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Dis sint de Sitten von Lappland?(gemalt vor 1668). Dieses Bild, das zur Zeit in der Ausstellung „Der Luther Effekt“ des Deutschen Historischen Museums im Martin Gropius Bau zu sehen ist, zeigt die heidnischen Traditionen der Samen. Zum Teil sind sie bereits vom Christentum beeinflusst (oben).
© Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen, gemeinnützige GmbH, Burg Kriebstein / PUNCTUM /Bertram Kober

100 Jahre Finnland: Was die Natur gelehrt hat

Die Samen sind das einzige indigene Volk Europas. Im Mittelpunkt ihrer Kultur stehen die Rentiere. Wie sie in Finnland versuchen, ihre Traditionen zu bewahren.

Sie sind das einzige indigene Volk Europas, verstreut über Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Je nach Zählweise leben noch rund 60 000 bis 100 000 Samen im hohen Norden Europas, 40 000 bis 50 000 in Norwegen und etwa 15 000 bis 25 000 in Schweden. Finnland gibt die Zahl der im Land wohnenden Samen mit mindestens 7000 an, in Russland sollen noch 2000 Samen heimisch sein. Seit 1996 haben die Samen in Finnland auch ein eigenes Parlament mit beratender Funktion und 21 Abgeordneten. Begonnen hatte die Selbstverwaltung mit einem Komitee 1976.

Tiina Sanila-Aikio steht dem samischen Parlament in Inari als Präsidentin vor.
Tiina Sanila-Aikio steht dem samischen Parlament in Inari als Präsidentin vor.
©  Rolf Brockschmidt

Das Parlamentsgebäude mitsamt dem Kulturzentrum und der samischen Bibliothek findet sich in Inari, hoch im Norden Finnlands. Vier bis fünf Autostunden ist der Ort von Rovaniemi, dem Tor nach Lappland auf dem Polarkreis entfernt. Der schmucke Bau mit der Holzfassade und den großen Fenstern zeugt vom gewachsenen Selbstbewusstsein der Samen. Tiina Sanila-Aikio steht dem samischen Parlament als Präsidentin vor. Ihre Visitenkarte ist zweisprachig, Inari heißt auf Skolt-Samisch Aanar. Die 34-Jährige ist nicht nur Politikerin. Als Rockmusikerin hat sie CD’s auf Skolt-Samisch veröffentlicht.

Das Parlament der Samen in Inari mit Bibliothek.
Das Parlament der Samen in Inari mit Bibliothek.
© Rolf Brockschmidt

Wer nun genau zum Volk der Samen gehört, kann in Finnland keiner so einfach erklären. „Viele Samen haben sich assimiliert und sind nach Süden gezogen. Die meisten Samen wohnen im Großraum Helsinki, weil es dort mehr Arbeit gibt“, erklärt die Parlamentspräsidentin. Für die Sámi ist ganz Finnland ein einziger Wahlkreis.

Eine der samischen Sprachen als erste ist entscheidend für die Zugehörigkeit zum eigenen Volk. „Wir schauen nicht in die Steuerlisten, sondern wir fragen: Zu welcher Familie gehörst du? Das ist für uns entscheidend.“ Die Samen haben ihre eigene Sprache und Kultur, aber Sanila-Aikio hat das Gefühl, dass sie mit ihren Empfehlungen und ihren Ideen in Helsinki nicht wirklich Gehör finden. Sie hätten keine Macht.

„Wir definieren Kultur sehr weit, dazu gehören das Handwerk, die Jagd, die Fischerei, die Rentierzucht, die immaterielle Kultur mit Musik, Geschichten und Religion.“ Vor allem die Frage des Landbesitzes ist für die Rentierzüchter von existentiellem Interesse. Sie kennen das Land aus dem Effeff, wissen, wo es oder Gefahren drohen. Ein Wissen, das über Generationen vererbt wurde.

Osmo Seurujarvi, Rentierzüchter bei Inari. Der Klimawandel macht den Rentierzüchtern zu schaffen.
Osmo Seurujarvi, Rentierzüchter bei Inari. Der Klimawandel macht den Rentierzüchtern zu schaffen.
© Rolf Brockschmidt

„Wir sorgen uns darüber, dass andere Lebensformen uns Konkurrenz machen“, sagt sie. „Die Bergwerke bringen Millionen von Euro in die Region, und auch der Tourismus ist ein Risiko für uns, aber mit dem können wir noch umgehen.“ Schutzgebiete für die Tiere seien ausgewiesen, aber trotzdem werde dort nach Gold gegraben. Auch der möglichen Erschließung des Nordens durch eine Eisenbahn von Rovaniemi nach Kirkenes steht sie skeptisch gegenüber. „Es müssen Bäume gefällt werden, und die Trasse teilt die Gebiete, durch die die Rentiere ziehen. Das sind halbwilde Tiere. Wenn wir dazu übergingen, Rentiere einzuzäunen, verlören wir unsere Kultur.“

