Geld, Sex und Liebe: Wie der Kapitalismus Gefühle und Beziehungen steuert
Die Soziologin Eva Illouz aus Jerusalem erklärt, wie die moderne Marktwirtschaft das Verhältnis zwischen Männern und Frauen verändert und warum es kein Zurück in die Vergangenheit geben kann.
Das Buch hat einen pinkfarbenen Einband, der Titel scheint vor Herzschmerz zu triefen: „Warum Liebe weh tut“. Nein, es ist kein neuer Roman von Rosamunde Pilcher, der jetzt an prominenter Stelle in den Buchhandlungen liegt. Und es ist auch kein Psycho-Ratgeber. Es ist das Werk einer ausgewiesenen Wissenschaftlerin. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Und sie ist der festen Überzeugung, dass die romantische Liebe ein Thema ist, das nicht den Psychologen allein überlassen werden sollte. Weil es vordringlich die Gesellschaft ist, die Beziehungserwartungen und den Umgang mit romantischen Gefühlen formt.
Eigentlich müssten moderne Männer und Frauen Liebeskummer weit besser wegstecken können als, sagen wir, Romanheldinnen wie Madame Bovary oder Dramengestalten wie Othello. „Moderne Individuen sind unendlich besser ausgerüstet als Menschen je zuvor, um mit der wiederholten Erfahrung des Verlassenwerdens, Betrogenwerdens oder einer Trennung zurechtzukommen“, sagt Eva Illouz. Schließlich sind sie mit größerer Wahrscheinlichkeit wirtschaftlich unabhängig von ihren Partnern, haben das Ideal der Autonomie verinnerlicht, wissen, dass Beziehungen immer wieder scheitern und reagieren darauf mit einer vorsichtigen, leicht distanzierten und ironischen Grundhaltung.
Dass das Unglück in der Liebe heute größer sei als in früheren Jahrhunderten, will Illouz denn auch nicht behaupten. Wohl aber, dass es heute andere Grundlagen hat und andere Formen annimmt. Und dass weder Psychologie noch Biologie einen Alleinvertretungsanspruch geltend machen können, wenn es gilt, den modernen Liebeskummer zu erklären. Das Vorbild der Soziologin ist stattdessen kein anderer als Karl Marx. Sie möchte mit der romantischen Liebe das machen, was der Verfasser des „Kapitals“ mit den Waren gemacht hat: „Zeigen, dass sie von den gesellschaftlichen Verhältnissen geformt ist.“ Aus soziologischer Sicht kann man zum Beispiel nicht daran vorbei, dass sich die Auswahl möglicher Beziehungspartner durch den Wegfall sozialer und geografischer Schranken, nicht zuletzt aber auch durch die Online-Kontaktbörsen immens vergrößert hat. Auch die Qual der Wahl kann dadurch allerdings andere Dimensionen annehmen. Ist er, ist sie, wirklich der/die Beste, Schönste, Klügste? Oder könnte ich nicht noch jemanden finden, der besser ist – oder zumindest besser zu mir passt? Mit dem ich dieses eine, begrenzte Leben wirklich teilen will? „Das Internet arrangiert die Auswahl wie auf einem Büfett und lädt zu Formen von Wahl ein, die aus der ökonomischen Sphäre abgeleitet sind“, behauptet Illouz. Das aber heißt: Während ich als suchender Single meine Blicke kritisch über die Auslagen streifen lasse, liege ich gleichzeitig selbst auf dem Präsentierteller – als Ware, die nach Interessenten sucht und sich dem systematischen Vergleich der Angebote stellen muss.
Attraktiv und begehrt zu sein, wird damit zum Fundament eines stabilen Selbstbewusstseins. Nie zuvor in der Geschichte hätten Menschen so stark die Anerkennung der anderen gebraucht, um sich wertvoll zu fühlen, meint Illouz. Ich bin begehrenswert, also bin ich.
Das Gegenstück zum Bedürfnis nach Anerkennung und der Suche nach Bestätigung in erotischen und sexuellen Beziehungen bildet allerdings der hohe Stellenwert, den heute Selbstständigkeit, Autonomie und Selbstverwirklichung genießen. „Morgen könnte ich jemand anderes sein, der ich heute nicht bin“, formuliert Illouz. Wie kann ich unter diesen Umständen Treue versprechen? Weil die einzigartige Subjektivität des Einzelnen und sein freier Wille als Quelle der Gefühle gelten, wird es schwierig, vom anderen ein Versprechen zu erwarten, das weit in die Zukunft reicht.
Zumindest in den Interviews, die die Soziologin mit zahlreichen heterosexuellen Frauen und Männern der Mittelschicht geführt hat, sind es eher die Männer, die auf ihre Freiheit pochen und ihren Marktwert an der Anzahl ihrer Eroberungen messen. Und die Frauen, die sich mehr Verbindlichkeit wünschen – gleichzeitig aber ein schlechtes Gefühl dabei haben, weil auch sie das Ideal der Autonomie hoch ansetzen. Ratgeber wie „Wenn Frauen zu sehr lieben“ greifen nach Ansicht von Illouz aber viel zu kurz, weil sie den Frauen nur pragmatisch raten, sich etwas mehr zurückzunehmen. Die gängige „Venus-und-Mars“-Theorie wiederum bausche Unterschiede zwischen den Geschlechtern unzulässig auf und erkläre sie ohne jeden Beweis für „natürlich“. Die Soziologin hält mehr davon, das Leiden beider Geschlechter an der Liebe zu lindern, indem seine gesellschaftlichen Grundlagen verständlich werden. Es dürfe kein Tabu sein, den neoliberalen Freiheitskult zu diskutieren, der nicht allein in der Wirtschaft herrsche, sondern auch im „persönlichen, emotionalen und sexuellen Bereich“.
„Ohne Zweifel sind das gewagte Thesen“, kommentiert Illouz’ Kollege Günter Burkart, Kultur- und Familiensoziologe an der Universität Lüneburg. Er begrüßt es sehr, dass sein Fach sich endlich dem Thema romantische Liebe und Beziehungsmarkt widmet. „Eva Illouz zeigt sehr überzeugend, wie Marktmechanismen alle Bereiche unserer Gesellschaft durchdringen und dass unser Selbstwertgefühl heute mehr leidet als früher, wenn wir uns unglücklich verlieben.“
Die emotionale Abschottung gegen Liebeskummer ist für Illouz dabei ebenso wenig erstrebenswert wie der Weg zurück in vormoderne, vorfeministische Zeiten arrangierter, unauflöslicher Ehen mit klassischen Rollenverteilungen. Vieles von dem Glück, das moderne Formen der Liebe bieten, sei früher nicht denkbar gewesen, so betont sie. Wenn sie darüber nicht geschrieben habe, dann aus gutem Grund: „Weil das Glück sehr gut auch ohne die Bemühungen der Wissenschaft auskommt, was sich vom Unglück vielleicht nicht unbedingt sagen lässt.“
Adelheid Müller-Lissner
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