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Herzschmerz. Gewalt in Partnerschaften ist kein Erwachsenen-Problem. Zum Thema „Teen Dating Violence“ läuft momentan ein Forschungsprojekt an der Fachhochschule Fulda.
© picture alliance / Photoshot

Häusliche Gewalt: Wenn Liebe wehtut

Sie war verliebt, das erste Mal richtig. Obwohl er sie schlug. Uns hat Jasmin ihre Geschichte erzählt.

Von Katja Demirci

Sie hat ihn schließlich doch nicht angezeigt. Denn dann gäbe es ein Gerichtsverfahren, später, wenn doch alles längst vorbei ist. Und sie wollte ja nichts mehr als das: Dass endlich alles vorbei ist.

Ein Jahr lang war Jasmin in einer Beziehung, die das Gegenteil von dem war, was sie sein sollte. Jasmins Liebe machte sie nicht glücklich. Sie machte sie unglücklich. Ihr Freund war brutal und gemein. Nicht immer. Aber immer wieder.

Jasmin ist 17 Jahre alt und heißt eigentlich anders. Sie ist ein hübsches Mädchen mit großen Augen und einer weichen, angenehmen Stimme. Sie sitzt sehr aufrecht auf dem Sofa einer von Licht durchfluteten Wohnung im Westen Berlins. Hier lebt ihre Mutter. Und seit kurzem auch wieder Jasmin, die ihre Geschichte auch deswegen erzählen möchte, damit andere Mut bekommen.

Jede vierte Frau – so wird geschätzt – ist in Deutschland mindestens einmal Opfer häuslicher Gewalt geworden. Das klingt nach ziemlich viel. Aber Jugendliche schließt diese Schätzung nicht unbedingt ein. Dabei ist dies nicht nur ein Problem sogenannter erwachsener Beziehungen, sondern auch Jugendlicher. „Teen Dating Violence“ heißt das Phänomen. In Deutschland wird noch kaum darüber gesprochen. Wie viele Jugendliche zwischen 14 und 18 hier in Beziehungen unter physischer oder psychischer Gewalt leiden, versucht bis zu diesem Herbst eine Forschungsgruppe an der Fachhochschule Fulda herauszufinden. Als Referenz dienen Zahlen aus den USA und aus Großbritannien.

Gewalt in Beziehungen kommt nicht nur bei Erwachsenen vor

Die Fuldaer Professorin Beate Blättner verweist etwa auf eine Studie aus dem Jahr 2009, in der 1353 britische Schüler im Alter von 13 bis 16 Jahren befragt wurden. Von körperlicher Gewalt in einer Beziehung berichteten 25 Prozent der Mädchen und 18 Prozent der Jungen. 80 Prozent der Mädchen erklärten, sie seien von emotionaler Gewalt betroffen. Von den Jungen waren es 51 Prozent. „Wir erwarten, dass die Zahlen in Deutschland sich ganz grob in diesen Dimensionen bewegen werden“, sagt Beate Blättner. „Aber wir sind auf Überraschungen gefasst.“

Jasmin spricht auch deswegen, weil sie weiß: es gibt für das Problem keine einfachen Lösungen. Wen man liebt, das sucht man sich ja nicht völlig freiwillig aus. Und dann passiert so was.

Es war keine gute Zeit, als sie ihn traf. Jasmin hatte Stress zu Hause, massiven Ärger mit der Mutter, weswegen sie schließlich ausgezogen war und in einer betreuten Wohngruppe lebte. Als es ihr so schlecht ging wie nie zuvor – war er plötzlich da. Die beiden kannten sich aus der Schule, waren sogar mal wenige Monate ein Paar gewesen, nichts ernstes, da waren sie noch jünger. Nun war das etwas anderes. Wenn sie weinte, tröstete er. Wenn sie reden wollte, hörte er zu. „Die ersten drei Monate“, sagt Jasmin heute, „waren superschön. Er war mir eine große Stütze.“ Erst viel später erkannte sie: „Er hat die Situation nur ausgenutzt.“

Es war nicht so, dass Jasmin sich nicht wunderte, als die ersten Streits entstanden und er aggressiv war wie sonst was. Obwohl es doch oft nur um Kleinigkeiten ging. Aber unruhig wurde sie erst, als sie am Telefon hörte, wie er sich mit seiner Schwester stritt. Schreie, Weinen, ein lauter Rumms. Die Schwester rief sie an: „Mach Schluss mit dem Typen, er schlägt mich seit Jahren.“ Da steckte Jasmin schon viel zu tief drin. „Er war kein schlechter Mensch“, sagt sie. „Aber er hat eben diese düstere Seite. Als ob zwei Menschen in ihm wohnen. Und er hat sich mehr und mehr für den schlechteren entschieden.“

Sie stritten immer mehr. Wen hast du bei Facebook geliked? Er schrie. Lass mich in Ruhe! Zieh keine hohen Schuhe an, bedeck deinen Hintern. Schlampe! „Es wurde skurril“, erzählt Jasmin. Und doch dachte sie anfangs, er wolle sie vor allem beschützen. Hatte er nicht zu Beginn ihrer Beziehung so viel für sie getan? Ihr geholfen? „Ich fühlte mich abhängig“, sagt sie.

Jasmin ist eine kluge junge Frau. Die Mechanismen, die sie davor bewahrten, ihn einfach zu verlassen, kann sie benennen, ihr Verhalten damals exakt analysieren. Sie sitzt auf dem Sofa und weint. Mit jeder Träne kullert ein großes schweres Gefühl aus ihr heraus und verwischt ihre Wimperntusche: Schuld, Scham, Trauer. Trifft sie denn Schuld? Eine zu einfache Frage für ein viel zu komplexes Problem.

