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Kontrahenten des Streiks. GDL-Chef Claus Weselsky und Ulrich Weber, Verhandlungsführer der Deutschen Bahn.
© Reuters

Deutsche Bahn: Zwei Männer, ein Streik

Die Bahn steht am Wochenende still. Das liegt auch an Ulrich Weber und Claus Weselsky – zwei unversöhnlichen Kontrahenten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier die wichtigsten Fragen zum Streik.

Zwischen ihren Büros in Frankfurt am Main liegen keine drei Kilometer. Sie könnten sich auf einen Kaffee in der Mittagspause treffen, Ulrich Weber, der Personalvorstand der Deutschen Bahn, und Claus Weselsky, der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Doch sie finden nicht zueinander, selbst der Versuch, sich zu Sondierungsgesprächen zu verabreden, schlug diese Woche fehl. Nun streiken die Lokführer erneut – zum vierten Mal in den vergangenen Wochen. Der Ausstand ist der bislang längste.

Wen trifft der Streik?

Bis Montagmorgen um vier Uhr wollen die Lokführer die Arbeit niederlegen – in allen Bereichen der Eisenbahn. Und das ausgerechnet an einem der verkehrsreichsten Wochenenden des Jahres, wie die Deutsche Bahn unterstreicht: In elf Bundesländern beginnen oder enden die Ferien. An einem normalen Wochentag sind etwa fünfeinhalb Millionen Menschen in den Zügen unterwegs. Erst am Mittwoch und Donnerstag hatte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) den Bahnverkehr für 14 Stunden lahmgelegt. Jetzt will sie eine Entscheidung – und bezeichnet den Ausstand als „Erzwingungsstreik“. Und das trotz des neuen Angebots der Bahn.

Was setzt die Bahn der GDL entgegen?

Seit Freitagnachmittag hat die Deutsche Bahn erneut einen Ersatzfahrplan aufgelegt. Dazu strich sie einige Züge, will aber während des Ausstands mindestens ein Drittel des Angebots aufrechterhalten – in der Regel werden das die am stärksten nachgefragten Fernzüge sowie die S-Bahnen in den Großstädten sein. Das Ziel ist, dass die meisten Züge am Montag nach dem Streik wieder dort stehen, wo sie stehen sollen, und nicht planlos über die Republik verstreut sind.

Beim letzten Streik ist diese Taktik aufgegangen – auch deshalb, weil nur 2200 Lokführer die Arbeit niedergelegt haben. Offenbar konnte die Bahn genügend Lokführer mobilisieren, die Beamte sind, Mitglied bei der Konkurrenzgewerkschaft EVG oder gar keiner Organisation angehören. Die GDL hat mit einer solchen  Reaktion offenbar nicht gerechnet – ihr Vorsitzender Claus Weselsky schäumte. Die Bahn löse ein „Chaos“ aus, warf er ihr vor, und schiebe die Schuld auf die GDL.

Welche Alternativen gibt es zum Zug?

Alle Konkurrenten bemühen sich, die Probleme bei der Bahn für ihre Zwecke zu nutzen. Unternehmen wie die in Ostdeutschland stark vertretene ODEG boten an, zusätzliche Züge einzusetzen. „Wenn wir gefragt würden, könnten wir kurzfristig einspringen“, sagte Geschäftsführer Arnulf Schuchmann dem Tagesspiegel. Auch andere Wettbewerber wie HKX aus dem Rheinland oder Veolia Verkehr unterstrichen, dass sie ihr Angebot wie üblich fahren wollen und voraussichtlich nicht vom Arbeitskampf betroffen seien.

Die Fernbus-Firmen können sich nach eigenen Angaben vor Kunden kaum retten. Man erlebe einen „Ansturm“, sagte Torben Greve, Chef des Marktführers Mein Fernbus. Dreimal so viele Nutzer wie üblich griffen auf die Internetseite zu. Auf den nachfragestärksten Verbindungen wolle man zusätzliche oder größere Busse einsetzen.

Stehen die Hauptpersonen auf beiden Seiten einer Einigung im Weg?

Je länger der Tarifstreit dauert, desto unversöhnlicher wird der Ton. „Die GDL läuft Amok“, erklärte die Bahn am Freitag, es gehe „nicht um die Interessen der Lokomotivführer, sondern um Allmachtsfantasien eines Funktionärs“ – gemeint ist Weselsky. Auffällig ist aber: Ulrich Weber, Personalvorstand der Bahn, nimmt sich seit einigen Tagen zurück und lässt seine Pressesprecher poltern. Auch Weselsky hat bislang auf direkte persönliche Angriffe gegen ihn verzichtet. Beide Seiten wissen: Am Ende des Streits müssen sie zueinanderfinden und sich die Hand reichen, so tief der Graben derzeit noch ist.

