Süßwarenindustrie: Wie Naschen gesünder werden soll
Zu zuckrig, zu fett, zu salzig: Das Image der Süßwarenindustrie leidet. Doch sie reagiert - mit Alternativen zu bisherigen Naschereien.
Gestatten? „Wir sind die, die ein bisschen Freude in den Alltag bringen.“ Stephan Nießner, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI), sagt das mit der Routine eines gestandenen Verbandsführers, und seine Botschaft hat ja auch noch einen zweiten, wichtigeren Teil: „Zum Sattessen sind unsere Produkte aber nicht gedacht.“ Will sagen: Wer sich seine Gesundheit damit ruiniert, hat überdosiert. Die Süßwarenindustrie hat die nicht ganz unbegründete Sorge, dass ihre Produkte ähnlich wie früher die Zigarette auf dem Index gesundheitsbewegter Politiker landen, aber das ist nicht ihr einziges Problem.
Mindestens drei weitere nennt Nießner bei seiner Jahresbilanz an diesem Donnerstag in Berlin: Die Marktmacht der Handelskonzerne, gerade durch die Ministererlaubnis für Edeka/Tengelmann gestärkt; die steigenden Rohstoffpreise, die aktuell bei den Schokoladentafeln hart durchschlagen. Und auch der schwache Rubel macht Ärger, denn der Export nach Russland ist 2015 um 25 Prozent gesunken. Das sind die Zahlen insgesamt: Von Süßkram, Markeneis und Knabberartikeln – salzige eingeschlossen – verkauften die deutschen Industrieunternehmen im vergangenen Jahr 3,99 Millionen Tonnen im Wert von 12,58 Milliarden Euro. 49 Prozent gingen in den Export, überwiegend in die EU, aber auch in die Schweiz, nach Russland, die USA und Australien.
Jeder Deutsche verzehrt im Durchschnitt 32,5 Kilogramm davon, das sind weniger als fünf Prozent vom gesamten Lebensmittelverbrauch. Und: 50000 Menschen leben als Mitarbeiter der Industrie davon. Diese Zahlen haben sich seit 2005 kaum verändert. Die drei neuen biblischen Plagen der Ernährung – Fett, Zucker, Salz – lasten in unterschiedlicher Dosis allesamt auch auf dem Image der Süßwarenindustrie. Sie hat allerhand kampagnenstarke Verbraucherschützer im Nacken, will nun alles richtig machen und betont beispielsweise ihr Engagement für fair gehandelten Kakao.
Zuckerfreie Kaugummis und Bonbons
Was das Thema Übergewicht angeht, so liegt dem Pressematerial die Skizze eines Ursache-Wirkungs-Modells bei, das etwa so übersichtlich wie der Schaltplan einer Atombombe ist; wir nehmen die Botschaft mit, dass Dicke jedenfalls nicht deshalb dick sind, weil die Industrie Zucker in ihre Erzeugnisse steckt. Da allerdings fällt ein Stichwort, bei dem Nießner gemessen an seiner sonstigen Geschmeidigkeit doch ein wenig widerborstig wird: Reformulierung. Es steht für das Ansinnen der Politik, die Konzerne sollten gefälligst ihre alten Rezepte wegschmeißen und sich vom Gesetzgeber neue vorschreiben lassen, mit so wenig Zucker, Fett und Salz wie nur möglich. „Wir mögen den Begriff nicht so“, sagt er, „denn unsere Rezepte sind gut, wir können sie nicht reformulieren. Aber wir bieten gern Alternativen an.“
Solche Alternativen sind zum Teil schon lange erfolgreich, nämlich in Gestalt von zuckerfreien Kaugummis oder Bonbons. Aber alle anderen neuen Produkte, die unter Stichworten wie „glutenfrei“, „laktosefrei“ oder „vegan“ laufen, besetzen kleine Nischen ohne allzu große Zuwachsperspektiven. Der politische Trend, fürchtet Nießner, gehe in Richtung „populistischer, vermeintlich einfacher Lösungen“, zu denen er auch die viel diskutierte Nahrungsmittelampel zählt. Denn Nahrungsmittel seien nun einmal nicht per se schlecht oder gut, sondern es komme auf den Kontext an, und auch die drohende Einschränkung der Werbefreiheit, findet er, bringe nichts im Kampf gegen Übergewicht. Am Ende, sagt Nießner, sei aber „entscheidend, dass der Verbraucher es kauft“. Deshalb freut sich die Branche auch so auf die Fußball-Europameisterschaft. „Entscheidend ist hier, wie weit Deutschland kommt.“ Für Deutschland – und noch mehr für den Umsatz der Knabberartikelindustrie.
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