Die Betroffenen plagen Selbstzweifel: Bin ich vielleicht Schuld an den Schlägen?

Sie begann zu erleben, was Experten längst als Folgen von Gewalt in Beziehungen aufgelistet haben. Selbstzweifel zum Beispiel. Hat er etwa Recht? Sie begann sich so zu verhalten, wie er es wünschte – oder wie sie glaubte, dass er es wünsche. Kontakte zu Freunden brach sie ab.

„Das Schema ist klassisch, wie bei erwachsenen Frauen auch“, sagt Suna Uludag, die heute als Sozialpädagogin für das Frauenprojekt „Bora“ arbeitet und damals eine von Jasmins Betreuerinnen in der Interkulturellen Wohngruppe der Organisation „Wildwasser“ war. „Uns war ziemlich schnell klar, dass es sich um eine ungesunde Beziehung handelte.“ Jasmin bat sie um Rat. Doch in guten Zeiten, wenn sie glücklich war, blockte sie ab und verteidigte den Freund. Weil sie versuchte das kleine bisschen, was schön war, zu sehen.

„Es liegt an einem selbst, aus so etwas herauszukommen“, sagt Jasmin heute. Aber sie erinnert sich auch: „Man steht sich dabei selber im Weg.“ Sowieso: wie erkennt man, ab wann etwas ungesund ist, wo fängt Gewalt an? Reicht schon ein Unwohlsein, um die Beziehung grundsätzlich zu überdenken? Sind Worte schon Gewalt, oder erst ein Schlag ins Gesicht?

In Jasmins Beziehung blieb es nicht lange bei Drohungen und Streits. Er griff sie an, drückte sie gegen die Wand des Zimmers, warf sie auf den Boden. Anfangs weinte er dann und entschuldigte sich. Später nicht mehr. Während Jasmin kaum noch rausging, ging er fremd. Als sie in ihrer Verzweiflung ihrem Ex-Freund schrieb – was soll ich tun? – flippte er aus, rief er an, sprach auf ihre Mailbox, flüsterte, zischte, drohte: Ich stech dich ab! Natürlich hatte sie Angst. „Aber er war das einzige, was ich hatte.“

Auf der Straße zog er sie an den Haaren und schrie: „Schau wozu du mich bringst!“ Sie weinte und antwortete doch auf die Fragen der Menschen auf dem Gehweg: Brauchst du Hilfe? Nein. Zweimal rief jemand die Polizei. Doch Jasmin blieb bei ihm. Seine Freunde kannten seine brutale Seite nicht und „in meinem Wahn empfand ich es als Ehre: nur mir zeigt er sich so“, sagt Jasmin. Aber 24 Stunden am Tag hatte sie das Gefühl: bloß nichts Falsches machen.

Leben kann man so natürlich nicht. Jasmin schlief kaum noch, aß wenig. Wieder suchte sie Hilfe und begann eine Therapie. Sie traf wieder Freundinnen, genoss die Zeit, all den Mädchenkram. Wie sehr sie das vermisst hatte, merkte sie erst da. Aber sie vermisste auch ihn.

Mit neuem Selbstbewusstsein nahm sie ihre Beziehung wieder auf, bestimmte selbst, wo es langging. Bis sie zum Shoppen mit einer Freundin verabredet war, wogegen er etwas hatte. Er lauerte ihr auf, packte sie, warf sie auf den Boden, beugte sich grinsend über sie, um zuzuschlagen. Ein Freund zog ihn weg.

Jede Seele hilft sich selbst

Zwei Wochen lang herrschte zwischen den beiden anschließend Funkstille. Sogar Freunde sagten Jasmin in dieser Zeit: Zeig ihn an! „Ich war wie ein Alkoholiker, der versucht trocken zu werden“, sagt sie. Als er mit Blumen vor ihr niederkniete, verzieh sie ihm wieder. Nur sein grinsendes Gesicht, als er über ihr hockte, bereit zuzuschlagen, konnte sie nicht vergessen. Lag sie in seinen Armen, sah sie es vor sich. Jasmin bekam Panikanfälle. „Da merkte ich, es klappt nicht mehr.“

Erneut brach sie den Kontakt ab – und nahm den zu ihrer Mutter wieder auf. Nie hatte sie der von alldem erzählt. Dann brach sie bei einem Abendessen in Tränen aus und gestand. „Es ist gut jetzt“, sagte die Mutter nur und nahm sie in den Arm. „Jetzt brauchst du nicht mehr weinen.“ Die Erfahrung der Mutter, Jasmins so ähnlich, ist ein Subtext dieser Erzählung. Dass sie nicht helfen konnte, wo sie doch längst etwas geahnt haben müsste, wiederum eine andere Geschichte. Jede Seele hilft sich selbst – und jede anders.

Jasmin hat ihre Tränen getrocknet. Fast ein Jahr ist es her, dass sie den Kontakt zu ihrem Ex-Freund abgebrochen hat. Er hat eine Neue, über Freunde erfuhr sie, dass es der ähnlich geht wie ihr damals. Sie ist nicht mehr sauer, auch sie ist frisch und vorsichtig verliebt. Wenn sie sich heute in ihrer Erinnerung auf dem Boden liegen sieht, fragt sie sich nur: Wo war ich? „Man vergisst sich“, sagt Jasmin. Bis man sich wiederhat, das dauert.

Wer häusliche Gewalt erfährt und Hilfe sucht, findet sie rund um die Uhr bei der Hotline der Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt BIG e.V. unter 030 611 03 00.

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