Costa Concordia: Wie die Bewohner von Giglio die neuen Rettungsarbeiten sehen
Die Costa Concordia wurde vom Meeresboden gelöst und hebt sich Zentimeter für Zentimeter in die Höhe. Eindrücke von der Insel Giglio, die sich eigentlich an das Panorama mit dem Havaristen gewöhnt hat.
Es ist halb sieben Uhr morgens, da setzt sich ein sichtlich entspannter Franco Gabrielli auf die Granitklippen vor Giglio und schaut hinaus aufs Meer. Da sieht er, wie liebliche Wellen sich leise kräuseln, da spürt er ein leichtes, erfrischendes Lüftchen aufs Land zu wehen. Da sieht er auch das Riesenwrack, das da seit dem 13. Januar 2012 bewegungsunfähig vor der Insel liegt, Gabrielli lächelt, was selten genug vorkommt, und er sagt: „Das wird heute ein guter Tag.“
Franco Gabrielli ist Chef des Italienischen Katastrophenschutzes und oberster Regierungsbeauftragter für die Beseitigung der Costa Concordia. Und heute, an diesem Montag, beginnt die letzte Phase dieser am Ende wohl 1,5 Milliarden Euro teuren Aktion: Die dreißig haushohen Stahlcontainer, die das Wrack wie ein Schwimmreifen umgeben, die fast alle einsatzbereit unter dem Meeresspiegel liegen, aber noch voller Wasser sind, sollen mit Luft gefüllt werden. Dann werden sie, wenn die Berechnungen stimmen, dem 300 Meter langen und 60 Meter hohen Wrack so viel Auftrieb verleihen, dass es sich von seiner Unterlage hebt und schwimmend abgeschleppt werden kann.
Geregnet hat es in der Nacht, Gewitter waren gemeldet, bei Wind ab 15 Knoten und einer Wellenhöhe von zwei Metern hätten sie die Operation aufschieben müssen. Doch als sie sich um sechs Uhr morgens ans Werk machen, läuft alles nach Plan, „optimal sogar läuft es“, wird Gabrielli kurz vor Mittag den Journalisten sagen, die selber wenig sehen, weil die Hebung in Zentimeterschritten vor sich geht und Stunden dauert, und die angewiesen sind auf das, was Gabrielli aus dem Kontrollraum meldet.
Es knackt im Funkgerät bei der Pressekonferenz, eine Stimme krächzt: „staccata!“ Losgelöst hat sich der Schiffsrumpf von dem Stahlplateau und dem künstlichen Meeresboden aus Betonsäcken in 30 Metern Tiefe, auf dem das Wrack sturmfest ruht. Es ist halb zwölf Uhr an diesem Montag, exakt zweieinhalb Jahre und ein Tag nach der Havarie: Die Costa Concordia schwimmt wieder.
Gelöste Stimmung auf Giglio
Auf Giglio herrscht auch eine viel gelöstere Stimmung als im September vergangenen Jahres. Damals ging’s darum, das an den Klippen gestrandete und auf der Steuerbordseite liegende Wrack aufzurichten. Keiner auf der Welt hatte sich jemals an ein derart großes und schweres Unfallrelikt gemacht, und niemand wusste, ob der schwer beschädigte, im Meerwasser rostende Rumpf einen so massiven seitlichen Zug überhaupt aushalten würde, eine Belastung, für die kein Schiff gebaut ist.
Nach siebzehn Stunden Arbeit war’s dann doch geschafft, und der oberste Bergungsingenieur, der Südafrikaner Nick Sloane, erklärt, warum heute alle viel lockerer, viel gesprächsoffener, viel weniger nervös sind als damals: „Beim Aufrichten des Schiffes haben wir gemerkt, dass der Rumpf sehr stabil ist, und das hat uns genügend Zuversicht für den ganzen Rest gegeben.“
Gelassener sind auch die Gigliesi, die Bewohner der kleinen toskanischen Insel. Noch am Sonntag haben sie zusammen mit ein paar tausend Tagestouristen unmittelbar vor dem Wrack gebadet, ein schwimmendes Trampolin ist da im Meer installiert, daneben schwimmt eine quietschbunte Hüpf- und Rutschburg. Mittelmeer, Strand, Sommer aufs Allerbeste, wenngleich vor einmalig schräger Kulisse. An diesem Montag indes bleiben die Bade- und Fototouristen ausgesperrt, aus Sicherheitsgründen ist der Fährverkehr mit dem Festland während der Hebung der Costa Concordia unterbrochen: Das Wrack liegt ja genau neben der Hafeneinfahrt. „Die schaffen’s“, sagen beinahe alle, die man auf der Hafenmole oder der -promenade nach ihrer Meinung zur Schiffsbergung fragt. Im September waren sie noch entschieden zurückhaltender.
„Eine Woche noch“, sagt eine Oma zu ihrem Enkel, „dann haben wir unsere Ruhe“. Ist sie da so sicher? „Na ja, entweder sie kriegen die Costa Concordia abgeschleppt, oder die Hebung geht schief, dann versinkt sie im Meer. Auf jeden Fall ist sie weg.“ Zwei alte Gigliesi auf der Mole meinen: „So schrecklich das Wrack da anzusehen ist, wir werden es auch vermissen. Das gehört mittlerweile zu unserem Hafenpanorama, und vor allem abends war das so schön: Immer hell erleuchtet, immer kleine Barken mit Arbeitern und Material hin- und herfahrend, so wie Glühwürmchen ...“
Um zwei Meter wollen sie die Costa Concordia an diesem Montag anheben – nur ein erster, kleiner Schritt, glücklich geschafft ist er am frühen Nachmittag. Und sofort haben sie das nun tatsächlich wieder bewegliche Wrack dreißig Meter von der Küste weggezogen, um endlich genügend Platz zu haben, die letzten Schwimmreifen-Container auf der vorher versunkenen Landseite in die endgültige Position zu bringen. In sechs oder sieben weiteren Tagen dann soll das einstige Traumschiff um weitere zwölf Meter aus dem Meer aufsteigen, Deck für Deck. Das sind jedenfalls die Planungen des Bergungsteams um Nick Sloane und Franco Porcellacchia (60), den Ingenieur der Reederei Costa, der das Schiff seinerzeit entworfen hat.
Nick Sloane will auf dem Wrack der Costa Concordia reiten
Voraussichtlich am Montag nächster Woche bekommen dann die Schlepper zu tun. Fünf Tage lang wird die 370 Kilometer lange letzte Reise nach Genua dauern. Sie wird, wenn alles so eintritt wie vorgesehen, auch ein Triumph für Nick Sloane selbst. Der 53-Jährige, der schon für diesen Montag die beigen Container seines Regieraums ganz oben, auf dem allerhöchsten Deck der Costa Concordia platziert hat, will die ganze Fahrt über dort oben bleiben. Es ist sein Wrack, das will er reiten bis zuletzt. Und wo schläft er? In der Kabine des Unglückskapitäns Francesco Schettino vielleicht? Da lacht Sloane hell auf: „Nein, die ist zerstört.“
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