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Roman Reigns bei seinem Paradeschlag, dem "Superman punch".
© AFP

Wrestling in der Krise: WWE: Ein Ring, sie zu knechten

Miese Kämpfe, Skandale, Langeweile: Die Pseudosportart Wrestling steckt in einer Existenzkrise. Bei "Wrestlemania", der Veranstaltung des Jahres, droht die nächste Blamage.

Es wird an diesem Sonntagabend einen bösen Unfall geben im ausverkauften Stadion von Arlington, Texas. Und das, bevor überhaupt die Ringglocke läutet. Opfer wird der zottelige, großflächig tätowierte Hüne mit dem Kampfnamen Roman Reigns sein. Der gilt eigentlich als nächster großer Superstar, als designierter Retter seiner Zunft und als einer, der seit mehr als einem Jahr systematisch zum Publikumsliebling aufgebaut wird. Dieser extrem muskulöse Roman Reigns also wird schon beim Einmarsch ins Stadion vom Gros der 100 000 Zuschauer ausgebuht werden. Vermutlich so laut, dass die Techniker in der Regie Mikrofone runterregeln müssen, damit die Rufe im Fernsehen weniger deutlich zu hören sind. Das weiß man, weil es in den vergangenen Wochen mehrfach genau so passiert ist. Und bei „Wrestlemania“, der wichtigsten Veranstaltung des Jahres, werden die Fans besonders trotzig und wütend sein. Dabei ist ihnen Roman Reigns nicht mal unsympathisch. Sie wollen sich bloß nicht mehr vorschreiben lassen, wen sie verehren und wen verachten sollen. US-Medien sprechen von einer „Fan-Rebellion“.

Die Unbeliebtheit des Solltegern-Stars Roman Reigns ist Symptom einer großen Krise, die den Pseudosport Wrestling und seinen wichtigsten Verband „World Wrestling Entertainment“ (WWE) erfasst hat. Pseudo deshalb, weil es sich eben um keine echte Sportart handelt. Alles ist inszeniert: die Freund- oder Feindschaften zwischen den Athleten, die Verläufe der Kämpfe, auch die Resultate. Sollte Roman Reigns am Sonntag im Hauptkampf des Abends seinen Gegner Hunter Hearst Helmsley auf die Matte schicken und somit Schwergewichtsweltmeister werden, dann geschieht dies nur deshalb, weil sich das Kreativteam der WWE – vergleichbar mit einer Gruppe von Drehbuchautoren einer Seifenoper – vorab für diese Variante entschieden hat.

Auch die Ringrichter sind beim Wrestling traditionell eingeweiht. Das Publikum dagegen nicht. Dem spielte man jahrzehntelang vor, hier werde ein ehrlicher Wettbewerb ausgetragen. Dass dabei etwas faul ist, konnten auch die Fernsehzuschauer immer schon ahnen – wie viel, musste jeder selbst entscheiden. In der Öffentlichkeit dementierten die Wrestler Betrugsvorwürfe empört. Einem Reporter, der es wagte zu behaupten, die Kämpfe seien nicht echt, schlug der Bösewicht Psycho Sid derart hart ins Gesicht, dass der Journalist zu Boden stürzte. Dann fragte Psycho Sid: „Was bitte soll hieran nicht echt sein?“

Hier wird Randy Orton von Bösewicht Sheamus traktiert.
Hier wird Randy Orton von Bösewicht Sheamus traktiert.
© AFP

Mit dieser Mischung aus behauptetem Sport und tatsächlicher Show wurde Wrestling zu einem Geschäft mit Milliardenumsätzen. Bis das Internet kam. Fans luden ihre eigenen Mitschnitte von Veranstaltungen hoch, auf denen das Ringgeschehen aus ungünstigen, verräterischen Blickwinkeln zu sehen war, manchmal auch in Zeitlupe. Plötzlich konnte jeder sehen, wie dreist und allumfassend beim Wrestling gemauschelt wird. Wie die Kämpfer absichtlich knapp am Kopf des Gegners vorbeizielen, wie sie im Moment des Schlages kräftig mit einem Fuß auf den Ringboden stampfen, damit es lauter knallt. Auch wie der Schiedsrichter beim Schummeln aktiv beteiligt ist. In passenden Momenten steckt er den Kämpfern Rasierklingen zu, damit die sich heimlich in die Stirn ritzen und dann stark bluten. Korrekt ausgeführt heilt die Wunde narbenfrei.

Bald gab es tausende solcher Beweisvideos und Foreneinträge, in denen sich Wrestlingfans gegenseitig die Tricks der Branche verrieten. Der Verband musste reagieren. Schließlich rang sich der Präsident zu einer Fernsehansprache durch. In der gab er zu, man biete zwar „Sports Entertainment“, die Betonung dabei liege jedoch auf „Entertainment“. Und dass man die Intelligenz der Zuschauer künftig nicht weiter beleidigen wolle.

