Reinhold Robbe zum Streit über die Ehe für alle: Dämliche Homo-Ehe!
Homo-Ehe - schon das Wort entlarvt die peinliche Debatte. Als schwuler Mann kann ich in Deutschland zwar gut leben. Aber ich erwarte auch Respekt: für mein Lieben und Leben, schreibt Reinhold Robbe, ehemals Wehrbeauftragter, in einem Essay für den Tagesspiegel.
Scheinbar sind jetzt alle Fakten auf dem Tisch, die Argumente ausgetauscht. Viel ist in diesen Tagen geschrieben worden über die „Ehe jetzt auch für Schwule und Lesben“, das „Öffnen“ dieser altehrwürdigen Institution. Und da zeigt sich, dass zumindest ein großes Heer von Journalisten – danke dafür! – klug und sensibel argumentiert, auf Grundlage einer historisch-kulturellen Informiertheit und tatsächlich zeitgemäßen Aufgeklärtheit. Diese würde ich mir nun auch für den letzten „Reichssiegelbewahrer“ einer vermeintlich konservativen Geisteshaltung wünschen, die angeblich den Seelenfrieden einer katholischen bis auflösungsangstgetriebenen Wählerschicht der CDU – wo auch immer die stecken mag – vor dem finalen Zusammenbruch retten soll.
"Homo-Ehe" - ein dämliches Wort
Ich gebe aber zu bedenken: diese schützenswerten, vermeintlich konservativen Geister sind womöglich eine reine Schutzbehauptung, und manch evangelikaler, rotnackiger, seine Frau und Kinder malträtierende Hetero-Hinterwäldler hätte gar nicht viel dagegen einzuwenden, dass im fernen Köln, Leipzig oder Berlin die Schwulen nicht mehr nur ihre Paraden abhalten, in Federboas und Lederuniformen auf ihrem angestammten Terrain des Tänzelns, Kreischens und Wimpernklapperns bewähren dürfen, sondern jetzt auch noch das angestammte Vorrecht der zeugungswilligen Paare kapern wollen, das echte, kostbare, uneingeschränkte, in zahllosen Ausprägungen und Stufen der Zivilisation kunstvoll errichtete Institut der Ehe.
Zum anderen finde ich das Thema ungeeignet weil zu grundsätzlich, um für kulturell-milieuhafte Scheingefechte und parteipolitische Manöver benutzt zu werden. Ich will vielmehr versuchen, meine Haltung zu der sogenannten „Homo-Ehe“ – was für ein dämliches, die Debatte peinlich entlarvendes Wort! – anhand meiner ganz persönlichen Erfahrungen deutlich zu machen.
Wie bei jeder Hochzeit flossen auch bei meiner die Tränen
Denn ich bin schwul. Ein hundertprozentig Betroffener. Um so mehr, als ich seit vielen Jahren mit meinem Mann Freo Majer zusammenlebe und mit ihm seit April 2011 rotzfrech die Lüge in die Welt posaune, wir seien verheiratet. Es war aber damals wirklich fast eine Heirat. Die Charlottenburger Standesbeamtin hatte exakt die gleiche herrlich berlinerisch-schnodderige Art von Humor wie früher bei der Hochzeit unserer Freunde Tatjana und Kai. Genau wie Hugh Grant kam auch bei uns der Trauzeuge ein bisschen sehr knapp vor dem Beginn. Wir tauschten Ringe wie jedes andere Paar auch, wie immer waren die angereisten Geschwister, Tanten und Patenkinder aufgeregt und stolz, und wie bei jeder Hochzeit, die ich jemals erleben durfte, flossen die Tränen.
Tags darauf ging das Heiraten erst richtig los. Mit einer ganzen Kirche voll naher Freunde, Kollegen und Verwandter, mit rührend herausgeputzten Kindern und unserem unschätzbar klugen Pfarrer Andreas Schorlemmer. Der die Grenze von der kirchenamtlich erlaubten Segnung zur strengstens verwehrten Trauung dermaßen feinsinnig übertrat, dass alle Gäste fest überzeugt waren, sie hätten einer ganz normalen Hochzeit beigewohnt.
