes der Mutter seines leiblichen Sohnes. Hilfreich fände er eine Art „Serviceheft“, in dem alle Entscheidungskompetenzen zusammengefasst sind. Denn dass Behörden im Zweifelsfall genau hingucken, sei nachvollziehbar.
Die Grünen fordern einfachere Regelungen
Die grüne Bundestagsfraktion hat 2013 einen weitgehenden Vorschlag gemacht und für Patchworkfamilien die Einführung eines Instituts der „elterlichen Mitverantwortung“ gefordert. Neben den leiblichen Eltern können dies bis zu zwei soziale Eltern erhalten, das Einverständnis aller Erwachsenen vorausgesetzt. Diese Elternschaft würde bis auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Bestimmung des Nachnamens und die religiöse Erziehung alle wichtigen Aspekte regeln. Die „elterliche Mitverantwortung“ wäre in einem ausweisähnlichen Dokument festgehalten und so für Behörden nachvollziehbar.
Fraglich ist, ob das politisch durchsetzbar ist. Für Franziska Brantner, die familienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, sind schon kleinere Änderungen wünschenswert, „wo man Ungerechtigkeiten schnell abschaffen kann“. Sie plädiert dafür, sozialen Eltern einen einfacheren Zugang zum kleinen Sorgerecht zu verschaffen, das Alltagsangelegenheiten wie in der Schule regelt. Derzeit können sie nur dann ein kleines Sorgerecht erhalten, wenn sie mit dem leiblichen Elternteil verheiratet sind – und auch nur dann, wenn die Eltern des Kindes kein gemeinsames Sorgerecht haben.
Insbesondere für Regenbogenfamilien – wenn sich etwa zwei lesbische Mütter ein Kind wünschen – wäre wichtig, dass man bei künstlichen Befruchtungen die Elternschaft vor der Geburt festlegen kann, sagt Brantner. Bisher muss die Ko-Mutter das Kind ihrer Partnerin im Nachhinein als Stiefkind adoptieren, was oft als diskriminierend empfunden wird.
Noch komplizierter kann es werden, wenn Lesben und Schwule gemeinsam Eltern werden wollen. Ein Beispiel: Ein lesbisches Paar will ein Kind bekommen, ein schwuler Freund soll der Vater werden und in der Rolle präsent sein. In der Konstellation Mama/Mami/Papa wird eine der drei Personen rechtlich gesehen kein Elternteil, sondern „Außenstehender“ sein. Adoptiert die nicht leibliche Mutter das Kind ihrer Partnerin, muss der Vater alle elterlichen Rechte abgeben. Lässt sich der Vater darauf nicht ein, hat die Ko-Mutter keinerlei Absicherung.
Schwierige emotionale Fragen
„Das sind schwierige emotionale Fragen“, sagt Constanze Körner vom Regenbogenfamilienzentrum in Schöneberg. Sie hat schon Kinderwünsche von Lesben und Schwulen an diesen Problemen zerbrechen sehen. Könnte die Ausweitung des Sorgerechts auf mehr als zwei Personen weiterhelfen? Dafür hat sich Klaus Lederer, Fraktionsvorsitzender der Linken im Abgeordnetenhaus, im Tagesspiegel ausgesprochen. Constanze Körner sieht das eher skeptisch. Das Sorgerecht sei „das ganz große Ding“: Aus Sicht des Kindes könnte es sogar kontraproduktiv sein, wenn sich drei oder vier Erwachsene über zentrale Fragen wie das Aufenthaltsbestimmungsrecht einigen müssen. Später müsste ein Kind auch für alle Eltern Unterhalt zahlen, sollten diese im Alter ins Pflegeheim kommen. Körner plädiert für niedrigschwelligere Lösungen: wie etwa – analog zum Vorschlag der Grünen – soziale Elternschaft für Alltagsfragen leichter zu dokumentieren.
Ungerechtigkeiten gibt es auch im Steuerrecht. Elterngeld oder Kinderfreibeträge können soziale Eltern nur geltend machen, wenn sie mit dem neuen Partner verheiratet sind. Die Juristin Sandra Runge kritisiert, bei Unterhaltsberechnungen seien immer noch vor allem alleinerziehende Frauen benachteiligt.
Ein „Patentrezept“ für Patchworkfamilien in eine gesetzliche Form zu gießen, hält Runge aber für schwierig. Es handele sich eben nicht um gemeinsam geführte Firmen, sondern um Menschen mit Emotionen. Wichtig seien bessere Beratungs- und Coachingangebote. Denn dass sich die Eltern – leibliche wie soziale – relativ einig sind, ist die Voraussetzung für funktionierende Patchworkfamilien.
Das denkt auch Uwe Kazenmaier: „Es muss immer darum gehen, was für das Kind sinnvoll ist.“ Die Erwachsenen müssten also kooperativ miteinander umgehen – und ihre Egos hintanstellen.
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