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Organisierte Kriminalität: Wegen Mafiaverstrickung löst Rom ein ganzes Stadtparlament auf

Die italienische Zentralregierung greift durch und unterstellt Reggio Calabria drei Staatskommissaren. Mitglieder der Stadtregierung hatten in Mafiafamilien eingeheiratet, öffentliche Aufträge wurden nicht ausgeschrieben.

Die ’Ndrangheta gilt als die beweglichste, die gefährlichste und die reichste Mafia Italiens. Ihr Jahresumsatz, vorwiegend aus dem Drogenhandel, stellt mit geschätzten 44 Milliarden Euro den öffentlichen Haushalt so mancher Region in den Schatten. In Deutschland hat sich die kalabrische Form der Mafia vor fünf Jahren mit dem Massaker in Duisburg bekannt gemacht, bei dem sechs Menschen regelrecht hingerichtet worden sind. Es war ein doppelter Schlag des Staates, der die zuletzt etwas verdrängte ’Ndrangheta diesen Dienstag ins nationale Bewusstsein der Italiener zurückholte. Zum einen hat die Regierung nach mehr als sechsmonatiger Untersuchung die politischen Gremien der süditalienischen Stadt Reggio Calabria „wegen Nähe zur Mafia“ aufgelöst. Zum anderen ist am anderen Ende Italiens, in der nördlichen Lombardei, ein Regionalminister verhaftet worden: Domenico Zambetti soll sich seine Wahl zum Landtag bei der ’Ndrangheta mit 200 000 Euro erkauft haben. Mit Zambetti sind am Dienstag weitere 19 Personen wegen Mafia-Verdachts, wegen Geldwäsche, Bestechung, Erpressung und Waffenbesitzes festgenommen worden.

Im Süden Italiens ist Wählerkauf nichts Ungewöhnliches. Politiker handeln mit örtlichen Mafia-Führern die Vorzugsstimmen im Tausenderpack aus; 4000 sollen es jetzt in der Lombardei gewesen sein. Die Mafia, die das Abstimmungsverhalten ganzer Orte oder Stadtteile kontrolliert und natürlich eine Gegenleistung verlangt, garantiert die korrekte Abwicklung und bezahlt jene Wähler, die mit einem Foto aus der Wahlkabine beweisen können, dass sie den Richtigen unterstützt haben. Aus diesem Grunde sind Handys und Fotoapparate in italienischen Wahllokalen verboten. Im Norden hingegen, so sagte Staatsanwältin Ilda Boccassini am Dienstag, sei der Fall Zambetti der erste, in dem man Stimmenkauf nachweisen könne.

Italien sieht immer deutlicher, wie ausgerechnet die recht heimatverbundene ’Ndrangheta in den Norden ausgreift. Die im Süden erprobten Mittel – Erpressung, Einschüchterung, Brandanschläge, Wucher, Unterwanderung öffentlicher Einrichtungen – sind mittlerweile auch in der Lombardei, im Piemont und in Venetien verbreitet. 37 Angehörige von ’Ndrangheta-Clans wurden vor vier Wochen in Mailand verhaftet.

Die Mafia interessiert sich im Norden insbesondere für staatliche Aufträge, meist im Baubereich; als Quasi-Monopolist für den Kokainhandel steuert die ’Ndrangheta den Rauschgiftschmuggel und die Verteilung auf den reichen Märkten norditalienischer Großstädte wie Mailand, Turin, Bologna. Ferner ist die Mafia – die ja viele Millionen Euro an Schwarzgeld waschen muss – nach Aussage der Staatsanwälte gerade in der Wirtschaftskrise eine wichtige Stütze für Unternehmer geworden. Wo Banken keine Kredite mehr gewähren, verleiht der örtliche Clan mit Freuden – zu ganz eigenen Zinssätzen aber und nicht selten mit dem Ziel, die Firma zu unterwandern und zu lenken.

Wegen Mafia-Verstrickung sind im Norden in den letzten zwölf Monaten vier Gemeinderegierungen aufgelöst worden. Der prominenteste Fall war Ventimiglia, die 25 000-Einwohner-Stadt an der ligurischen Riviera, deren Nachbarschaft zu Frankreich den Clans auch grenzüberschreitende Operationen und das heimliche Durchschleusen polizeilich gesuchter Bosse ermöglichte. Genauso wie diese Städte steht jetzt auch die kalabrische Hauptstadt Reggio Calabria unter Zwangsverwaltung dreier regierungsamtlicher Kommissare. Öffentliche Aufträge seien nicht ausgeschrieben, sondern ausgemauschelt worden; Mitglieder der Stadtregierung seien durch Hochzeit mit bekannten Mafia-Familien verbandelt; die Stadt habe sich einiger Rechtsanwälte bedient, die gleichzeitig für ’Ndrangheta-Bosse arbeiteten.

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