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Auf der Flucht: Schwule Tschetschenen flohen nach der Verhaftungswelle nach Moskau. Auch dort sind sie nicht sicher.
© Naira Davlashyan/AFP

Verfolgung von Homosexuellen: Deutschland nimmt schwulen Tschetschenen auf

In der russischen Kaukasusrepublik wurden Homosexuelle hinter Gitter gebracht und gefoltert. Ein Betroffener kam nun mit einem humanitären Visum nach Deutschland, weitere könnten folgen.

Nach der massiven Verfolgung von Homosexuellen in Tschetschenien hat Deutschland nach Tagesspiegel-Informationen einen Flüchtling aus der russischen Kaukasusrepublik aufgenommen. „Der Betroffene konnte am 6. Juni nach Deutschland ausreisen“, hieß es im Auswärtigen Amt. „Wir sind froh, dass wir in besonders schwierigen Fällen helfen können.“ Weitere Homosexuelle aus Tschetschenien werden möglicherweise bald folgen.

Eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland können Personen, die sich noch im Ausland befinden, „aus dringenden humanitären Gründen“ erhalten. Wie andere EU-Staaten stellt auch Deutschland solche humanitären Visa sehr selten aus. Dass die deutschen Behörden im Fall des tschetschenischen Flüchtlings grünes Licht für eine Aufnahme gaben, zeigt, wie ernst die Bundesregierung die Verfolgung von Homosexuellen in der russischen Teilrepublik nimmt.

Der Tschetschene, der nun ein humanitäres Visum erhalten hat, war zunächst zu einer Anhörung in der deutschen Botschaft in Moskau. Die zuständige Ausländerbehörde in Deutschland entschied daraufhin offenbar, dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme gegeben waren. Insgesamt seien an die Botschaft fünf Fälle von Betroffenen herangetragen worden, hieß es im Auswärtigen Amt. „Die Bundesregierung prüft in allen Fällen, welche Unterstützung im Sinne und Interesse der Betroffenen jeweils geleistet werden kann.“ Außer dem bereits ausgereisten Tschetschenen waren drei weitere Personen zur Anhörung in der Botschaft. Sie könnten ebenfalls in Deutschland Zuflucht finden.

Auch Litauen und Frankreich nahmen Flüchtlinge auf

Mehrere Länder sind derzeit um Hilfe für die gefährdeten Tschetschenen bemüht. Litauen nahm als erstes Land verfolgte Schwule aus der Kaukasusrepublik auf. Der litauische Außenminister Linas Linkevicius erklärte, sein Land habe Visa für zwei Betroffene ausgestellt. Frankreich gewährte ebenfalls einem homosexuellen Flüchtling aus Russland Zuflucht.

Über die Verfolgung von Schwulen in Tschetschenien hatte zuerst die „Nowaja Gaseta“ berichtet. Nach Recherchen der russischen Zeitung wurden mindestens drei Menschen getötet. Von der Festnahmewelle sollen mehr als 100 Personen betroffen gewesen sein. In geheimen Haftzentren wurden sie geschlagen und gefoltert, damit sie die Namen von weiteren Homosexuellen preisgaben. „Sie gaben uns Elektroschocks, sie schlugen uns mit Rohren, traten uns und prügelten uns, sie beschimpften uns, spuckten uns ins Gesicht“, berichtete eines der Opfer nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. „Sie demütigten uns so sehr, dass die Demütigung eigentlich schlimmer war als die körperliche Misshandlung.“

Aufforderung zum "Ehrenmord"

Viele von denen, die wieder frei kamen, flohen aus Tschetschenien in einen anderen Teil Russlands. „Aber sie gehen immer noch das doppelte Risiko ein, dass sowohl tschetschenische Sicherheitskräfte als auch ihre eigenen Familien sie aufspüren und ihnen etwas antun, solange sie auf russischem Territorium bleiben“, warnte Human Rights Watch in einem neuen Bericht (hier als PDF).

Die Gefangenen mussten am Tag ihrer Freilassung vor ihren Angehörigen ihre Homosexualität „gestehen“. Die tschetschenischen Sicherheitskräfte forderten die Familien dann mehr oder weniger explizit zum „Ehrenmord“ auf: „Ihr wisst, was jetzt zu tun ist.“ Auch schwule Männer, die bisher nicht von der Festnahmewelle betroffen waren, sind mittlerweile aus Tschetschenien geflohen, weil sie befürchten, dass Informationen über sie auf den Mobiltelefonen der Festgenommen gefunden oder durch Folter erpresst wurden.

Berichte über die Verfolgung von Homosexuellen in Tschetschenien hatten internationale Kritik und Protestkundgebungen ausgelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach das Thema bei ihrem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sotschi an und bat ihn, „seinen Einfluss hier geltend zu machen, um diese Minderheitenrechte zu gewährleisten“. Wenige Tage später, über einen Monat nach dem ersten Medienbericht, kündigte Putin an, er wolle mit dem Generalstaatsanwalt und dem Innenminister über das Thema reden.

Kadyrow bestritt, dass es Schwule in Tschetschenien gibt

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach bei Putins Besuch in Versailles die Verfolgung von Homosexuellen an und betonte, der russische Präsident habe Aufklärung versprochen. Der tschetschenische Republikchef Ramsan Kadyrow lud daraufhin Merkel und Macron ein, „auf der Suche nach der Wahrheit“ Tschetschenien zu besuchen. Kadyrow hatte die Vorwürfe von Anfang an kategorisch abgestritten – mit der Begründung, es gebe in Tschetschenien gar keine Schwulen. 

Kadyrows Macht gründet auf massiver Repression, seit Jahren werden seinen Sicherheitskräften schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Der Kreml setzte lange darauf, dass Kadyrows Regime nach zwei Tschetschenien-Kriegen jede neue separatistische Bestrebung im Keim erstickt. Bisher hat Putin dem Republikchef relativ freie Hand gelassen. Kadyrow wiederum stilisiert sich öffentlich als Gefolgsmann des Präsidenten. Mehrfach drohte er dessen Kritikern, russischen Oppositionellen, und bezeichnete sie als „Volksfeinde“. Nach dem Mord am früheren Vize-Regierungschef Boris Nemzow führte die Spur nach Tschetschenien, mehrere Verdächtige gehörten Kadyrows Sicherheitsdiensten an.

Ein enger Weggefährte Kadyrows, der tschetschenische Parlamentspräsident Magomed Daudow, spielte Human Rights Watch zufolge eine Schlüsselrolle bei der Verfolgung der Homosexuellen: Drei der Opfer sollen demnach berichtet haben, Daudow sei in den geheimen Haftzentren gewesen und habe die Misshandlung der Gefangenen mit angesehen.

Kurz nach der Veröffentlichung des Berichts in der „Nowaja Gaseta“ wurde in der größten Moschee in Grosny eine Protestdemonstration organisiert, der Redner nannte die Journalisten „Feinde unseres Glaubens und unserer Heimat“, in einer Resolution wurde ihnen offen mit Vergeltung gedroht. Eine Journalistin der „Nowaja Gaseta“ hat nach den massiven Drohungen Russland verlassen.

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