Christopher Street Day in Berlin: 500.000 feiern "Ehe für alle" und queere Flüchtlinge
Kunterbuntes Treiben in Berlin: Die Parade zum Christopher Street Day (CSD) zog als Demonstration für die Rechte Homosexueller und Transgender vom Ku'damm zum Brandenburger Tor. Unter die Kostüme mischten sich klare politische Botschaften.
Hunderttausende Menschen haben in Berlin die Parade zum Christopher Street Day (CSD) unter dem Motto "Wir sind alle anders. Wir sind alle gleich" gefeiert und damit ihre Unterstützung für Homosexuelle und Transgender zum Ausdruck gebracht. Nach Angaben des Veranstalters starteten etwa 3000 Menschen und 50 Umzugswagen am Kurfürstendamm in Richtung Brandenburger Tor. Die Polizei zählte 1600 Menschen, die auf Wagen und in Fußgruppen mitfuhren und -liefen. Am Straßenrand sammelten sich entlang der Route laut Veranstalter gut 500.000 Schaulustige - obwohl das Wetter alles andere als sommerlich war.
"Das Land Berlin steht hinter Euch!" rief Senatorin Dilek Kolat
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und sein Vorgänger Klaus Wowereit (beide SPD) feierten mit; ebenso der Botschafter der USA in Deutschland, John B. Emerson. Müller erhoffte sich von diesem CSD Rückenwind: „Ein bisschen Gleichstellung geht nicht“, sagte er bei der Auftaktkundgebung am Ku'damm Ecke Joachimsthaler Straße. Beim späteren CSD-Fest am Brandenburger Tor wurde Berlins Ex-Regierender Klaus Wowereit für sein einstiges Outing „Ich bin schwul und das ist auch gut so“ mit dem „Soul of Stonewall Award“ geehrt. Seit diesem Bekenntnis sei Homosexualität in der Spitzenpolitik kein Thema mehr, hieß es in der Laudatio. Wowereit appellierte an Kanzlerin Merkel, es sei höchste Zeit, dass sie ihren Widerstand gegen die Ehe für alle aufgebe. Auch Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) forderte in ihrer Ansprache die Ehe für alle. Diese sei alternativlos und werde kommen. "Das Land Berlin steht hinter Euch!" rief sie den Zugteilnehmern von der Bühne aus zu. Berlin sei traditionell eine "Regenbogen-Stadt". Zugleich lobte Kolat die protestantische Kirche, weil deren Pastoren bereits gleichgeschlechtliche Ehen absegnen. Abschließend forderte die Senatorin zum gemeinsamen Gedenken an die weltweit Verfolgten auf. In 77 Ländern sei dies noch der Fall. "Sie werden verfolgt, weil sie lieben, wen sie lieben."
73 Prozent der Berliner für die "Ehe für alle"
Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare stand diesmal überall im Zentrum. Das wegweisende Urteil des US-Supreme Court für die Gleichberechtigung homosexueller Ehen hatte den den Takt bereits am Freitag vorgegeben. Seit Wochen wird die Debatte um die so genannte "Ehe für alle" auch hier geführt.
73 Prozent der Berliner Bevölkerung befürworten sie einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zufolge. Allerdings meint nur eine knappe Mehrheit von 55 Prozent, Berlin solle sich auf Bundesebene besonders für die Gleichstellung einsetzen. Das Land hatte sich Mitte Juni bei einer Abstimmung im Bundesrat enthalten. Die Berliner CDU will erst ihre Mitglieder zum Thema befragen.
Die Unterbringung queerer Flüchtlinge in Berlin und Deutschland war das zweite Hauptthema des diesjährigen CSD. Aber nicht nur die Unterbringung, sondern auch die Überwindung von Grenzen im Allgemeinen stand im Vordergrund. "Wir sind alle anders. Wir sind alle gleich", das gilt sowohl für die sexuelle Orientierung als auch für die Akzeptanz und das Miteinander verschiedener Kulturen und Nationen.
