Ost gegen West: Wie Stasioffiziere in einem Berliner Anglerverein weiterwirken
Jetzt ist Deutschland wirklich wiedervereint: Nach langem Kampf haben sich Anglerverbände in Ost und West zusammengetan. Wir dokumentieren aus diesem Anlass eine Reportage des Tagesspiegel-Reporters Jürgen Schreiber von 2003, wie die Stasi als Anglerverein weitermacht.
Stumm wie ein Fisch steht Ralf Schindler unter einer Trauerweide am Obersee. Als gelte für den ehemaligen Stasi-Major weiter Verschwiegenheitspflicht, verrät er nur zögerlich, was Mielkes „Sektion Angeln“ in dem Gewässer fing: „Barsch, Aal, Giebel, Rotfeder, Gründlinge, die gute alte Plötze.“ 17 Zander habe man in den 80ern eingesetzt. Nach der Wende benannten sich die Petrijünger der SG Dynamo flugs in die unverfänglichen „Angelfreunde, Ortsgruppe 1, Hohenschönhausen“ um.
Der 67-jährige Schindler trägt eine verspiegelte Sonnenbrille, beantwortet Fragen gern mit knappem „wees ick nich“. Im Verein ist er für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Auf Nachfrage fällt ihm wenigstens ein, ihr langjähriger Boss Helmut Petzold – dessen Dienstrang Oberstleutnant „spielte bei uns keine Rolle“ – habe am Obersee einen Rekordhecht von einem Meter 24 erwischt, zwölf bis 16 Kilo schwer, die übliche Runde ausgegeben und den Kopf präpariert. Schindlers dickster Fisch war ein 42 Zentimeter langer Karpfen von zweieinhalb Kilo. Wer ihr Bester gewesen sei? Friedrich Patt, berichtet er und lächelt, so gut er kann, Offizier in Mielkes Protokoll-Abteilung X. Er selbst verdingte sich bei der „Agitation“ und fabrizierte Propagandafilme. Seine Angel-Sektion, die laut Statuten in „tiefer Verbundenheit zu unserem sozialistischen Vaterland“ und in „Anwendung der Leninschen Methode der Kritik und Selbstkritik“ die Rute auswarf, hatte nach den Worten des Ex-Majors 800 Mitglieder, 700 davon MfSler. „Warum wollen Sie det allet wissen?“
Weil die Stasi in der Idylle ziemlich lange im Trüben fischte. Ihr Vereinsheim, „unser Objekt in der Oberseestraße 64“, bauten sie auf widerrechtlich besetztem Gelände. Ein Federstrich genügte im SED-Staat, schon stand „Eigentum des Volkes, Rechts- träger: Ministerium für Staatssicherheit“ im Grundbuch. Nicht anders lief es bei den Nummern 66 und 68, auch sie gehörten in Wahrheit der Berliner Familie Starke. Wie Mielkes Truppe mit ihr umsprang, war um den 37812 Quadratmeter großen Teich herum ein flächendeckender Vorgang: Unter Zwang und Drohung wurden angestammten Besitzern systematisch Parzellen zu lächerlichen Preisen abgepresst, andere in geheimer Kommandosache einfach auf das MfS umgeschrieben. Familie Starke erstritt sich in zehnjährigem Häuserkampf die Flächen zurück. Der Angler-Schaukasten verschwand über die Jahre unter einer blühenden Spierenhecke.
In seinem Kreuzberger Büro beschäftigen den Erben Christiano Starke – Vorsitzender der „Interessengemeinschaft der rechtmäßigen Grundstückseigentümer in Berlin-Hohenschönhausen“ – die Stasi-Machenschaften weiter. Nach der Wende wurde er zum Enteignungs-Experten. Anfangs war der Tischler für den juristischen Streit um seine 2925 Quadratmeter Uferstreifen mit nicht mehr gerüstet als dem Willen, „dass die Mutti und ich die Sache einfach nicht aufgeben wollten“. Er hatte am Ende der DDR die Illusion, „wir ziehen sofort nach Hohenschönhausen“. Ein klarer Fall von denkste.
