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Auch am Mittag waren noch Flammen im Grenfell Tower zu sehen.
© Adrian DENNIS/AFP
Update

Grenfell Tower in London: Zwölf Tote und mindestens 79 Verletzte bei Großbrand

In London ist im Wohnkomplex Grenfell Tower ist am frühen Mittwochmorgen ein Feuer ausgebrochen. Anwohner kritisieren, dass es erhebliche Brandschutzmängel gegeben habe.

Bei einem gewaltigen Brand in einem Hochhaus im Zentrum Londons sind mindestens zwölf Menschen ums Leben gekommen. Dutzende weitere wurden verletzt. Die Zahl der Todesopfer dürfte nach Einschätzung von Scotland Yard vom Mittwochabend weiter steigen. Nach Angaben der Rettungskräfte wurden mindestens 79 Patienten in Kliniken behandelt, 18 von ihnen seien in einem kritischen Zustand. Die Ursache des Brands in dem 24-stöckigen Gebäude blieb zunächst unklar.

Die Polizei rechnete am Mittwochabend nicht mehr damit, weitere Überlebende in dem Gebäude zu finden. „Leider erwarte ich nicht, dass es noch mehr Überlebende geben wird“, sagte Stuart Cundy von der Londoner Polizei. Einige Menschen würden aber noch immer vermisst. Eine genaue Zahl nannte Cundy nicht.

Feuer brach in der Nacht zu Mittwoch aus

Das Feuer war in der Nacht zum Mittwoch ausgebrochen. Augenzeugen berichteten von Schreien. Menschen seien aus dem brennenden Gebäude gesprungen. Eltern warfen demnach in ihrer Verzweiflung Kinder aus dem brennenden Hochhaus. Eine Mutter habe ihren Säugling aus dem „neunten oder zehnten Stock“ geworfen, sagte eine Augenzeugin der britischen Nachrichtenagentur PA. Ein Mann habe den Säugling gefangen.

Trümmerteile flogen aus dem Gebäude, wie ein dpa-Reporter berichtete. Hin und wieder knallte es in dem Gebäude. Die Polizei sperrte alle Wege weiträumig ab. Einwohner wurden gebeten, die Gegend nordwestlich vom Hyde Park zu meiden. Eine Schule in der Nähe des brennenden Gebäudes blieb geschlossen. Für Bewohner wurden Notfallzentren eingerichtet.

Die Einsatzkräfte waren nach eigenen Angaben innerhalb von sechs Minuten am Ort des Geschehens. Demnach ging der erste Notruf um 00.54 Uhr (Ortszeit) ein. Im Einsatz waren 200 Feuerwehrkräfte und 40 Löschfahrzeuge. Bei den Löscharbeiten wurden mehrere Feuerwehrleute verletzt, sagte Feuerwehrchefin Cotton. Der Rettungseinsatz wird nach Angaben der Polizei noch mehrere Tage dauern. „Wir bleiben hier, bis die Arbeit getan ist. (...) Wir planen über Nacht hierzubleiben“, sagte ein Sprecher der Londoner Feuerwehr am Mittwochabend. Der Brand sei noch nicht gelöscht.

Die Brandursache ist weiter unklar

Die Ursache ist noch unklar. Scotland Yard teilte jedoch mit, dass es einen Terroranschlag ausschließen könne. Londons Bürgermeister Sadiq Khan versprach umfassende Aufklärung. „Es wird im Laufe der nächsten Tage viele Fragen zur Ursache dieser Tragödie geben, und ich möchte den Londonern versichern, dass wir dazu alle Antworten bekommen werden“, teilte Khan am Mittwoch über Twitter mit.

Am frühen Morgen stand das Gebäude im Stadtteil Kensington noch lichterloh in Flammen. Auf Videos war zu sehen, dass die Flammen auf den gesamten Wohnkomplex übergegriffen hatten. Fernsehmoderator George Clark, der in der Nähe wohnt, sagte dem Sender BBC Radio 5, er könne Menschen ganz oben auf dem Hochhaus sehen. Er habe zunächst gedacht, dass eine Alarmanlage in einem Auto angegangen sei und habe dann die Glut durch die Fenster gesehen. „Ich wurde mit Asche bedeckt, so schlimm ist es. Ich bin 100 Meter weg und ich bin vollständig mit Asche bedeckt.“

Eine Schule in der Nähe des brennenden Hochhauses blieb am Mittwoch geschlossen. Man müsse erst die weitere Entwicklung abwarten, hieß es der Nachrichtenagentur dpa zufolge in einem Aushang vor dem Schulgebäude. In dem Wohnkomplex sollen viele Familien mit Kindern gelebt haben.

