Impfallianz Gavi: "Wir investieren nicht nur in Impfstoffe"
Die globale Impfallianz Gavi war sehr erfolgreich darin, Impfstoffe in Entwicklungsländern zum Einsatz zu bringen. Aber hat das auch die Gesundheitssysteme gestärkt? Ein Gespräch mit Gavi-Chef Seth Berkley.
Die Massenimmunisierung von Kindern ist ein effektiver Weg, um Leben zu retten. Die Impfallianz Gavi hat einiges getan, um diese Strategie in Entwicklungsländern zum Erfolg zu machen. Aber hat dieser Ansatz von oben auch dazu geführt, dass dort die Gesundheitssysteme gestärkt worden sind? Ich frage wegen der Erfahrungen mit der Ebola-Krise in Westafrika.
Das ist ein schwieriges Feld, aber die richtige Frage. Und die Antwort ist: Ja! Es gibt zwar eine ganze entwicklungspolitische Schule, die fordert, vor allem in die Systeme zu investieren. Aber das ist schwer messbar. Und mein Eindruck ist: Es funktioniert nicht besonders gut. Gavi investiert nicht nur in Impfstoffe sondern auch 15 bis 20 Prozent der Investitionssumme in die Gesundheitssysteme. In den westafrikanischen Ländern Liberia, Sierra Leone und Guinea hat Gavi 53 Millionen Dollar in die Gesundheitssysteme investiert. Aber sie waren nicht widerstandsfähig genug und brachen zusammen. Und sie hatten keinerlei Erfahrung mit Ebola. Uganda hat vier Ebola-Ausbrüche erlebt, und war in der Lage, ein System aufzubauen, wie die Krankheit kontrolliert und in den Griff zu bekommen ist. Auch das ist ein sehr armes Land und es gab keine Finanzierung von außen dafür.
Die Ebola-Ausbrüche in Uganda und in der Demokratischen Republik Kongo haben sich alle in sehr abgelegenen, ländlichen Gebieten abgespielt. Glauben Sie, Uganda hätte Ebola in der Hauptstadt Kampala auch bewältigen können?
Ich denke schon. Wenn man die Krankheit schnell entdeckt, ist es egal, wo der Ausbruch stattfindet. Wichtig ist es, die Fähigkeit zu haben, entschlossen und schnell einzugreifen und die Kontakte der Kranken zu verfolgen. Das ist keine Garantie. Man kann immer jemanden übersehen, oder jemand wird nicht gefunden. Aber Nigeria war auch erfolgreich. In Nigeria ist ein Polio-Überwachungssystem aufgebaut worden, ebenfalls ein vertikales System von oben nach unten, das für das Ebola-Notfallmanagement genutzt werden konnte. Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass von allen Handlungsmöglichkeiten von außen die Immunisierung die Intervention ist, die mehr Kinder erreicht als jede andere. Sie ermöglicht es, in Regionen tätig zu werden, die schwer erreichbar sind, die gefährlich, umstritten oder sogar stigmatisiert sind. In gewisser Weise ist die Impfung die Basis der Pyramide. Durch die Investition in Impfungen gibt es Gesundheitshelfer in Dörfern und örtliche Gesundheitsstationen. Nicht immer können solche Gesundheitsposten auch andere Leistungen als eine Impfung anbieten. Aber es gibt einen Kontakt zum Gesundheitspersonal. Es ist der Ort, wo Eltern auch andere Fragen stellen. Es kann der erste Schritt für den Aufbau eines Gesundheitssystems sein. Dabei hat Gavi kein eigenes Personal vor Ort. Nicht einen. Wir arbeiten daran, die Länder, in denen wir investieren, in die Lage zu versetzen, ihr eigenes System aufzubauen. Wir arbeiten mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Unicef, und mit anderen Organisationen zusammen, um technische Hilfestellungen zu geben. Aber es geht um die Arbeit der Länder selbst. Die weltweiten Impfraten steigen. Außerdem steigt die Fähigkeit, Gesundheitssysteme oder Versorgungsketten zu managen. Dabei hat Deutschland übrigens viel geholfen. All diese Strukturen können dann auch für andere Zwecke genutzt werden.
"Wir versuchen Gesundheitssysteme zu stärken"
Gavi nutzt meisten schon existierende Gesundheitsstrukturen, muss manchmal aber auch in den Ausbau investieren. Wie oft kommt das vor?
Immer dann, wenn man etwas Ungewöhnliches vorhat. Wenn man heranwachsende Mädchen erreichen will, gibt es dafür kein System. Wenn es nur darum geht, einen Impfstoff gegen Lungenentzündung in ein bestehendes Immunisierungsprogramm für Kinder einzubringen, kann die existierende Struktur genutzt werden. Wir versuchen aber immer solche Veränderungen in die ohnehin geplanten Gesundheitsbudgets der Länder einzupassen. Langfristig geht es uns schon darum, die Gesundheitssysteme so zu stärken, damit sie in Zukunft auch in der Lage sind, eine Ebola-Impfung einzusetzen, wenn sie gebraucht wird.
Wie arbeiten Sie konkret mit den Ländern zusammen?