Seine Geschichte ist eine labyrinthische deutsch-deutsche Geschichte; Der Fall katapultierte ihn durch Raum, Zeit und politische Systeme. Der Kampf um die Rückgabe des Familienbesitzes war „der schlimmste Abschnitt in meinem Leben“, genau betrachtet so schlimm wie der Verlust. Es beginnt damit, dass seine Großmutter Martha Haussmann am 1. Oktober 1945 laut Befehl der Roten Armee ihr Haus binnen 15 Minuten räumen musste, „sie durfte nur mitnehmen, was sie allein tragen konnte“, berichtet der Enkel. Besatzer fielen über sie her. Die Russen machten den Obersee zum Sperrgebiet, zogen in die Villen ein. „Omi hat den Verlust nie überwunden.“ 1956 nahm sie sich das Leben.
Das Tarnwort
Es ist das Jahr, in dem Christiano mit seinen vor Hitler nach Brasilien geflohenen Eltern nach Berlin zurückkommt. Die Haussmann-Oma harrte bis dahin aus, sie wollte die Tochter Ingeborg noch einmal sehen. Zu der Zeit hatte sich bereits der damalige Stasi-Chef Ernst Wollweber in ihrem noblen Anwesen mit Turmerker breit gemacht. Äpfel und Aprikosen wachsen, Heckenröschen geben dem Besitz etwas Verwunschenes. Es ist auch die Zeit, in der Christianos Mutter ab und an aus Wilmersdorf rüberfährt. Unter Androhung von Gewalt wird sie am Betreten der Adresse gehindert, in der sie aufwuchs. Nach Wollwebers Wegzug funktionierte die Stasi das Ganze zum „Gästehaus“ um.
Dachte Starke in West-Berlin an das nahe und doch ferne Hohenschönhausen, dann stets in der Überzeugung, „die DDR würde es ewig geben“. Genauso ewig wie ihnen Recht und Eigentum vorenthalten bleiben werde. 1958 trugen die Kommunisten zwar die Immobilien auf seine Mutter im Grundbuch Nieder-Barnim ein, Flurstück 212-214, Band 22, Blatt 650, Band 23, Blatt 670, Band 44, Blatt 1279. Indes erfuhr die Familie aber bis 1990 mit keinem Wort, dass sie gleichwohl klammheimlich und entschädigungslos um ihren Besitz betrogen worden war. Durch so genannte „Inanspruchnahme“, ein Tarnwort für Enteignung, kassierte der „Magistrat von Berlin, Hauptstadt der DDR, Az.: 733/py“, am 1. September 1980 das Gelände am Weiher. „Zeitwert 38000 Mark“ steht gekritzelt auf dem gesiegelten Bescheid: „i.A. Müller, Tel. 242-3720“. Willige Helfer arrondierten für das im Hintergrund Regie führende MfS die Gegend. Eine Art Gartenstadt mit Sommerlinden, Erlen, Rotbuchen, locker besiedelt, nah beim Hauptquartier Normannenstraße.
In Top-Lage schuf sich die „Firma“ ihr eigenes Wandlitz. „Der Obersee war von den Tschekisten begehrt“, berichtet ein Ex-Obrist. Der nahe Orankesee mit Strandbad hingegen sei was für die Werktätigen gewesen. Im gutbürgerlichen Ambiente lebten Stasi-Großverdiener zu lächerlich geringen Kosten Tür an Tür. Eine „Mietvertragsergänzung“ für Mielkes Vize Werner Grossmann vom Juni 1989 weist aus, er habe sich in der repräsentativen Oberseestraße 6/8 Einbaumöbel für 4874,29 Mark montieren lassen. Das „Nutzungsentgelt“ dafür erhöhe die Monatsmiete um 24 Mark 37 auf 268 Mark 12.
Am Berliner Obersee hat sie einst reihenweise Haus und Grund enteignet
Im „grünen Versteck der Stasi-Bonzen“ („Super-Illu“) stand auf Türschildern statt des Namens oft nur „Untergeschoss“, „Obergeschoss“. Zufall oder Regie, auf ihrer Meile residierten höhere Chargen bevorzugt in geraden, niedrigere Dienstgrade in ungeraden Nummern, erzählt ein Kenner beim Rundgang und meint, „80 Prozent“ der Altkader seien bestimmt geblieben. „Warum sollen die weg? So wat finden die nie wieder.“ Im Laufe der Zeit setzte sich damit gleichsam Unrecht ins Recht. Beispielhaft lasse sich die Pfründewirtschaft auf den 1295 Straßenmetern durchmessen. Misstrauische Blicke verfolgen dort Fremde, ein Empfinden wie im Feindesland. Wer wissen will, ob die Stasi lebt, sie tut es. Nur stehen die Schattenkrieger nicht mehr in Fünferreihen gestaffelt am Tresen der „Gebrüder Franke“ (heute „Efinger“), zum Sturztrunk.
