Boxspringbetten: Weich ist das neue Hart
Boxspringbetten sind in den USA und guten Hotels schon länger beliebt – nun entdecken die Deutschen das Schlafen ohne Lattenrost. Auch unser Autor träumt neuerdings auf der Doppelmatratze.
Das Wyndham Hotel in Newark, New Jersey gehört beileibe nicht zu den allerersten Adressen in der Welt der Hotellerie. Die Klimaanlage rasselte, das Fenster klemmte und die Farbgebung – Braun in Braun – ist wahrscheinlich mit Bedacht gewählt worden: Sie hat etwas Sedierendes. Aber was erwartet man von einem Hotel, dessen vornehmster Daseinszweck darin besteht, sehr dicht am Flughafen zu liegen?
Obwohl meine Nacht dort schon einige Jahre zurückliegt, ich erinnere mich sehr gut. Wegen der zwei Bettenmonster, die das Zimmer total dominierten. Jedes der beiden hat das Format eines mitteleuropäischen Ehebettes. Ich schlief dort zum ersten Mal auf einem amerikanischen Boxspringbett. Was soll ich sagen, selten so gut gelegen.
Natürlich ist so ein Eindruck nicht objektiv. Er wird sogar extrem dadurch verzerrt, dass für jeden Europäer der erste Tag in den USA 30 Stunden hat, er also am Ende dieses überlangen Tages einigermaßen erschöpft ist. Wahrscheinlich würde er also selbst auf einem Strohsack besser schlafen als sonst. Aber wenn man sich wohlgefühlt hat?
So scheint es vielen Leuten in den letzten Jahren ergangen zu sein. „Auffällig war der unübersehbare Zuwachs an Boxspringbetten“, hieß es 2012 im Rückblick auf die Kölner Möbelmesse, „mindestens die Hälfte der Aussteller griff das Thema auf“. 2013 werden es genauso viele sein, wenn nicht mehr, sagt die Sprecherin des Verbandes der Möbelindustrie am Telefon. Vor sechs Jahren war das noch anders, da spielten Betten dieses Typs auf der Messe keine Rolle.
Das Boxspring entspricht einem Konstruktionsprinzip, nach dem sehr viele amerikanische Betten aufgebaut sind. Der Schläfer in Übersee kennt in der Regel keinen Lattenrost. Stattdessen liegt er auf zwei Federkernmatratzen übereinander. Wobei das untere Exemplar in einen Holzrahmen eingelassen wird, die sogenannte Box. Die Konstruktion vermittelt im Idealfall ein wolkiges Schlafgefühl, zumal in Amerika, wo man sich traditionell weicher bettet. Und seit es erschwingliche Transatlantikflüge gibt, seit ungefähr 15 Jahren also, haben immer mehr Deutsche diese Betten kennengelernt. So hat sich der Name „amerikanisches Bett“ mittlerweile für das Boxspring eingebürgert.
Das heißt, vielleicht hat auch Hollywood dazu seinen Beitrag geleistet. Doris Day räkelte sich schon vor 50 Jahren in Filmen wie „Bettgeflüster“ frei von Erotik aber ziemlich gemütlich auf so einem Matratzenmonster. Doch die Spur führt in die Irre, das Boxspringbett ist kein amerikanisches Alleinstellungsmerkmal. Schon als 1912 die Titanic auf Grund ging, versanken mit dem Luxusliner Betten von VI-Spring. Die englische Firma gehörte damals zu den Ausrüstern des Ozeanriesen, sie baut heute noch Boxspringbetten.
Belgier und Franzosen bevorzugen ebenfalls schon lange die Doppelmatratze. Skandinavier auch, der schwedische Edel-Hersteller Hästens blickt auf 160 Jahre Handwerkstradition zurück. Hästens ist übrigens inzwischen in Berlin mit einem Laden in der Fasanenstraße vertreten. Allerdings nicht mit dem Topmodell „Vividus“, das mit allem Drumherum 72 000 Euro kostet. Dafür sei Berlin nicht der richtige Markt, glaubt Geschäftsführerin Manja Günther. Das teuerste Bett im Laden gibt es für 25000 Euro, los geht es bei 4000 Euro.