Straßensperrungen - auch für BVG-Busse
Um 12.00 Uhr begann die Auftaktkundgebung am Kurfürstendamm mit dem Regierenden Bürgermeister. Gegen 12.15 Uhr fiel der Startschuss mit Konfettibombe, ab 12.30 Uhr zog der Demonstrationszug über Tauentzienstraße, Wittenbergplatz, Kleiststraße, Nollendorfplatz, Einemstraße, Lützowplatz, Hofjägerallee und Großer Stern zur Straße des 17. Juni. Am Wittenbergplatz war die Straße etwa eine Stunde nach Demonstrationsbeginn von Schaulustigen gesäumt. Am Nachmittag wurde die Stimmung immer gelöster, es wurde bei Musik und Tanz ausgelassen gefeiert. Gegen 16 Uhr traf der Zug an seinem Endpunkt, dem Brandenburger Tor, ein, wo im Anschluss die Abschlusskundgebung stattfand. Danach wurde bis zum späten Abend ausgelassen gefeiert. Es goss zwar immer wieder, aber das drückte nicht auf die gute Laune, angeheizt von Künstlern auf der Bühne. Auch unterm Regenschirm ließ sich gut tanzen und schmusen.
Seit 6.00 Uhr morgens war die Straße des 17. Juni zwischen dem Brandenburger Tor und dem Großen Stern gesperrt. Auch auf dem Kurfürstendamm hatte der CSD ab 10.00 Uhr zwischen Uhlandstraße und Joachimsthaler Straße in beiden Richtungen Vorrang - die Straße wurde ebenfalls abgeriegelt.
Betroffen von den Sperrungen war auch der Busverkehr der BVG. Konkret bedeutete das Abweichungen im Fahrplanablauf der Linien X10, M19, M29, M46, N26, 100, 106, 109, 110, 187, 200, 204 und 249 bis Sonntagfrüh, 8.00 Uhr. Die Polizei Berlin bat darum, den Innenstadtbereich weiträumig zu umfahren.
Die Beamten führten mit Unterstützung von Polizisten aus München im Vorfeld und am Rande der Veranstaltung Schwerpunktrazzien gegen Taschendiebe und Trickbetrüger durch. Am Freitag nahmen sie in Mitte und Charlottenburg insgesamt 13 Personen fest, die versucht hatten, Touristen und Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln zu bestehlen.
Politische Klänge auf und am Rande des CSD
Die CSD-Paraden, die an unterschiedlichen Tagen weltweit stattfinden, erinnern an einen Aufstand von Schwulen, Lesben und Transsexuellen am 28. Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street. In Berlin war der heutige bereits der 37. Umzug. Der vordere Zugteil war in diesem Jahr reserviert für leisere Gruppen, Fahrräder und Kinderwagen. Die Wagen mit lauter Musik folgten im hinteren Abschnitt. Auch ohne Anmeldung konnten sich Menschen spontan in den Demonstrationszug einreihen. Unter dem Motto „Gleiche Rechte für Regenbogenfamilien!“ nahm auch der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) teill, mit einer Bimmelbahn.
Auch politische Parteien mischten sich unter die Demonstrierenden. Grünen-Chefin Simone Peter und ihr Parteifreund Volker Beck waren ebenso zu sehen wie Wagen der Linken, der LSU (Verband der Lesben und Schwulen in der Union), der Piraten und der Jungen Liberalen.
Neben der Straßenparade fanden am Sonnabend auch rein politische Veranstaltungen ohne Partycharakter statt. In Kreuzberg brachte der kleine CSD sein Motto "Keine pinke Camouflage – Queer bleibt radikal. Unanständig, unintegriert, unbequem gegen Krieg, Rassismus, Ausbeutung" auf die Straße. Bereits um 11.00 Uhr fand eine Gedenkveranstaltung des Vereins CSD, des LSVD und der Stiftung für die ermordeten Juden Europas mit der Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen unweit des Reichstagsgebäudes statt.
Die Forderung der Lichtenberger Bezirksverordneten, zum CSD erste "Homoampeln" mit gleichgeschlechtlichen Paaren aufzustellen, hatte unterdessen keine Chance. "Ampeln sind nicht geeignet, politische Statements abzugeben", teilte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit.
Mehr Informationen zum Thema CSD, Ehe für alle und LGBT-Rechte finden Sie übrigens im Queerspiegel. Unter dem Hashtag #CSDBerlin wird den ganzen Tag zum Thema Christopher Street Day getwittert, wie von Queerspiegel-Kollege Tilmann Warnecke.