Außer „dem großen Grossmann“ wohnten die Mielke-Stellvertreter Gerhard Neiber (samt Adlatus), Rudi Mittig und Generalleutnant Alfred Scholz im Karree, ebenso Oberst Ralf-Peter Devaux, laut MfSHandbuch zuständig für die „Aufklärung des Staatsapparats der BRD“. Sein Klingelschild in seltsam altdeutscher Schrift ist noch da. Mielkes Sohn Frank kam im Viertel unter, Stasi-Knastchef Siegfried Rataizick und MfS-Finanzchef Werner Hennig, um nur wenige der leitenden Juristen, Auswerter, Waffenhändler, Spionageexperten, Schnüffler und Zuständigen für „Republikflüchtige“ zu nennen, die dort exklusiv und unbehelligt siedelten. Morgens rumpelten Ikarus-Busse übers Kopfsteinpflaster von „Stasihausen“, der „Sachsen-Express“ sammelte die Truppe zur Fahrt in die Zentrale ein. Chauffeure holten die gleich im Dutzend versammelte Generalität ab. Hätte die ihr Lametta getragen, es hätte in der Oberseestraße golden geblitzt.
Unter den MfS-Promis fehlte auch Markus Wolf nicht. Nach Angaben seines ehemaligen Offiziers, des Buchautors Günter Bohn- sack, residierte er in der 40. Laut einem bei der Gauck-Behörde gefundenen Plan soll Grossmann unten, Wolf darüber gewohnt haben, wie es sich vom Rang her gehörte. Ein paar Häuser weiter, Manetstraße 6, stand Schalck-Golodkowskis Bungalow. Seit dem Machtverlust leben die Geheimen hinter maurischen Verzierungen, bleiverglasten Scheiben und Gardinchen gleichsam wie in Deckung. „Wohnte 007 am Obersee?“ fragt der Kunsthistoriker Hans-Michael Schulze bei Führungen da draußen.
Gleicher als gleich siedelten die Großkopfeten direkt am Wasser, verteidigten mit Klauen und Zähnen den Blick auf Bötchen und Park. Die Stasi duldete keinen Plebs neben sich und beharrte in „Nur für den Dienstgebrauch“ bestimmten Dokumenten darauf, dass die „Freigabe der nördlichen Uferzone zur öffentlichen Nutzung“ etwa für einen Fußpfad aus „sicherheitstechnischen Erfordernissen“ abgelehnt wurde. In der Tabuzone kassierte sie 16 der 17 attraktiven Seegrundstücke. Eine Geheimliste der „Verwaltung Rückwärtige Dienste“ druckte für Hohenschönhausen 150 ihrer „inoffiziellen Objekte“ aus, in der Oberseestraße sind es allein 33, oft von den Dunkelmännern für konspirative Treffen genutzt.
Ihr Oberstleutnant Günter Studt schlug 1976 höchst vertraulich mit „sozialistischem Gruß“ vor, „gemäß Verteidigungsgesetz“ im Gebiet 30 weitere Adressen „in Anspruch zu nehmen“ und „Volkseigentum herzustellen“; ein typischer Bedeutungsbetrug, es ging darum, das Volk fern zu halten. „Komplikationslos“, so Studt, solle man sich des „Verteidigungsgesetzes“ bedienen, „Rechte des Einspruches durch die betroffenen Eigentümer bestehen nicht“. Solche sind auch nicht zu erwarten, heißt es zynisch weiter, da die Eigentümer sich nicht um diese Grundstücke bemühten. Ihn wie neun weitere mit Enteignungen befasste Dienstgrade stöberte Starkes Verein in detektivischer Kleinarbeit auf. Studt erklärte, er wolle „damit nichts mehr zu tun haben“. Ein anderer Hauptmann rühmte sich, an einem einzigen Tag 100 Parzellen für ihre Zwecke umgewidmet zu haben. Zur „Wertermittlung“ kam der scheinbar unabhängige Sachverständige Herbert P., laut Kaderkartei in Wahrheit Stasi-Genosse.