Während das Boxspring-System also in England, Skandinavien, Frankreich und den Beneluxländern schon Tradition hat, fand man es im deutschsprachigen Raum nur in Spitzenhotels. Privat ist seit seiner Erfindung in den 50er Jahren der Lattenrost das bevorzugte Untergestell. Doch das Monopol wankt. Den Anfang machte die rebellische Jugend bereits in den 70ern. Sie erkannte Bettgestelle als bürgerlichen Tand und platzierte die Matratze direkt auf dem Boden. Ein Protest, den sie exklusiv hatte, rückenlahme Eltern konnten natürlich nicht folgen. Hygienisch war das jedoch eher fragwürdig. Ein undurchlässiger Untergrund verhindert angemessene Durchlüftung und fördert die vorzeitige Vermuffung der Matratze. Für Rücken und Schulter ist eine unnachgiebige Unterlage ohnehin nichts.
In den 80ern und frühen 90ern kam die Japan-Begeisterung auf. Man züchtete zwergwüchsige Bonsais, streute weißen Kies auf Gartenwege und schlief auf Futons, die man pfleglich behandeln musste, damit sie nicht bretthart wurden. Was freilich kaum einer beachtete. Die Folgen kann man heute in den Rückenschulen der Republik beobachten.
Nun also das weichere Boxspring, ein Trend, über den Michael Hintz kaum begeistert ist. Denn die Welle hat eine ganze Reihe Billiganbieter auf den Markt gespült – Boxspringbetten werden inzwischen für 1000 Euro inseriert. Hintz ist Geschäftsführer von „Betten & Schlafsysteme“ in der Joachimstaler Straße. Bei einem High-End-Händler wie ihm wird man unter 5000 Euro kaum fündig.
Er verzieht dann auch das Gesicht zum spöttischen Lächeln, als sich sein vermeintlicher Kunde als Reporter entpuppt, der seit zwei Monaten auf einem Boxspring unter 2000 Euro schläft. Das kann nichts taugen, lautet sein Verdikt. Messbar überprüfen lässt sich das nicht, jedenfalls hat die Stiftung Warentest noch keinen Versuch unternommen. Die untersuchte bisher nur Matratzen, aber keine Schlafsysteme wie das Boxspring.
Bleibt das subjektive Empfinden. Noch behaupte ich, selten so gut gelegen zu haben wie auf meiner Preiswertvariante. Doch Boxspringbetten neigen zum Blenden. Das liegt an einer europäischen Spezialität: dem Topper, eine vier bis zehn Zentimeter hohe Auflage aus Latex, Schaumstoff oder sogar mit kleinen Sprungfedern bestückt. Damit ergibt sich ein Sandwich, bestehend aus Unter- und Obermatratze sowie Topper. Das dreilagige Ding erreicht schnell eine Höhe von 60 Zentimetern. Topper sind in den USA kaum verbreitet. Vorteil: Aus dieser Höhe kommt man leicht aus den Federn.
Bei unserem Boxspringbett scheint das angenehme Liegegefühl auf diesen Topper zurückzuführen zu sein, in den Schulter und Hüfte einsinken, wie sie sollen. Aber er täuscht womöglich über Schwächen der Matratze hinweg, hat überdies nur eine begrenzte Haltbarkeit. Immerhin ist die Matratze mit Taschenfederkernen ausgerüstet, die Untermatratze mit Bonellfedern, das sind miteinander verbundene Spiralen. Sie sind nicht so gut wie einzeln eingenähte, aber in der Untermatratze ist das nicht so wichtig. Pseudo-Boxspringbetten erkennt man daran, dass die untere Matratze nur Attrappe ist und gar keinen Federkern besitzt.
Was aber zeichnet ein High-End-Produkt aus? Die Güte der Federn, sagt Bettenhändler Hintz. Für ein Bett aus der deutschen Manufaktur Schramm werden sie in aufwendigen Verfahren gehärtet. Manchmal auch deren schiere Anzahl: In guten Exemplaren sitzt über der Taschenfederspirale noch eine weitere, ein Bett des britischen Herstellers Somnus ist so in mehreren Lagen mit bis zu 27000 kleinen Sprungfedern bestückt. Außerdem gibt es in vernähten Matratzen keine Klebeschichten, die wie eine Dampfsperre wirken können. Doch wer nicht mindestens 5000 Euro für das Einstiegsmodell von Somnus übrig hat oder 10000 für eines von Schramm, sollte lieber nicht probeliegen. Denn der Komfort, ich muss es leider zugeben, ist ungeheuer. Noch besser als damals in New Jersey.
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