Gegend rief dazu auf, Gegend um Hyde Park zu meiden

Die Polizei twitterte am Mittwoch, die Gegend nordwestlich vom Hyde Park solle gemieden werden. Dan Daly von der Feuerwehr sagte der dpa, die Feuerwehrleute würden Atemmasken tragen, die Arbeit sei extrem hart und die Bedingungen sehr schwierig. „Das ist ein großer und sehr schwerwiegender Vorfall.“ Auf Facebook fügt die London Fire Brigade hinzu, die ersten Einsatzkräfte seien binnen sechs Minuten vor Ort gewesen. Man habe zahlreiche Helfer und Spezialisten entsandt. Die Polizei wurde eigenen Angaben zufolge kurz nach 1 Uhr (Ortszeit) alarmiert. Die Evakuierungsarbeiten seien im Gange. Ein Video des Reporters Alex Dibble zeigt den andauernden Brand, als die Sonne bereits aufgegangen ist:

Nach Angaben des Stadtbezirks Royal Borough of Kensington and Chelsea sind in dem Hochhaus 120 Wohnungen. Er wurde 1974 errichtet und umfassend modernisiert. Ein von Anwohnern betriebener Blog schreibt jedoch, ein Brand wie dieser sei "nur eine Frage der Zeit" gewesen: "All unsere Warnungen stießen auf taube Ohren". Die "Grenfell Action Group" berichtete im Januar 2016 von erheblichen Brandschutzmängeln etwa im Gemeinschaftsbereich des Wohnkomplexes. Auch habe es eine sogenannte "stay put policy" gegeben, die den Bewohnern riet, im Falle eines Feuers nicht zu flüchten, sondern in den Wohnungen zu bleiben.

Ein Bewohner des Grenfell Towers bestätigte dies der britischen BBC und sagte: "Hätten wir auf sie gehört und wären in der Wohnung geblieben, dann wären wir gestorben." Im April 2016 reagierte die Hausverwaltung "Kensington and Chelsea TMO", die das Gebäude im Auftrag des gleichnamigen Stadtbezirks verwaltet, in einem Newsletter auf die Kritik. Darin stand, dass ein neues Rauchabzugssystem installiert worden sei. Der dpa berichteten mehrere Anwohner am Mittwoch ebenfalls von Beschwerden über unzureichenden Feuerschutz. Das Feuer soll Augenzeugen zufolge im unteren Teil des Hochhauses ausgebrochen sein und sich dann nach oben durchgefressen haben.

Möglicherweise Wärmedämmung in Brand geraten

Der Berliner Brandschutzexperte Reinhard Eberl-Pacan vermutet, dass die Wärmedämmung in dem Hochhaus in Brand geraten ist. "Da muss etwas richtig schief gelaufen sein", sagte er dem Tagesspiegel. Dem Dienstleister Rydon zufolge, der die Außenwände des Grenfell Towers erst im vergangenen Jahr für rund 8,7 Millionen Pfund renoviert hatte, wurden Fassadenverkleidungen zu verschiedenen Zwecken angepasst. Die Maßnahmen seien zur Verbesserung der Wärmedämmung und zur Modernisierung der Außenansicht durchgeführt worden.

In Deutschland dürften bei Hochhäusern, also Gebäuden ab 22 Meter, nur nicht entflammbare Materialien eingesetzt werden, sagt Eberl-Pacan: "So ein Brand ist intolerabel." Ein ähnlicher Fassadenbrand bei einem deutlich niedrigeren Haus in Pankow 2005 habe zu einer weiteren Verschärfung der Vorschriften beim Verbauen von Wärmedämmung geführt. In Berlin müssten sich Bewohner von Hochhäusern keine Sorgen machen, sagte Eberl-Pacan. Auch ältere Häuser seien in der Regel gut gegen Brände geschützt.

May kündigt "sorgfältige Untersuchung" an

Nach der Brandkatastrophe in einem Hochhaus in London hat die britische Premierministerin Theresa May eine „sorgfältige Untersuchung“ angekündigt. Wenn aus dem Feuer Konsequenzen zu ziehen seien, würden Maßnahmen ergriffen, sagte May am Mittwochabend. Die Regierungschefin würdigte den Einsatz der Rettungskräfte und sprach den Betroffenen ihre Anteilnahme aus. „Heute Abend haben viele Menschen keinen Ort, wo sie hingehen können, sie haben absolut alles verloren. Ihnen zu helfen, muss für uns im Mittelpunkt stehen.“ (mit dpa, AFP, Reuters)

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