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Catrina Stemmer und Uisenma Borchu
© Zorro Film

Xposed Queer Film Festival: Das Virus, die Liebe und der Verrat

Das Xposed Festival zeigt ab Donnerstag im Kreuzberger Moviemento-Kino queere Filmkunst: experimentelle Collagen, intime Videotagebücher und intensive Spielfilme. Ein Ausblick.

Joaquim Pinto liegt im Bett. Das Sprechen fällt dem bärtigen Mann sichtlich schwer. Doch er möchte festhalten, wie es ihm geht, und was die HIV-Medikamente mit ihm machen. Zu jeder Bewegung müsse er sich zwingen, sogar zum Atmen, sagt er. Und dann sei da dieser Schmerz, „wie mit dem Stift gezeichnet“ – vom Kopf über den Nacken, den Arm bis in den Finger ziehe er sich, sagt der Kranke und fährt die Linie mit der Hand nach.

Die Szene stammt aus „E agora? Lembra-me – What Now? Remind Me“, dem Videotagebuch des schwulen portugiesischen Filmemachers Joaquim Pinto, der seit 20 Jahren mit dem HIV-Virus lebt. Der 58-Jährige hat außerdem Hepatitis C und mehrere erfolglose Therapien hinter sich. Im November 2011 nimmt er an einer Studie für ein neues Medikament teil – und filmt mit. Die Aufnahmen kombiniert er mit Szenen aus seinem Alltag sowie Erinnerungen an seine Anfänge als Filmemacher und seine Freunde, die an den Folgen von Aids starben, darunter Derek Jarman und Manfred Salzgeber.

Pino montiert das sprunghaft, assoziativ – passend zu seinen Gedanken, die nebenwirkungsbedingt „wie in einer Waschmaschinen- Trommel umherwirbeln“. So ist sein knapp 170-minütiges Werk bei aller Qual, die man dem hageren Körper Pintos ansieht, vor allem ein bewegendes Dokument der Selbstbehauptung. Auch angesichts wachsender HIV-Sorglosigkeit wünscht man diesem bereits 2013 fertiggestellten Film so viele Zuschauer wie möglich. Zu sehen ist er jetzt bei der elften Ausgabe des Xposed Queer Film Festivals, das ab Donnerstag 53 Kurz- und fünf Spielfilme aus 20 Ländern präsentiert.

Durch Mumbai mit der Motorrikscha

Mit „JL Passion“ des brasilianischen Regisseurs Carlos Nader ist eine weitere tagebuchartig angelegte Doku dabei, in der es ebenfalls um HIV geht. Abgesehen davon hat das Programm keine expliziten Schwerpunkte, sondern fächert ein breites Spektrum queeren Filmschaffens auf. Experimentelles und Abseitiges dabei steht im Vordergrund, insbesondere bei den Kurzfilmen. So ist etwa „Surface Glaze“ von Lotte Meret Effinger eine achtminütige Collage extremer Nahaufnahmen, die Körperteile und schwer definierbare Flüssigkeiten zeigen.

Auch Natasha Mendoncas in Mumbai angesiedelter Eröffnungsfilm „Ajeeb Aashiq – Strange Love“ enthält einige collagenartigen Sequenzen, die den fragmentarisch-halbdokumentarischen Charakter dieses Werkes unterstreichen. Im Zentrum stehen die Sängerin Suman, die offenbar Ärger mit ihrem Liebhaber hat, und Transmann Khush, der als Rikschafahrer arbeitet. Er tritt selbstsicher und cool auf – bis er erfährt, dass seine große Liebe verheiratet werden soll.

Eine Mutter hat eine Affäre mit ihrer Nachbarin

Nur auf den ersten Blick konventionell wirkt dagegen Uisenma Borchus in München angesiedelter Debütspielfilm „Schau mich nicht so an“. Die Regisseurin spielt selber die Rolle der Hedi, die sich erst mit der fünfjährigen Tochter ihrer Nachbarin Iva (Catrina Stemmer) anfreundet und dann eine Affäre mit der Mutter beginnt. Für einen Moment sieht es so aus, als könnten die Frauen, die beide unter der Distanz zu ihren Familien leiden, einander eine eigene Art von Heimat oder Familie sein. Doch spätestens als Ivas Vater (Josef Bierbichler) in der Stadt auftaucht und Hedi ihn heimlich trifft, wird klar: Diese selbstbewusste, ständig rauchende Frau, von der nicht klar ist, was sie tagsüber eigentlich treibt, hat auch eine destruktive, dunkle Seite. Das intensive Drama läuft bei Xposed als Abschlussfilm und kommt am 16. Juni regulär in die Kinos.

Xposed Queer Filmfestival: Moviemento, Kottbusser Damm 22, 19. bis 22. Mai

Unser Videobericht vom 10. Xposed Festival:

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