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Alles in Grau und Braun. Abgestorbene Fichten am Fuße des Brocken.
© Frank Herold

Klimawandel im Harz: Wie aus Totholz neue Wildnis entstehen soll

Stürme, Hitze und Borkenkäfer haben im Harz riesige Flächen vernichtet. Nun soll die Natur sich eine neue Wildnis erschaffen – und Touristen anlocken.

Der erste Blick macht fassungslos. An der Bundesstraße 4 im Harz, kurz vor Braunlage, ragen Tausende graue und braune Silhouetten abgestorbener Fichten in den Himmel. Dasselbe Bild ein paar Kilometer weiter, am Rehberger Graben.

Soweit das Auge reicht, dominieren auch hier Grau und Braun. Auf dem Hang gegenüber breiten sich riesige Freiflächen aus, in denen die Stürme und Hitze der vergangenen Jahre und mehrere Generationen von Borkenkäfern die Stämme umgeworfen haben.

„Hier sieht man den Wald von morgen“, sagt Friedhart Knolle eher beiläufig. Das soll der Wald von morgen sein? „Ja, der Wald ist nämlich gar nicht so tot, wie er aussieht.“ Die toten Fichten seien nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu einer neuen Wildnis. Wo Leben vergehe, da entstehe Platz für Neues. Knolle, Sprecher des Nationalparks Harz, stapft voran über abgebrochene Stämme und vermoderndes Holz.

Totholz, das gar nicht tot ist: Schon nach ein paar Metern Fußweg ist unübersehbar, dass zwischen den stehenden und liegenden Stämmen bereits eine neue Waldgeneration heranwächst. Überall sprießen junge Ahorne, Ebereschen und Birken aus den morschen Stümpfen.

Im Unterholz finden Luchse Unterschlupf

Zwischen den stummen Zeugen des Klimawandels breitet sich ein Teppich aus blühenden Kräutern aus. Lautes Gezwitscher ist zu hören. „Die Vogeldichte steigt im wilden Wald“, weiß Knolle. Sperlingskauz und Schwarzspecht sind zurückgekehrt, Spechte hämmern ihre Höhlen gern in die toten Stämme.

Im Unterholz finden Luchse und Wildkatzen Unterschlupf. Die vermodernden Stämme sind zudem Lebensraum und Nahrungsquelle für viele Pilze und Insekten, Käfer und Wildbienen nutzen Totholz für ihre Brut.

In der Kernzone des Nationalparks, die etwa 60 Prozent der Fläche des knapp 250 Quadratkilometer großen Schutzgebietes ausmacht, kann sich die Natur seit einigen Jahren frei entwickeln. Ehemalige Wirtschaftswälder dürfen wieder zu wildem Naturwald werden.

„Wir greifen hier nur noch zur Sicherheit der Gäste und des Straßenverkehrs ein“, erläutert Knolle. An Straßen, an den Schienen der Schmalspurbahnen und an touristischen Zielen würden tote oder absterbende Bäume umgerissen und an die Seite gezogen.

Luchs nutzen das Totholz als Unterschlupf.
Luchs nutzen das Totholz als Unterschlupf.
© Holger Hollemann/dpa

Totholzreiche, naturnahe Wälder ermöglichen nicht nur neue Artenvielfalt, sie erfüllen auch eine wichtige Klimaschutzfunktion. Langsam verrottende Stämme und die mächtigen Humusböden speichern große Mengen Kohlendioxid. Gräser, Kräuter und nachwachsende Bäume nehmen freiwerdende Nährstoffe auf und binden sie in neuer Biomasse.

Was vorerst bleibt, ist der hässliche Anblick. Knolle gibt zu, dass es deshalb auch Kritik gibt an der Waldpolitik der Nationalparkverwaltung gibt. Und dass das Motto „Natur Natur seinlassen“ nicht bei allen gut ankommt. Allerdings hätten sich die Widerstände inzwischen „auf ein Minimum reduziert – vor allem seit klar ist, dass sich auch so Geld verdienen lässt“ – mit Tourismus.

Kann dem Klimawandel etwas entgegengesetzt werden?

Wie viele Politiker, haben auch Tourismusexperten die Klimakrise im Harz lange Zeit ignoriert oder ihr Ausmaß kleinzureden versucht. Diese Strategie ist gescheitert, das wurde beim Harzer Tourismustag 2019 in Goslar deutlich. Für eine ausschließliche Prävention sei es bereits zu spät, hieß es dort.

In den vergangenen beiden Jahren habe man die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass den Auswirkungen des Klimawandels nur bedingt etwas entgegengesetzt werden könne. Weil das Problem nun aber erkannt ist, soll es künftig auch offensiv benannt werden, betont die Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes, Carola Schmidt.

Sie stellte den rund 100 Teilnehmern der Veranstaltung die neue Kommunikationskampagne des Verbandes mit dem Titel „Der Wald ruft!“ vor. Statt den Urlaubern den Zustand der Wälder zu verschweigen, sollen Harz-Reisende bereits vor dem Start im Internet, mit Flyern und in Broschüren darauf vorbereitet werden, welcher Anblick sie womöglich erwartet.

Auch an Ort und Stelle werden Waldsterben und Waldleben mittlerweile thematisiert. Erst jüngst entstanden eine Multimedia-Station im Nationalparkhaus Schierke und vier Themeninseln entlang der Brockenstraße. An diesen Punkten können sich Wanderer nun direkt zu den Waldbildern informieren.

Baustelle Natur

Anhand von Panoramafotos und passenden Sichtachsen lässt sich die voranschreitende Entwicklung hin zur Wildnis an den jeweiligen Standorten gut vergleichen. Unter dem Motto „Baustelle Natur – hier baut die Natur die neue Wildnis“ erlauben die Themeninseln Einblicke in den rasanten Wandel des Waldes. Und sie erläutern, warum tote Bäume im Nationalpark nicht das Ende des Waldes, sondern den Beginn der neuen Wildnis einläuten.

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