Nehmen wir zum Beispiel Kenia. Kenia möchte Mädchen gegen das Humane Papillom Virus (HPV) impfen. Zunächst haben unsere Partner gesagt: Wir haben ein gutes System und brauchen kein Demonstrationsprojekt. Wir wissen, was wir tun. Aber dann stellte sich heraus, dass sie nicht wussten, wie viele Mädchen zur Schule gehen, und auch nicht, wie sie die Mädchen in den Schulen erreichen können. Im Demonstrationsprojekt haben sie genau das herausgefunden. Das ist eine Lektion, die wir auch in andere Partnerschaften mitnehmen werden. Gebärmutterhalskrebs ist eine der häufigsten Todesursachen von Frauen weltweit.
In welchem Alter sollen die Mädchen geimpft werden?
Im Altern von neu bis zehn Jahren. An einigen Orten ist es zwar noch etwas früh für Sexualaufklärung. Aber der frühe Impfzeitpunkt hat damit zu tun, dass die Mädchen schon früh sexuelle Erfahrungen machen. Informationen wie die über eine gesunde Schwangerschaft über wichtige Hygieneregel und Sanitärversorgung, oder auch Themen wie Gewalt gegen Frauen gehören an vielen Orten zum Aufklärungsprogramm rund um die HPV-Impfung.
Wie plausibel sind die Daten zum Gebärmutterhalskrebs? Sind die Zahlen so hoch, weil es der einzige Krebs ist, der in Entwicklungsländern auch erkannt wird? Oder sind die Zahlen so hoch, weil die Krankheit so weit verbreitet ist?
Die Zahlen sind relativ valide. Es gibt Regionen, in denen Autopsien vorgenommen werden. Aus diesen Daten werden die Zahlen dann für Regionen hochgerechnet, die nicht über eigene Daten verfügen. Und warum ist Gebärmutterhalskrebs in Afrika ein so großes Problem? Das hat unter anderem mit der HIV-Epidemie zu tun. Das Virus erhöht das Ansteckungsrisiko mit HPV und das Risiko, den Krebs zu entwickeln, steigt mit einem geschwächten Immunsystem. Die Verbreitung des HPV-Virus hat auch mit der sexuellen Revolution zu tun. Und es gibt keine Krebsvorsorgeuntersuchungen. Die meisten Frauen in Entwicklungsländern erleben nie in ihrem Leben einen Gesundheits-Check. Wer den Krebs im Frühstadium hat, wird nicht diagnostiziert, und wenn die Krankheit ausbricht, gibt es keine Behandlung. 90 Prozent der Krebstoten lebten in Entwicklungsländern. Das ist schrecklich. Aber diese Impfung funktioniert und kann heute schon Leben retten.
Spritzen sind ein "gutes Beispiel für Katastrophen"
Ein Impfproblem sind Spritzen. Wie gehen Sie mit den weit verbreiteten Hygiene-Problemen um? Und werden Einmal-Spritzen tatsächlich nur einmal benutzt?
Das ist eine gute Frage. Es war ein großes Problem, und es gibt gute Beispiele für Katastrophen. Ein Beispiel ist Hepathitis in Ägypten. Dort liegt die Infektionsrate bei fünf bis sieben Prozent, weil das Gesundheitsministeriums in den 1960er und 1970er Jahren die Schistosomiasis oder Biharziose mit infizierten Nadeln bekämpft hat. Gavi hat zwei Dinge getan. Zum einen sind die Impfdosen untrennbar mit den Spritzen verbunden. Und zum anderen gehen die Spritzen bei der Benutzung kaputt. Es ist schwer, sie einfach wieder zu verwenden. Diese Spritzen sind in allen 73 Gavi-Partnerländern im Einsatz. Die Hygiene bei der Injektion hat eine hohe Priorität. Vor allem in Afrika gelten Spritzen als das Mittel der Wahl. Das hat sicher auch damit zu tun, dass es einige "Wunder-Gesundheitskampagnen" gegeben hat. Gegen eine Variante der Syphilis, die schreckliche Hautmissbildungen auslöst, gibt es ein Mittel, das nur einmal gespritzt wird. Und wie durch ein Wunder verschwindet das Problem sehr schnell. Deshalb denken viele Afrikaner, Spritzen seine eine starke Medizin und alles andere taugt nichts.
"Es gibt eine Auseinandersetzung um die Cholera-Impfung"
Was denken Sie über Cholera-Impfungen? Vor kurzem ist ein Impfstoff im Südsudan eingesetzt worden, in Haiti wird über den Einsatz diskutiert.
Das gehört nicht zu den Topthemen bei Gavi. Denn es gibt viele Regionen mit einer endemischen Cholera, das geht von Louisiana in den USA bis zu vielen Regionen in Afrika. Bei Gavi ist das keine große Debatte. Aber es gibt unter Gesundheitsexperten eine Auseinandersetzung um die Cholera-Impfung, ob der Einsatz von Impfstoffen womöglich Fortschritte bei der Sanitärversorgung verhindert. Und das ist, worum es bei Cholera geht. Es ist ein harter Kampf, und aus meiner Sicht ein dummer. Natürlich sind die langfristigen Lösungen das, was man erreichen will. Aber in einer akuten Epidemie möchte man trotzdem auch das einsetzen, was man hat. Der zweite Teil der Auseinandersetzung dreht sich um die Frage, wie man mit endemischer Cholera umgeht. Impft man nur das das Gesundheitspersonal? Macht man Ring-Immunisierungen? Oder sollen alle geimpft werden? Wir wissen darauf noch keine Antwort. Deshalb hoffen wir darauf, dass die Begleitstudien in Haiti, wo die Cholera von einer Epidemie zur endemischen Krankheit wurde, Aufschluss geben werden.