Schwule Männer sind noch immer stigmatisiert
Ich gebe mich keinen Täuschungen hin. Natürlich sind schwule Männer immer noch stigmatisiert, was sich vermutlich ebenso über andere LGBTIQ- und weitere Abkürzungs-Identitäten sagen lässt. Mein Mann und ich mögen liberale und weltläufige Freunde um uns geschart haben, aber ein Abbild der Gesellschaft sind diese nicht. Und selbst in vermeintlich gebildeten Kreisen erleben wir beide durchaus diskriminierendes Verhalten. Die positive Diskriminierung ist dabei kaum erträglicher als die klassisch hässlichen Varianten der Ausgrenzung.
Dass „wir“ Schwule – schon das „Wir“ ließe sich anzweifeln – kreativer, geschmackvoller und weichherziger seien als andere, schwingt untergründig immer wieder als Motiv mit, wenn einem schwulen Abgeordneten die „harten“ Themen vorenthalten werden. Ebenso wie früher den weiblichen Abgeordneten wird einem schwulen Politiker eher zugeschrieben, sich über Soziales und Gesundheit kompetent zu äußern, als über Felder wie Wirtschaft oder Sicherheit.
Warum ich meine schwule Identität lange verborgen habe
Dieses Denken in Zuständigkeiten ist meiner Überzeugung nach einfältig. Es bedeutet eine unsägliche Verschwendung von Talent und bringt unsere Gesellschaft nicht weiter. Aber hier müssen „wir“ Schwulen uns auch an die eigene Nase fassen. Mir persönlich behagt eine Opferrolle des Stigmatisierten ebenso wenig wie die geistige Trostlosigkeit, wie ich sie in manch durchideologisierten Scharmützeln um LGBTIQ- bzw. Gender-Themen zu erkennen meine. Denn wer sagt eigentlich, dass wirklich jeder/jede/jedx sich in diesen Abkürzungen wiederfindet? Warum sollte ich als schwuler Mann meine sexuelle Identität zu DEM zentralen Thema meines Denkens und Agierens machen?
Als Abgeordneter eines großen katholisch wie auch calvinistisch geprägten ländlichen Wahlkreises habe ich mein privates Leben und meine schwule Identität lange Zeit vor der Öffentlichkeit verborgen. Vor allem wegen meiner Bedenken, mein Umfeld und meiner Wähler könnten darauf negativ reagieren. Um so dankbarer war ich für die ausnahmslos positiven Reaktionen auf mein „Outing“. Lediglich ein wegen Volksverhetzung vorbestrafter Rechtspopulist aus meiner Heimatstadt diffamierte mich auf seiner Website und musste deswegen eine Geldstrafe zahlen.
Die Veränderungen sind nicht selbstverständlich
Mein Leben änderte sich dann grundsätzlich dadurch, dass eine große Tageszeitung auf der ersten Seite von meiner bevorstehenden Hochzeit berichtete. Übrigens positiv. Da schien es dann den einen oder anderen meiner Gesprächspartner zu überraschen, dass ein Ostfriese, der vielleicht manchem als eher vernünftig, pragmatisch oder „solide“ galt, nun Einzug hielt in die Welt der Federboas.
In den letzten Tagen war viel zu lesen über die Präsenz prominenter Homosexueller in der deutschen Öffentlichkeit. An dieser Präsenz sei eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft abzulesen. Aber ganz so organisch gewachsen, ganz so selbstverständlich sind diese Veränderungen nicht.
Wir dürfen nicht vergessen, dass erst 1994 der Paragraph 175 aus dem Strafgesetzbuch getilgt wurde und bis heute Opfer dieses unsäglichen Gesetzes auf ihre Entschädigung warten. Und noch vor zwei Generationen wurden zigtausende Homosexuelle von den Nazis verfolgt, gequält und ermordet.
