Matthies meint: Wie Erfurt Luthers Würde gerettet hat
Die Thüringer Arbeitsgemeinschaft "Kirche und Judentum" wollte auf die dunkle Seite von Martin Luther aufmerksam machen - und bekam von der Stadt Erfurt eine Abfuhr.
Wer eine ordentliche Religion stiften will, der darf nicht zimperlich sein. Denn wir müssen uns diesen Vorgang ja wie die Gründung eines Unternehmens vorstellen – und wer heute auf die Idee käme, sagen wir, Aldi und Lidl Umsatz wegzunehmen, Konkurrenz zu machen, der hat mit heftiger Gegenwehr zu rechnen. Deshalb haben viele Glaubenskämpfer ordentlich Ärger über ihre Umgebung gebracht; Mohammed war nicht zimperlich, und dem offenbar ungewöhnlich friedlichen Jesus folgten später die Kreuzritter, nun ja, schon ein wenig wie die IS-Leute, nur in Gegenrichtung und zeitbedingt ohne Internet und Bomben.
Martin Luther! Er war auch, sagen wir, durchsetzungsfähig. Mit zunehmendem theologischem Erfolg begann er, gegen die Juden zu hetzen, er schimpfte, geiferte, wünschte ihnen alle Übel der Welt an den Hals. Die Nazis mochten dieses Zeug; heute würde vermutlich sogar die NPD einige besonders kernige seiner Kernsätze komisch finden.
Nun ja, sagen seine Anhänger heute, das war damals eben so, das wusste man nicht besser, und heute sind wir doch durch den Holocaust auch besonders sensibilisiert, nicht wahr? Luther wollte, sagen sie, die religiöse Homogenität der Bevölkerung verteidigen, habe aber keine biologistische Rassenlehre wie die Nazis vertreten – und so weiter, eine endlose Debatte.
Aber wie auch immer: Sollte es nicht möglich sein, mit einer kleinen Aktion im Vorfeld des großen Reformatoren-Trubels auf das Problem hinzuweisen, zum Luther-Geburtstag am 10. November? Das Standbild in Erfurt für ein paar Stunden durch Anlegen einer goldenen Schärpe symbolisch erblinden lassen? Die Thüringer Arbeitsgemeinschaft "Kirche und Judentum" hat es versucht – und ist von der Stadt abgewiesen worden: Dies, so heißt es, wäre eine Verletzung der Würde Martin Luthers.
Ah ja. Es hätte schlimmer kommen können, denn in Deutschland gibt es in solchen Fällen ein Schreiben mit Stempel und Widerspruchsbelehrung und eben keine Fatwa mit erbost spontanen Riesendemonstrationen auf der halben Welt, das ist schon mal schön. Aber sollte die Würde Luthers nicht doch aushalten, dass man ihn mal mit der schwarzen Seite seiner Macht konfrontiert?
Vermutlich ist die Erfurter Stadtverwaltung auch gar nicht an Luthers Vergangenheit interessiert, sondern hat einfach keine Lust auf heikle Sachen gehabt, von denen sie nichts versteht. Die AG sollte die Augenbinde vielleicht kurz mal ums Rathaus wickeln.