Die kalte Pracht
Dass sie längst nicht mehr Herr im eigenen Haus waren, erfuhren die Starkes nie. Auf höfliche Anfragen nach ihrem Besitz beim Rathaus Pankow – „ich möchte mein Testament machen und wäre Ihnen für eine baldige Auskunft dankbar“ – kam von drüben am 26. Mai 1981 lediglich ein Sechszeiler des Inhalts: „Wir bitten daher, von weiteren Anfragen abzusehen.“ Die Antwort machte auch Sinn aus Sicht des MfS, Starkes Prachtbau war auf den Plänen längst ausradiert. Die Oberseestraße 62 bis 68 sollte für den „II. Abschnitt“ eines MfS-Neubau-Komplexes fallen, mit Kneipe und Pool zur „qualitativen Erhöhung der Gästebetreuung“: „gedeckte Zu- und Abfahrt“, „dekorative Außenbeleuchung mit Dämmerungsschalter“ waren projektiert, eine „Waffenkammer mit Stahltüre und Gitterfenster“ vorgesehen.
Eine Spurensicherung in der Kolonie der Dunkelmänner
Des weiteren ein Bootssteg aus Betonfertigteilen „analog“ zu dem der Sektion Angeln. Zuvor hatte Mielke die Nummern 36 bis 48 mit Zweigeschossern bebauen lassen, Grund und Boden der Falkenbergs, wird erzählt, einst Gastronomen im Roten Rathaus. Die Wohnungen wurden laut vertraulicher Anweisung „ausschließlich an hochrangige Stasi-Mitarbeiter“ vermietet.
Die heute 92 Jahre alte Ingeborg Starke hütet ihre Obersee-Dokumente in einer abgegriffenen Mappe. Sohn Christiano legt sie auf den Tisch und sagt, schon Omi Haussmann hätte der Prokuristin ihrer Weißenseer Spiralfederfabrik eingebleut, bei Bombenalarm alles stehen und liegen zu lassen, aber diesen Ordner unbedingt zu retten. Darin der Vertrag vom 9. September 1924 über das Areal 66: „Wie es steht und liegt“, ging es für 20000 Goldmark samt Holz- und Kohlevorräten sowie Gartengeräten an seine Großeltern. Unter den Schätzen eine hübsch kolorierte Skizze der Garage, „schließlich stand da ein Horch drin“, sowie der über 100 Jahre alte Plan des Gebiets, das besonders Aufsteiger des Industriezeitalters anzog.
In der Nachbarschaft wohnte der Fischhändler Wegener, „der den Matjes oder so wat einjeführt hat“, neben dem erfolgreich- en Darmhändler, der mit Wurstpelle reich wurde und Fleischfabrikant Vermander. Seine Oberseestraße 54/56, mit Fahnenmast und Lebensbaumhecke, verwandelte man in „Mielkes Gästehaus“, wegen des belgischen Sandsteins „kalte Pracht“ genannt. In der Oberseestraße 60 ließ sich der Drucker Lemke 1932 von Stararchitekt Mies van der Rohe einen sagenhaften Backstein-Bungalow bauen. Russen und MfS ruinierten den Kubus mit vereinten Kräften, machten daraus Garage und Wäschekammer, montierten die Schrankwand „Karat“, klebten Linoleum aufs Eichenholzparkett. Nach der Verwüstung blieb 1989 von den Spießern eine Hand voll Silberbesteck mit barockisierender Verzierung aus DDR-Produktion zurück.
Christiano Starke hat die Figur eines Gewichthebers und ordentlich Schmackes, um sich mit Stasi-Seilschaften, Treuhand, Ämtern und Gerichten anzulegen. In höchst merkwürdiger Koalition verbauten sie seiner Familie den Weg zum Eigentum lang genug. Gleich zur Wende stand er auf der Matte, lief sich die Hacken ab, redete sich einigermaßen unerschrocken mit Berliner Schnauze den Mund fusselig. Er schrieb der Angler-Sektion, Antwort kam nie. Starke suchte Verbündete, lud 160 Betroffene zum Mitmachen ein, „alle mit der gleichen Problematik“, von Grund und Boden verjagte Hausbesitzer.
