Queerpolitische Beauftragte der Grünen: Auf die Straße mit der Regenbogenfahne - jetzt erst recht
Sind CSDs und Pride Paraden nach 40 Jahren und der Öffnung der Ehe überflüssig? Das ist Quatsch - der Kampf für gleiche Rechte ist noch lange nicht vorbei, sagen grüne Politiker in einem Gastbeitrag.
Muss der CSD noch sein? Zu diesem Thema äußern sich in diesem gemeinsamen Gastbeitrag Politikerinnen und Politiker der Grünen: Terry Reintke, Vorsitzende der LGBTI-Intergroup im Europäischen Parlament; Ulle Schauws, Sprecherin für Frauen*- und Queerpolitik der Bundestagsfraktion; Sven Lehmann, Sprecher für Queer- und Sozialpolitik der Bundestagsfraktion; Anja Kofbinger und Sebastian Walter, Sprecherin und Sprecher für Antidiskriminierungs- und Queerpolitik im Berliner Abgeordnetenhaus; sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Queergrün: Natasha Kauder, Marion Lüttig, Rita Nowak und Jens Parker.
Die Pride-Saison beginnt. Den gesamten Sommer über treffen sich LGBTIQ* und nicht ganz so queere Menschen, um stolz, laut und bunt für gleiche Rechte zu demonstrieren. Das sei doch mittlerweile nach vierzig Jahren Pride Paraden total überflüssig geworden, sagen die einen. Die CSDs seien doch seit Jahren völlig entpolitisiert und zu reinen Partys verkommen, meinen die anderen.
So ein Quatsch! Nie war es wichtiger für Selbstbestimmung und unsere Grundrechte auf die Straße zu gehen! Denn auch nach der Öffnung der Ehe ist unser Kampf für gleiche Rechte nicht vorbei. Mehr noch: Längst gibt es neue rechte Kräfte, die aufrüsten und europaweit eng zusammenarbeiten, um uns unserer Grundrechte zu berauben.
Anti-Propaganda-Gesetze gibt es auch in der EU
Nur drei Beispiele: Anti-Propaganda-Gesetze gibt es nicht nur in Russland, sondern auch in der EU. In Lettland, Litauen oder Polen sollen diese Gesetze Kinder und Jugendliche vor queerer Propaganda "schützen" und sind dabei nicht nur ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern befördern Diskriminierung und Hass gerade gegenüber LGBTIQ*-Jugendlichen. In Ungarn stehen NGOs und Zivilgesellschaft unter Orbáns Beschuss, weshalb Menschenrechts- und LGBTIQ*-Organisationen massiv in ihrer Arbeit behindert werden. In Bulgarien und der Slowakei wird die Istanbul Konvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen allein deswegen angegriffen, weil es einen Verweis auf "Gender" gibt.
Die „Genderideologie“ ist zum Kampfbegriff der europäischen Rechten und die Diskriminierung von LGBTIQ* alltäglich geworden. Überall in Europa arbeiten Populist*innen, Nationalist*innen und Neokonservative mit vereinten Kräften daran, die Errungenschaften unserer freien und demokratischen Gesellschaft zurückzudrehen. Damit befeuern sie den gesellschaftlichen Backlash, der darauf ausgerichtet ist, fortschrittliche Entwicklungen zu bremsen und stattdessen autoritäre und patriarchale Wertevorstellungen wieder salonfähig zu machen.
Neu gewonnene Rechte sollen widerrufen werden
Dazu zählt auch, neu gewonnene Rechte und Freiheiten ehemals unterdrückter Gruppen zu widerrufen und den Einfluss autoritärer Strukturen und Eliten in der Gesellschaft zu stärken. Dadurch schaffen die Rechten in Europa ein neues Überlegenheitsgefühl, das Intoleranz, Dogmatismus und Unfreiheit befördert. Dem Backlash fallen zunächst vor allem die Rechte gesellschaftlicher Gruppen zum Opfer, die als schwächer wahrgenommen werden – wie Frauen*, Migrant*innen sowie religiöse oder sexuelle Minderheiten. Am Ende wendet er sich aber gegen alle, die in offenen und freien Gesellschaften leben wollen.
Weder in Deutschland, noch in der EU und oder weltweit sind Rechte für LGBTIQ* eine Selbstverständlichkeit. Doch Aktivist*innen geben sich mit einem reinen Abwehrkampf nicht zufrieden und streiten für mehr Rechte und Gleichstellung. Politischer Druck hat nicht nur in Deutschland dazu geführt, die Ehe für alle durchzusetzen. Auch in Tschechien wird es jetzt darum gehen, diesen Schritt in Richtung gleiche Rechte zu gehen. Es ist höchste Zeit, dass sich die progressiven Kräfte in Europa zusammentun und für mehr Selbstbestimmung und gegen patriarchale und autoritäre Machtstrukturen kämpfen - auch bei den Prides überall in Europa.
Mit Glitzer und Fahne auf die Straße
Deshalb: Geht auf die Straße! Schnappt euch eure Regenbogenflaggen, Glitzer und Seifenblasen und ruft es in die Welt: Wir werden nicht aufgeben, bis wir in einer gerechten, freien Welt leben, in der wir so leben und lieben können, wie wir es wollen! Seid laut und stolz, verteidigt die Stammtische gegen rechte Parolen, solidarisiert euch mit Freund*innen in Ungarn, in Polen oder in Lettland und macht die CSDs politisch! Denn der queere Widerstand gegen den Backlash verteidigt unsere Grundrechte und erstreitet echte Selbstbestimmung.