Osmo Seurujarvi auf dem Motorschlitten mit seinen Rentieren bei Inari.
Osmo Seurujarvi auf dem Motorschlitten mit seinen Rentieren bei Inari.
© Rolf Brockschmidt

Wie wichtig die Rentiere für die Kultur der Sámi sind, zeigt das Museum SIIDA in Inari. Die Vierbeiner sind aus dem traditionellen Alltag der Menschen nicht wegzudenken. Alles von den Tieren wird verwertet: das Horn, die Haut, das Fell. Und natürlich das Fleisch – für viele Finnen eine Delikatesse. Sámi produzieren nie mehr als gebraucht wird. Rentierfleisch wird auch kaum exportiert, es wird direkt im Land verarbeitet und verkauft.

Osmo Seurujarvi ist Rentierzüchter und Präsident der 53 Züchterkooperativen im Norden Finnlands. Wie viele Rentiere er besitzt, sagt er nicht. Danach frage man auch nicht – ein ungeschriebenes Gesetz in Finnland. Es wäre so, als wollte man wissen, wie viel Geld jemand auf dem Konto hat. Mehr als 5200 Tiere darf ein Züchter allerdings nicht besitzen.

Osmo Seurujarvi, Rentierzüchter bei Inari, Finnland, mit seinem GPS zum Aufspüren der Herde Foto: Rolf Brockschmidt
Osmo Seurujarvi, Rentierzüchter bei Inari, Finnland, mit seinem GPS zum Aufspüren der Herde Foto: Rolf Brockschmidt
© Rolf Brockschmidt

Genau weiß Seurujarvi nicht, wo sich seine eigenwilligen Rener gerade aufhalten. Nur ungefähr lässt sich das einkreisen. Drei Tiere tragen allerdings einen GPS-Sender und können geortet werden. Am Laptop zeigt der Züchter, wo sie grasen – weit voneinander entfernt. Den Beruf könne man nicht lernen, das Wissen werde von Generation zu Generation weitergegeben. Zwei seiner Kinder besitzen bereits eigene Tiere, auch die Tochter will Rentierzüchterin werden. Unter jungen Sámi ist der Beruf wieder populär.

Seurujarvi macht der Klimawandel Sorgen. „Die Winter waren früher kälter. Man konnte aufgrund des Schnees das Wetter vorhersagen.“ Nun hätten sich die Verhältnisse geändert, mit gravierenden Folgen für seine Tiere. Denn wenn der Schnee schmilzt, und es dann wieder friert, kämen sie nicht mehr an das Gras unter der Eisschicht – eine Katastrophe.

Francois-Auguste Biard: Im Innern eines Samen-Zeltess, 1840. Northern Norway Artmuseum Collection, zu sehen in der Ausstellung "La Lapponie Mythique" im Museum Korundi, Rovaniemi, bis 18.6.2017. Biard hatte im Auftrag des französischen Königs Louis Philippe dessen Lapplandreise als Herzog von Orléans 1795 in Gemälden festgehalten.
Francois-Auguste Biard: Im Innern eines Samen-Zeltess, 1840. Northern Norway Artmuseum Collection, zu sehen in der Ausstellung "La Lapponie Mythique" im Museum Korundi, Rovaniemi, bis 18.6.2017. Biard hatte im Auftrag des französischen Königs Louis Philippe dessen Lapplandreise als Herzog von Orléans 1795 in Gemälden festgehalten.
© Rolf Brockschmidt

Wie groß bereits in früherer Zeit das Interesse war, zeigt die kleine, aber feine Ausstellung "La Lapponie Mythique" im Museum Kurundi in Rovaniemi. Der französischenMaler Francois-Auguste Biard, hat im Auftrag des französischen Königs Louis-Philippe dessen Lapplandreise von 1795 als Herzog von Orléans nachträglich in Gemälden festgehalten hat. Es zeigt ihn unter anderem auf großformatigen Bildern in einem samischen Boot, wie er durch eine Stromschnelle rauscht. Es geht das Gerücht, dass das Kind, das er auf dem Zelt-Bild in den Armen hält, seine Tochter sein solle. Aber das sei nur ein Gerücht. Die Gemälde sind ein beleg für das frühe Interesse an der Kultur der Samen in Europa.

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