Erpressung - auch durch einen Kollegen der Partei
Auch dürfen wir nicht verkennen, dass keine einzige der prominenten Selbsterklärungen ohne massiven Druck zustande kam. Diesen Druck nennen manche deutlicher beim Namen: Erpressung. Auch ich selber habe Vergleichbares erlebt. Nicht von Seiten ach so durchtriebener Boulevardjournalisten, sondern durch einen Kollegen aus meiner eigenen Partei, einen Bundestagsabgeordneten der SPD. Als mein Name für die Kandidatur zum Wehrbeauftragten ins Spiel gebracht worden war, nahm mich der Kollege bei einer Fraktionssitzung zur Seite. Natürlich wohlmeinend und als „kollegiale Warnung“ gedacht, weihte mich der Kollege in sein geheimes Wissen ein: Er habe unbeabsichtigt ein Gespräch zwischen Journalisten mithören müssen, in dem es um meine Homosexualität gegangen sei. Man habe offensichtlich vor, mich zu outen; das aber wäre weder für die Partei noch für mich selber gut. Der Kollege riet mir dringend, auf keinen Fall zu kandidieren. Heute bin ich glücklich über die Tatsache, dass ich weder in der Bundeswehr, noch in irgendwelchen anderen Zusammenhängen aufgrund meiner sexuellen Orientierung diskriminiert oder auch nur distanziert beäugt wurde. Ganz im Gegenteil: Viele zeigten Sympathie und Wertschätzung für mich als schwulen Politiker.
Keine Gruppe kann ein Copyright auf die Ehe beanspruchen
Eines will ich unmissverständlich klarstellen. Die Ehe ist kein Privileg, das eine heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft aus Rücksicht oder Toleranz nun auch den LGBTIQ-Leutchen zugestehen sollte. Die Ehe ist keine Erfindung, demnach kann keine Institution, keine Person oder Gruppierung im Ernst eine Art Copyright beanspruchen. Sie ist eine Übereinkunft unserer Zivilisation, vermutlich sogar, wie ich erst in diesen Tagen gelernt habe, JEDER Zivilisation. Was historisch Sinn und Zweck der Ehe war, was ihre innere Gesetzmäßigkeit, kann hier nur am Rande interessieren. Sie bedeutet hier und jetzt die Festlegung und Positionierung gegenüber meinem Partner und zugleich die autonome Entscheidung von mir als Bürger gegenüber der Gemeinschaft. Mit der Ehe geben wir unserem Paar-Sein einen Platz in der Öffentlichkeit, einen Namen. Wer will mir das verwehren, mit welchem Recht?
Die Ehe ist auch keine "höhere Lebensform", kein Ausweis besonderer Humanität. Ich finde es abwegig, in diese gesellschaftliche Übereinkunft irgendeine Art moralischer Überlegenheit hineinzudeuteln. Unter dem Schutzmantel von Ehe und Familie finden, wie wir immer wieder erfahren müssen, mehr Unterdrückung und Missbrauch statt als in den Schlafsälen berüchtigter Internate, demzufolge hängt wohl der Wert dieser Institutionen allein an der verantwortungsvollen Art, sie mit Leben zu füllen. Ich persönlich will mit meinem Mann leben, weil er eben das ist, mein Mann.
Ich erwarte nicht Toleranz, sondern Respekt
Er und ich haben selbst in liberaler, großstädtisch-aufgeklärter Runde schon Sprüche anhören müssen, wonach wir beide zwar sympathische Exemplare, "die Schwulen" im großen und ganzen aber kaum zu ertragen seien. Dieses penetrante Ausstellen ihrer Sexualität! Diese Fixierung auf das Körperliche! Dieser Zwang, ihre Neigung öffentlich zu machen! Muss das denn sein? Nein, "das" muss nicht sein. Aber das macht vielen einfach großen, großen Spaß. Wir dürfen das, und wenn uns danach ist, tun wir das. Diese Freizügigkeit mag viele irritieren, aber sie ist ein realer Beleg für ein großartiges, schwer erkämpftes Übereinkommen in unserer Kultur, nämlich dass jeder nach seiner Façon selig werde. Offen gesagt, betrachten mein Mann und ich uns selber nicht als Beispiele für gelungene Integration, und wir ahmen kein heterosexuell normiertes Lebensmodell nach – was auch immer das sein sollte. Wir mögen schwul sein, aber wir haben auch noch andere Eigenschaften und Interessen, so wie ich das auch jedem Menschen anderer sexueller Orientierung zugestehen würde.
