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Die pinke Pille soll das sexuelle Verlangen steigern.
© dpa

Mehr Lust auf Lust: Was "Viagra für die Frau" kann

In den USA kommt „Viagra für die Frau“ nach vielen Versuchen als Medikament auf den Markt. Doch das Mittel und dessen Wirkung sind umstritten.

Die Versprechungen, mit denen die kleine rosa Pille nun bald auf den Markt kommt, sind groß. „Der größte Durchbruch für die sexuelle Frauengesundheit seit der Pille“, sagt Sally Greenberg von der Nationalen Verbraucher- Liga der USA. Am Dienstag hat die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) das Präparat Flibanserin (Handelsname: Addyi) zugelassen. Nach Empfehlungen einer Expertenkommission hatte sich das bereits im Juni abgezeichnet.

Doch das Urteil der Fachleute fällt nicht so enthusiastisch aus, wie man vermuten könnte. „Der Nutzen ist bescheiden, vielleicht sogar weniger als bescheiden“, urteilte Walid Gellad, einer der Gutachter von der Uni Pittsburgh. So brauchte das Präparat auch mehrere Anläufe, um von der FDA zugelassen zu werden. Zuerst hatte es die deutsche Firma Boehringer Ingelheim im Jahr 2010 versucht, im Jahr 2013 dann das US-Unternehmen Sprout Pharmaceutics. Vor dem dritten Anlauf hatte sich in den USA eine einflussreiche, auch von der Herstellerfirma gesponserte Lobby für das Mittel gebildet. „Even the score“ argumentierte, dass Frauen nun endlich auch bekommen sollten, was Männern längst zu Verfügung stehe: eine eigene Pille für mehr und besseren Sex.

Mit Viagra, einem Nebenprodukt der Herz-Kreislauf-Forschung, das auf die Durchblutung Einfluss nimmt und damit auf die Standfestigkeit des Geschlechtsorgans bei einem sexuell bereits erregten Mann, hat Addyi allerdings keine Verwandtschaft: Der Wirkstoff Flibanserin ist zunächst bei Patienten mit Depressionen getestet worden, er verändert das Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn. Auf kompliziertem Weg greift er in die Aufnahme des Neurotransmitters Serotonin ein und stärkt damit den Einfluss von Dopamin und Noradrenalin, die als Botenstoffe der Lust gelten.

Der genaue Mechanismus, durch den das Mittel das Begehren wachsen lässt, ist bisher allerdings noch nicht bekannt, wie die FDA betont. Gedacht ist das Mittel, das im Oktober auf den Markt kommen soll, jedenfalls zunächst für Frauen, denen Ärztin oder Arzt die Diagnose „Hypoactive Sexual Desire Disorder“ stellen, abgekürzt HSDD. Laut FDA ist HSDD charakterisiert „durch geringes sexuelles Verlangen, das deutlichen negativen Stress oder interpersonelle Schwierigkeiten verursacht und nicht durch eine körperliche oder seelische Krankheit, Probleme mit der Beziehung oder andere Medikamente hervorgerufen wird“.

Risiken und Nebenwirkungen

Die Zulassung gebe Frauen, die über ihr geringes sexuelles Verlangen unglücklich seien, eine anerkannte Behandlungsoption, sagte die Vorsitzende der FDA- Medikamentenprüfung, Janet Woodcock. Sie beruht auf drei Studien mit rund 2400 Teilnehmerinnen, die über HSDD klagten, im Durchschnitt 36 Jahre alt und alle noch nicht in den Wechseljahren waren. Nach dem Zufallsprinzip wurden sie drei Gruppen zugeteilt, von denen eine ein halbes Jahr lang jeden Abend vor dem Schlafengehen das Medikament nahm, die anderen dagegen entweder ein Scheinpräparat oder gar keine Pille. In Fragebögen hatten sie Angaben dazu gemacht, wie häufig es während dieser Zeit zu Geschlechtsverkehr kam und wie befriedigend er für sie war.

Zusammen mit der Zulassung gab die FDA der Herstellerfirma nun eine neue Aufgabe: In weiteren Studien soll sie detaillierte Informationen zu den Nebenwirkungen sammeln. Niedriger Blutdruck, Ohnmachtsanfälle, Benommenheit und Schläfrigkeit sind nach bisherigen Erfahrungen Begleiterscheinungen des Mittels. Dazu kommt, dass es sich nicht mit einigen anderen Medikamenten verträgt und dass die Frauen keinen Alkohol trinken sollten. Nach dem Willen der FDA müssen Ärzte, die es verordnen, und Apotheker, die die Rezepte einlösen dürfen, eine kurze Schulung nachweisen.

Kritiker monieren zudem, Flibanserin setze Frauen erneut unter erotischen Leistungsdruck. Vom Prinzip her ist es allerdings keine „Pille für die Frau“ – auch wenn die Zulassung bisher auf jüngere Frauen beschränkt ist. Flibanserin ist dennoch alles andere als ein Wundermittel: Ganz ohne Pille hatten die Frauen 2,7 Mal im Monat Geschlechtsverkehr, mit dem Medikament waren es 4,4 Mal. Doch auch das Scheinmedikament tat das Seine: Die Frauen fühlten sich unter seinem Einfluss nicht nur weniger unter Druck als vorher, sie hatten auch 3,7 Mal im Monat Sex. Eigentlich eine gute Botschaft, zeugt sie doch von der Macht der Gedanken und Gefühle im Reich der menschlichen Erotik: Wie sollte eine Pille für die Lust sonst ganz ohne Wirkstoff wirken?

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