Mutter Starke meldete mit seiner Hilfe ihre Ansprüche beim Magistrat der Stadt Berlin, beim Rat des Stadtbezirks Höhenschönhausen, im Rathaus Pankow, im Ministerium des Inneren sowie der Justiz an, hinterlegte die Forderung auf Grundstücks-Restitution beim DDR-Minister für Regionale Angelegenheiten, bei der Präsidentin der Volkskammer, beim Ministerrat. Bei Lothar de Maizière wurden sie vorstellig, beim Komitee zur Stasi-Auflösung. Selbst ein Kraftpaket wie Meister Starke trägt sich fast einen Bruch an der Tasche mit sieben Ordnern Obersee-Schriftverkehr: „Sie können alles lesen“, wenn’s nicht reiche, er habe weitere Akten.
Mit Eingaben beschäftigte er Rechts- und Petitionsausschuss des Bundestages. 118 juristisch versierte Abgeordnete überzog er mit eingeschriebenem Formbrief, ohne dass er das Gefühl gewonnen hätte, die Parlamentarier wüssten, was sich im Osten für Durchstechereien abgespielt haben und abspielen. „Ahnungslose, ignorante“, in seinen Augen zudem „peinlich dürftige Antworten“ musste er archivieren, von SPD-Klose bis CDU- Scholz. Dem Abgeordneten Thierse gab er erzürnt zurück, „um es freundlich auszudrücken“, seine Antwort sei „mehr als dürftig ausgefallen“. Starke klagte sich durch die Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht hoch. Drei Verfassungsbeschwerden wurden nicht angenommen. Auf dem langen Marsch ist er um 25000 Euro ärmer geworden, sein Vertrauen in den Rechtsstaat kleiner. „Ich fühlte mich wie in einer Bananenrepublik.“ Vom Staat, dem er brav Steuern zahle „und für den ich eingestanden bin“, fand er sich „hintergangen, allein gelassen, veräppelt. Das ist meine größte Enttäuschung.“ Als „die Mutti“ nach all den Niederlagen schließlich vom „Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen“ doch noch ihre Immobilien zurückerhielt, „waren wir völlig verdutzt“. Nun durfte er das Empfinden haben, endlich sei für die Seinen der Zweite Weltkrieg zu Ende, der ihnen das Ererbte nahm.
Das stille Wasser
Freilich verlängerte sich das von der Stasi geschaffene Unrecht um ein weiteres Jahrzehnt. Just als die Starkes hofften, nun ohne Komplikationen bei sich selbst einziehen zu können, schuf das Bezirksamt Hohenschönhausen neue Fakten. Kaum war die Staatssicherheit weg, hängte es 1991 das Schild „Musikschule“ an das Privathaus Nummer 66. Sie erfuhren davon aus der Zeitung. Das legalisierte die Enteignung gleichsam nachträglich, für öffentliche Einrichtungen galt keine Rückgabe. Den Starkes vermittelte das ein intensives Gefühl, die MfS-Praxis werde mit anderen, nur scheinbar demokratischen Mitteln fortgesetzt. Offiziell erging die nachweislich falsche Auskunft, Russen hätten die Grundbücher vernichtet, es sei unmöglich, die Eigentümer festzustellen, es habe sich niemand gemeldet.
Christiano Starke hätte nie geglaubt, sich jemals mit dem DDR-Verteidigungsgesetz herumschlagen zu müssen. Fadenscheinig bediente sich die Stasi nämlich der einschlägigen Paragrafen, um sich haufenweise Areale unter den Nagel zu reißen. Von Landesverteidigung konnte am Obersee allerdings nie die Rede sein, „weit ab von jeder Grenze“. In dem Fall sprach das Vermögensamt von eklatanter „unlauterer Machenschaft“ der Stasi, „ein redlicher Erwerb scheidet aus“, der Enteignungszweck sei „nur vorgeschoben“ gewesen, „um in Wahrheit zu gänzlich anderen Zwecken“ ans Grundstück zu kommen. Nur muss man fragen, warum es dann zehn Jahre dauerte, um ein, für den gesunden Menschenverstand, glasklares Unrecht aufzuheben. Andere Fälle hängen immer noch.
Der Obersee ist im neuen Deutschland zum „stehenden Gewässer II. Ordnung“ erklärt worden. Am Beispiel der Stasi-Angler kann man lernen, wie tief stille Wasser gründen.
Jürgen Schreiber