Es geht um mehr als um fröhliche Vielfalt
Ich erwarte also keine Toleranz. Dieses Schlagwort suggeriert, es ginge in unserer Gesellschaft um nicht viel mehr als eine Art harmloser Biodiversität, die fröhlich beschworene Vielfalt und Buntheit. Ich selbst würde mich als seltener Vogel im Schutzgehege nicht wohlfühlen. Aber zum Wohlfühlen ist die Toleranz da.
Ich erwarte auch keine Rücksicht. Dass ich Männer liebe, ganz besonders den einen, kann ich absolut nicht als Defekt sehen. Es fühlt sich gut an, gesund und – offen gesagt: normal.
Und man bleibe mir vom Leib mit dem Zuschreiben von Eigenschaften. Die Vorurteile mögen sich oft ins freundliche umgefärbt haben, doch sind sie primitiv und in ihrer sozialen Mechanik durchschaubar wie eh und je. Besonders unerträglich scheint mir die immer wiederkehrende Suggestion einer „Abartigkeit“. Selbst Personen unseres öffentlichen Lebens lassen dumpfe Ressentiments mitschwingen, wenn auch kaum so unverschämt hetzerisch wie Putin in seinem Appell an die Schwulen "Lassen Sie bitte die Kinder in Ruhe!"
Was ich erwarte ist: Respekt
Was ich erwarte, ist Respekt. Diesen werde ich für mich, mein Lieben und Leben mit der selben Vehemenz einfordern, mit der ich für meine christliche Überzeugung eintrete, für mein Verständnis von Wahrhaftigkeit und Verantwortung. Der Respekt vor jeder Art menschlichen Lebens ist für mich die entschiedene Grundhaltung unserer Zivilisation, die wir in einem jahrhundertelangen und gar nicht friedlichen Prozess entwickelt haben. Der Humanismus der Renaissance, die Errungenschaften der Aufklärung, die Reform-, Freiheits- und Avantgarde-Bewegungen des neunzehnten Jahrhunderts, die Weimarer und die Bundesrepublik, sie alle sind der Nährboden dessen, was die Identität unseres einzigartigen Landes heute ausmacht. Ja, ich kann als schwuler Mann in Deutschland gut leben. Ziemlich unbehelligt, niemals verfolgt, seit einiger Zeit nicht mehr kriminalisiert. Aber wir können uns auf diesem Status quo nicht ausruhen. Ich trete für eine entschlossene, wehrhafte und respektfordernde Haltung unserer demokratischen, humanistisch gedachten und zutiefst liberalen Werteordnung ein: wehrhaft gegenüber inneren wie äußeren Bestrebungen des Bevormundens, Entwürdigens und Entwertens.
Von unserer Trauung gibt es ein sehr schönes Video, gedreht von einer Freundin. Darin ist zu Beginn mein Patensohn Konstantin zu sehen, wie er mit den anderen Gästen vor der Kirche wartet. Die Filmerin fragt, ob er denn wisse, wer heute heiraten werde. Konstantin blickt sie an, als wäre sie nicht bei Trost, als wollte er sagen: Wer wird wohl heiraten? Blöde Frage.
Reinhold Robbe war langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages und ist heute als Politik- und Wirtschaftsberater tätig.
Der Text ist im gedruckten Tagesspiegel auf der Essay-Seite der Sonntagsausgabe erschienen.
Weitere LGBTI-Themen erscheinen auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels, den Sie hier finden. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an:queer@tagesspiegel.de. Twittern Sie mit unter dem Hashtag#Queerspiegel – zum Twitterfeed zum Queerspiegel geht es hier.
Reinhold Robbe
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