Vom Wesen her könnten die Protagonisten unterschiedlicher nicht sein: Hier Weber, 64, ein Jurist, der Karriere in der Montanindustrie gemacht hat. Er ist ein Mann der leisen Töne, der auf die Kraft des Arguments setzt. Dort Weselsky, 55, gelernter Schlosser, der sich in der Öffentlichkeit für den Streik rechtfertigen muss. Kritiker sagen, sein stärkster Antrieb sei es, Amtsvorgänger Manfred Schell übertrumpfen zu wollen. Als „keinesfalls rational“ beschreibt ihn ein Manager aus der Branche, der ihn aus Tarifverhandlungen kennt. „Sein Gesicht ist eine Maske, aber das hat er sich mühsam antrainiert.“

Wer hat den längeren Atem – die Bahn oder die Lokführer?

Das neue Angebot des Konzerns – fünf Prozent mehr Geld in drei Stufen bis Mitte 2016, eine Einmalzahlung von 325 Euro, die Einstellung von 200 zusätzlichen Lokführern – kann die GDL eigentlich nur schwer ablehnen. Zumindest, was das Materielle betrifft. Zu der anderen Kernforderung der Gewerkschaft, auch für das Zugpersonal verhandeln zu dürfen, bleibt die Bahn allerdings vage. „Sondierungsgespräche“ könne man darüber führen, teilte sie mit. Konkurrierende Tarifverträge für die gleiche Berufsgruppe lehnt sie aber weiterhin ab.

Ihre Taktik ist klar: Das Angebot zielt auf die GDL-Basis. Angesichts der spürbaren Aufschläge könnten viele Lokführer ins Grübeln kommen, ob sich für die Machtfrage ein Arbeitskampf lohnt. Weselsky kann dennoch nicht akzeptieren: Seine Kernforderung, das Verhandlungsmandat auch für die 17 000 Zugbegleiter, Ausbilder und Disponenten, will ihm die Bahn nicht erfüllen. Bis zum frühen Abend gab es denn auch keine Reaktion der GDL.

Entscheidend wird sein, wie lange der Eigentümer der Bahn, also der Bund, Streiks aushält. „Die Tarifparteien sollten zügig wieder Gespräche aufnehmen, denn Lösungen gibt es nur am Verhandlungstisch“, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) dem Tagesspiegel. 2007/2008 gab es schon einmal einen langwierigen Arbeitskampf zwischen Bahn und Lokführern. Damals drängte die Politik die Bahn hinter den Kulissen zu einem Abschluss, weil sie die wachsende Unruhe bei den Wählern fürchtete.

Kommen die Fußballfans am Wochenende in die Stadien?

Hunderttausende Fußballanhänger müssen nun umplanen. Ein Spieltag ohne S- und Regionalbahn hat Auswirkungen – für die Bundespolizei, die Verkehrszentralen, vor allem aber für die Zuschauer. Auch auf der Geschäftsstelle von Hertha BSC stand das Telefon am Freitag nicht mehr still. „Der Sonderzug zum Auswärtsspiel bei Schalke 04 fährt“, hieß es dort. Der soll am Sonnabend viele hundert Fans ab 9.24 Uhr ab Lichtenberg direkt zum Gegner nach Gelsenkirchen bringen, Ankunft 15.59 Uhr. Ausgebucht war der Zug am Freitag noch nicht. Die Bahn ist indes zurückhaltender als der Verein: Die An- und Abreise der Fans zu den Stadien könne durch die DB „nicht sichergestellt werden“.

Insgesamt sieben Spiele stehen am Sonnabend in der Bundesliga an, rund 300 000 Zuschauer werden vermutlich in die Stadien kommen. 5000 Anhänger von Borussia Mönchengladbach werden etwa beim Auswärtsspiel in Hannover erwartet. Wie bei den Berlinern soll auch der Gladbacher Sonderzug fahren – das wird aber wohl nicht reichen. Wer sichergehen wolle, solle auf Busse oder Pkw umsteigen, sagte Mönchengladbachs Fanbeauftragter Jan Ruoff. Noch ärger trifft es die Fans von Borussia Dortmund, die mit Regionalzügen und S-Bahn zum Spiel nach Köln gegen den FC reisen wollen. Beim BVB dachte man über alternative Reisemöglichkeiten nach, etwa die Organisation von Mitfahrgelegenheiten im Auto.

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