Der Tod einer halben Wrestler-Generation

Roman Reigns (rechts) soll der nächste große Superstar sein. Viele Fans lehnen das ab.
Roman Reigns (rechts) soll der nächste große Superstar sein. Viele Fans lehnen das vehement ab.
© AFP

Ein zweiter Grund für die Krise des Wrestlings ist die extreme Häufung von Todesfällen. Die meisten davon sind Spätfolgen von intensivem Anabolika-Missbrauch. In der langen Liste der Frühverstorbenen finden sich einige der beliebtesten Wrestler überhaupt: British Bulldog, Mr. Perfect, Macho Man, Ultimate Warrior, Andre The Giant, Bam Bam Bigelow ... Das ist in etwa so, als wäre die Hälfte der deutschen Fußballnationalmannschaft aus dem Jahr 1990 heute bereits tot.

Der berühmteste Wrestler aller Zeiten, Hulk Hogan, hat zwar ebenfalls exzessiven Anabolika-Konsum eingestanden, blieb von den Spätfolgen aber bisher verschont. Die WWE will ihn trotzdem nicht mehr einsetzen. Seit 2015 rassistische Kommentare von ihm öffentlich wurden, gilt er als Persona non grata. Finanziell wird Hogan seine Verbannung verkraften. Soeben sprach ihm ein US-Gericht 115 Millionen Dollar zu, weil im Internet ein illegales Sexvideo verbreitet wurde, in dem er die Hauptrolle spielt.

Von den heute noch aktiven Athleten sind ausgerechnet die beliebtesten derzeit verletzt und werden bei „Wrestlemania“ fehlen. Denn zumindest dies ist im Wrestling echt: Obwohl sich die Kämpfer Mühe geben, sich gegenseitig nicht wirklich wehzutun, kommt es bei den spektakulären Sprüngen, Stürzen und Über-Kopf-Würfen immer wieder zu Unfällen. Der 34-jährige Superstar Daniel Bryan verkündete im Februar sein Karriere-Ende, weil ihn Ärzte nach einer schweren Gehirnerschütterung vor weiteren Kämpfen warnten.

Brock Lesnar (links) brach ein Interview ab, in dem er nach Anabolika-Konsum befragt wurde.
Brock Lesnar (links) brach ein Interview ab, in dem er nach Anabolika-Konsum befragt wurde.
© AFP

Drei andere Wrestler haben bereits in ihrem Testament verfügt, dass ihre Gehirne postum zu Forschungszwecken untersucht werden dürfen. Bei einem weiteren ehemaligen WWE-Star, der 2007 im Wahn erst seine Familie und dann sich selbst tötete, wurden bei der Obduktion Hirnschäden entdeckt, die denen eines 85-jährigen Alzheimerkranken entsprachen.

Um die akute Lücke im Programm von „Wrestlemania“ zu füllen, wollte der Veranstalter den prominenten Wrestler Dwayne „The Rock“ Johnson engagieren. Der ist inzwischen Hollywood-Schauspieler („Fast & Furious“, „Die Mumie kehrt zurück“). Das Problem ist, dass Dwayne Johnson gerade einen neuen Kinofilm dreht. Seine Versicherung würde nicht zahlen, wenn er sich bei „Wrestlemania“ verletzte und somit die Dreharbeiten unterbrochen werden müssten. Also darf Johnson nur neben dem Ring stehen und maximal ein paar andere Wrestler beleidigen, keinesfalls aber selbst ins Kampfgeschehen eingreifen.

Ein anderer Teilzeitwrestler, der Undertaker, ist mittlerweile 51 Jahre alt und könnte, so jedenfalls ein Gerücht, nach Wrestlemania freiwillig in Rente gehen - was einen weiteren Rückschlag für die WWE bedeuten würde. Dafür möchte Tim Wiese, der ehemalige deutsche Fußball-Nationaltorwart, gern in den Zirkus einsteigen. Er hat sich monatelang im Fitnessstudio gequält und sieht inzwischen aus wie die Meister-Proper-Version seiner selbst. Doch die Vertragsverhandlungen stocken. Es heißt, es geht ums Geld.

Neben der Personalknappheit sind auch die schwachen Storylines schuld an der Krise. Also die Handlungsbögen, die erklären sollen, warum der erste Wrestler den zweiten nicht mag und sich mit dem dritten verbündet, um den vierten auszuschalten. Die Geschichten wiederholen sich, originelle Drehs fehlen. Abwechslung brächte, wenn sich der (derzeit verletzte) Superstar John Cena vom Helden zum Bösewicht wandelte. Das fordern die Fans seit Jahren. Die WWE lehnt das ab. Angeblich fürchtet sie den Einbruch von John-Cena-Souvenirverkäufen.

Roman Reigns, der von Buhrufen geplagte Hoffnungsträger, hat sich kurz vor „Wrestlemania“ öffentlich zu den Anfeindungen gegen ihn geäußert. Er sagt, er werde doch hauptsächlich von 30-jährigen Männern ausgebuht, nicht aber von Kindern oder Jugendlichen. Und wer mit 30 noch zu Wrestlingshows gehe, sei sowieso ein spezieller Fall.

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