Nepal: Was ein Berliner bei dem Erdbeben erlebte
Eine Woche nach dem großen Erdbeben in Nepal erzählt der Charlottenburger Steffen Rohner, was er bei dem Beben in Kathmandu erlebt hat. Lesen Sie hier das Interview.
4600 Kilometer von Berlin entfernt geschah vor einer Woche das Unglück. Der Charlottenburger Steffen Rohner, 35, der derzeit in Mannheim lebt, war mit seinem Vater in Nepal, als das Erdbeben losbrach. Stunden später schrieb Rohner eine Whatsapp-Nachricht: "I was in Kathmandu in Hospital, when it happens. We are okay. We sleep in a tent outside. Buildings are not safe."
Hallo Herr Rohner, wo erreichen wir Sie gerade?
Ich bin wieder in Deutschland. Ich liege zuhause im Bett, ich bin müde, aber uns geht's gut, Danke.
Den letzten kurzen Kontakt hatten wir nach dem Erdbeben, da waren Sie noch in Nepal.
Ich habe bestimmt hunderte von Nachrichten geschrieben und erhalten, mein Handy blinkte dauernd. Ich musste aber auf meinen Akku aufpassen. In Kathmandu gibt es ja nicht überall Strom.
Es heißt, das Auswärtige Amt habe Sie während der Rettungsaktion darauf hingewiesen, sparsam mit dem Akku zu sein.
Ich habe keine Ahnung, wie so eine große Rettungsaktion abläuft in so einem Durcheinander, aber mit dem Auswärtigen Amt hatten wir nie Kontakt, auch nicht mit der Deutschen Botschaft in Nepal.
Dann gehören Sie zu den 100 Deutschen, deren "Schicksal ungeklärt" ist, wie es heißt?
Vermisst werde dann aber nicht nur ich. Wir waren zu zwölft unterwegs, elf aus Deutschland, einer aus der Schweiz.
Sie sind Bergsteiger …
… nein. Wir waren zwar in 4600 Meter Höhe unterwegs, aber wir sind ganz normale Wanderer. Ich möchte kurz ausholen. Unsere Geschichte beginnt nämlich einen Tag vor dem Erdbeben.
Erzählen Sie.
Kennen Sie diesen berühmten Flughafen von Lukla? Der hat diese extrem kurze Landebahn in den Bergen, auf 2800 Meter Höhe, da wollen alle Touristen hin, weil dort der Mount Everest Trek beginnt. Da sind wir losgelaufen. Alles hat gut geklappt, doch nach ein paar Tagen wurde mein Vater plötzlich krank. Wir waren auf 4600 Meter Höhe, da bekam er Kopfschmerzen, ihm war übel, er hustete, hatte überhaupt keine Kraft mehr und sprach nur noch Kauderwelsch. Wir dachten sofort an die Höhenkrankheit, an ein Höhenhirnödem, da sammelt sich Wasser im Kopf. Daran kannst du sterben. Ich sagte: Wir müssen runter, jetzt, schnell!
Zurück nach Kathmandu.
Erst einmal ein paar hundert Meter, aber mein Vater konnte nicht mehr laufen. Ich habe dann irgenwo in den Bergen ein Pferd mieten können, das uns 800 Meter tiefer gebracht hat. Es war Freitag, also noch ein Tag bis zum Erdbeben. Am nächsten Morgen sind wir mit einem Helikopter nach Lukla geflogen und weiter nach Kathmandu. Um 11.45 Uhr waren wir dort also im Krankenhaus …
… und dann bebt um 11.56 Uhr die Erde.
Wir waren gerade in der Notaufnahme und sprachen mit dem Arzt, da fiel zunächst das Licht aus - und plötzlich wackelt alles. Ich habe mich absurderweise direkt in einen Türrahmen gestellt, als hätte ich eine Ahnung, was man bei einem Erdbeben machen sollte. Ich dachte: Wenn ein Stein aus der Decke fällt, dann geht das in einem Türrahmen schon mal nicht. Wenn das Haus zusammenbricht, bringt mir der Türrahmen aber auch nichts.
Und Ihr Vater?
Ich habe meinen Vater verwirrt herumstehen gesehen und ihn sofort zu mir gerufen. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Dauert das Beben nun zehn Sekunden? Eine Minute? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls deuteten die Leute draußen vor dem Hospital mit Gesten an, drin zu bleiben. Sie dachten wohl das überhängende Vordach kommt runter! Aber wir wollten dann doch raus ins Freie und sind dann so schnell gerannt wie wir konnten.
Waren draußen viele Häuser zerstört?
Nein, fast nichts. Die Bilder hier zeigen nicht das Kathmandu, das ich gesehen habe. Vor Ort steht ganz viel, nur halt nicht die alten Häuser und Wahrzeichen, also alles ohne Stahlbeton. Aber natürlich hatte jeder Mensch unfassbare Angst. Wir wollten nur weg, irgendwohin. Dann sind wir in ein Taxi gestiegen und …
Sie sind - was?
Absurd, oder? Unser Guide, der ja mit uns im Krankenhaus war, sieht plötzlich in diesem Durcheinander ein Taxi. Der Mann in dem Auto hat umgerechnet 20 Euro verlangt und uns ins Hotel gefahren. Die Fahrt war schlimm, wir haben viele eingestürzte Mauen, Wahrzeichen, Gebäude und herunter gekommene Stromleitungen gesehen.
Ihr Hotel stand noch?
Ja, das war aus Stahlbeton. Allerdings hat dem keiner mehr getraut. Ringsum sah es wüst aus. Im Garten war eine Mauer zusammengebrochen. Aber wir hatten eine unglaublich hilfsbereite Familie, denen das Hotel gehörte. Sie haben sich nicht um sich, sondern vor allem ums uns gekümmert. Sie haben uns Reis gekocht und im Garten Iglu-Zelte für uns aufgebaut. Zum Glück waren die Nachbeben nicht so stark.
Es heißt, es gibt kaum Trinkwasser.
Die Familienmitglieder und Angestellte des Hotels haben in den ersten Stunden Wasserflaschen an uns verteilt, dabei war klar, dass die bald leer sein würden. Es war auch am nächsten Morgen noch so unwirklich: Ich brauchte dringend Medikamente, die für mich wirklich lebensnotwendig sind. Mein Hauptgepäck mit den Medikamenten hatte ich aber irgendwo in den Bergen verloren. Jedenfalls bin ich in die Stadt gelaufen, auf der Suche nach einer Apotheke. Und die hatten teilweise geöffnet, wie auch einige Cafés. Die haben Frühstück für etwa 3 Euro verkauft. Ich dachte: Hey, ihr braucht das Essen noch!
Wie haben Sie einen Flug bekommen?
Für 1500 Euro pro Person haben wir jeweils ein Ticket bekommen und am Sonntagabend saßen wir im Flugzeug. Nach Abu Dhabi. Da haben wir noch zweimal übernachtet, jetzt sind wir zurück. Mein Vater ist nach kurzem Krankenhausaufenthalt in Berlin schon wieder zu Hause. Es war wohl ein Höhenlungenödem, aber zum Glück nur ein leichtes.
Und Sie?
Ich denke die ganze Zeit an diese Familie aus dem Hotel, die uns so sehr geholfen hat und der wir jetzt helfen wollen. Ich schreibe alle meine Freunde an, meine Kollegen, das sind vielleicht 1000 Menschen. Wenn jeder nur 5 Euro gibt, dann kann die Familie in Nepal etwas aufbauen. Das kann doch keinem weh tun, oder?
Das Gespräch führte André Görke.
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